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Nr. 12 Das Neue Rußland Seite -11 wird die Sprechstunde für die Kranken in den Früh morgen- und Abendstunden abgehalten. Ich möchte noch hervorheben, daß es bei uns in Sowjetrußland das Problem des Kurpfuschertums so gut wie nicht gibt. Das Recht zur Behandlung von Kranken wird hei uns nur den geprüften Ärzten ein geräumt. V ohl werden noch Kurpfuscher auf dem flachen Lande ansetroffen, in den Städten aber gibt y~r T # c 1 es keine mehr. Gegen sie wird entschiedener Kampf geführt. Die Dispansairs versorgen ihre Kranken sehr weit gehend. Alle erforderlichen Lntersuchungen, alle Kurprozeduren werden vom Dispansair besorgt. Mit den erforderlichen Heilmitteln, namentlich mit Sal- varsan. werden die Dispansairs nach voller Maßgabe ihres Bedarfs beliefert. Nach Abschluß der Kur erhält der Kranke eine Anweisung, wann er den Dispansair wieder aufsuchen soll, und es ist Aufgabe des Dis- pansairs, die pünktliche Einhaltung des Termins seitens des Kranken zu überwachen. Die Fürsorge des Dispansairs erstreckt sich auch auf die Familie des Kranken. Die Ermittelung der \ erhältnisse in der Familie des Kranken erachtet der Dispansair als eine seiner Hauptaufgaben. Macht ein Kranker, der den Dispansair aufsucht, die Meldung, daß er sich von einer bestimmten Frau (gewöhnlich einer Prostituierten) angesteckt hat, und gibt die Adresse der Frau an, so wird diese Adresse eingetragen und zur Adressatin eine Ärztin geschickt, die in freundlicher Form die Kranke zu überzeugen sucht, daß sie sich einer Behandlung unterziehe, um von sich und anderen drohende Gefahren abzuwenden. Bis auf wenige Ausnahmen gelingt es, solche Kranke dem Dispansair zuzuführen. In ähnlicher Weise werden notorische männliche Überträger venerischer Krank heiten von Fürsorgeärzten besucht, wenn ihre Adresse von den den Dispansair aufsuchenden kranken Frauen bekanntgegeben wird. Dieser, zuerst vom Moskauer Dispansair eingeleitete \ ersuch, findet allmählich immer breitere Anwendung auch in der Provinz. Der Dispansair betreibt eine rege hygienische Volks aufklärung in dem von ihm versorgten Bereich und bedient sich zu diesem Zweck einer portativen ^ ander- ausstellung. Neben den gewöhnlichen Arten der hygie nischen \ olksbelehrung, den Vorträgen, werden Ge-' richtsverhandlungen wegen Übertragung von Ge schlechtskrankheiten inszeniert. Diese Gerichtsver handlungen erfreuen sich großen Erfolges urd werden eifriger besucht als die Vorträge. Die Bekämpfung der hereditären Svphilis wird in 'S erbindung mit den Beratungsstellen für schwangere Frauen geführt. In der Regel werden alle Frauen, die die Beratungsstellen aufsuchen, auf Svphilis unter sucht ; bei allen wird eine serologische L ntersucliung vorgenommen. Die Erfahrungen der zweijährigen Tätigkeit der Moskauer und Leningrader Dispansairs haben die wichtige Bedeutung dieser Lueserfassung gezeigt. 6% aller Frauen, die die Beratungsstellen auf suchten, hatten positive Masserin. Reakt., darunter entfielen 4% auf solche Kranke, die ehedem von ihrer Krankheit-nichts ahnten. Die Bekämpfung der heredi tären Syphilis wird unterstützt durch die von den Dispansairs durchgeführten periodischen L ntersuchun- gen der Kinder in den Krippen und Kinderhäusern. In den Großstädten werden spezielle Kinderhäuser errichtet für die bei den erwähnten Lntersuchungen ausgeteilten syphilitischen Kindern, die die anderen Kinder gefährden. Für das Studium des Sexualproblems sind von großem Interesse die anonymen Enqueten, die die Dispansairs in den verschiedensten Gruppen der Be völkerung — unter den Schülern. Studierenden, Ar beitern beiderlei Geschlechts — erheben. Demnächst erscheint eine Abhandlung „Das Sexualleben der Ar beiter in Moskau“, die die Ergebnisse von 5000 En queten unter den Moskauer Arbeitern und Arbeiterinnen zusammenfaßt. Die Enqueten werden von den Dis pansairs mit der größten erforderlichen Sorgfalt be werkstelligt; die Bevölkerungsgruppen, unter welchen die Erhebungen angestellt werden sollen, werden zu nächst vorbereitet für diesen Zweck. Das Problem der Prostitution, deren Reglemen tierung die Oktoberrevolution abgeschafft hat. ist heut zutage auch für Sowjetrußland eine brennende Frage. Die ersten Jahre nach der Revolution sind durch die Periode des sogenannten Militärkommunismus ge kennzeichnet, als die Arbeitspflicht für alle Bürger obligatorisch war. Diejenigen, die sich den sozialen Arbeiten zu entziehen suchten, wurden durch Zwangs maßnahmen herangeholt. Unter die Kategorie der Arbeitsunwilligen fielen auch die Prostituierten. Das Ergebnis davon war. daß die Prostitution im Schwinden begriffen war, wozu auch der l instand beigetragen hatte, daß infolge der äußersten Verarmung des Landes und der allgemeinen L nterernährung auch die Nach frage nach Prostituierten nachgelassen hatte. Mit dem Übergang zur neuen wirtschaftlichen Politik trat Arbeitslosigkeit ein und die Prostitution nahm wieder zu. Im Jahre 1922 wurde hei dem \ olkskommissariat für Gesundheitswesen der sogenannte Zentralrat zur Bekämpfung der Prostitution gegründet, in dessen Bestand Vertreter der an diesem Kampf interessierten administrativen und öffentlichen Organe eingingen, ln den Gouvernementszentren wurden ähnliche Räte, ge gründet, die mit dem Zentralrat organisatorisch ver bunden wurden. Das vom Bat entworfene Statut zur Bekämpfung der Prostitution ist von der Regierung genehmigt und bestätigt worden. Gemäß diesem Statut soll der Kampf gegen die Prostitution keines wegs in einem Kampf gegen die Prostituierten aus arten. Solange der Staat nicht in der Lage ist, alle Arbeitsbedürftigen mit Arbeit zu versorgen, steht es ihm nicht zu. die Frauen zu ahnden, die sich auf den ^ eg der Prostitution begeben. Die vom Zentral rat verfaßte und \om \ olkskommissariat für Innere Angelegenheiten genehmigte Instruktion an die Miliz behörden besagt unter anderm: „Eingedenk dessen, daß jede Frau, die der Prostitution verfällt, es infolge der ungünstig gestalteten materiellen \ erhältnisse oder Milieubedingungen tut, ist jeder Milizangehörige ver pflichtet, dieser Frau gegenüber alle Regeln der Höf lichkeit und korrekten Behandlung zu beobachten und sich kein grobes Auftreten zuschulden kommen zu lassen.“ Dieses Zirkular u ird von den Milizorganen streng stens befolgt. Dafür sorgen die Lokalräte zur Be kämpfung der Prostitution. Bei all dieser nachsichtigen Beziehung zur Prostitution schreibt dieselbe Instruktion den Milizorganen vor, entschiedenen Kampf zu führen gegen die Kuppler, die Freudenhäuser, gegen jeden Ort, wo die Frau zur Prostitution verleitet werden kann. In der Regel geht jedes Gerichtsverfahren gegen Besitzer von Freudenhäusern mit einer J erhängung einer Gefängnisstrafe und Konfiskation des ^ ermögens zu Ende.