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Seite 24 Das Neue Rußland Nr. 1/2 hatte nicht die Möglichkeit, zu einer besseren Be arbeitung überzugehen. Die revolutionäre Epoche nach dem Jahre 1917 er- öfFnete für die russische Bauernschaft neue Aussichten und Möglichkeiten. Die Landwirtschaft der deutschen Kolonisten in Rußland hat in ihrer Geschichte andere Etappen durchgemaclit: sie stand auch unter dem Druck des Zeitgeistes der verschiedenen Perioden. Aber trotz aller Hindernisse arbeitete sie sich allmählich empor und diente in mancher Hinsicht als Muster für die umgebende russische Bevölkerung. Die Autonome Republik der Wolgadeutschen liegt im Südosten Rußlands und wurde oftmals von Miß ernten durch die Dürre heimgesucht. Auch die Eigen schaften des Bodens sind für die Landwirtschaft weniger günstig, als in den zentralen, westlichen und südlichen Gebieten Rußlands. Trotzdem stand die Landwirtschaft der russischen Bauern, sowohl in der umliegenden Gegend, als auch in den meisten Gouverne ments des Bundes der Räterepubliken von jeher noch auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe als die der deutschen Wolgakolonisten. Im Laufe der Zeit wurden die alten landwirtschaft lichen Geräte, die, wie wir gesehen haben, schon von vornherein um vieles besser waren als die der russischen Bevölkerung immer mehr verbessert oder durch neue ersetzt. Bald wurden im ganzen Lande solche Geräte wie Worfelmaschinen, Ausreitsteine bekannt, die von den deutschen Kolonisten selbst hergestellt wurden. Die eisernen PlHige des Sack- und Eckertsvstems fanden zuerst Verbreitung in den deutschen Kolonien, ebenso andere landwirtschaftliche Maschinen, wie Mäh maschinen, Selbstbinder, Sämaschinen und andere. Großen Unterschied findet man ferner in der inneren Einrichtung der Wirtschaft in den russischen und deutschen Dörfern. Die landwirtschaftlichen Geräte der deutschen Wirtschaft sind viel praktischer, was man schon an den deutschen zweispännigen Wagen sehen kann. Der Wagenbau ist besonders in den Städten Marxstadt und Balzer und in den Kolonien Grimm, Huck, Straub und anderen entwickelt. Die deutschen W agen haben sich jetzt schon stark unter der russischen Bauernschaft verbreitet. In den Kolonien der Bergseite entwickelte sich der W orfel-Maschinenbau als Hausindustrie. Von hier verbreiteten sich diese Erzeugnisse in großer Anzahl in vielen Gouvernements. Die Textilindustrie und die Korbflechterei entwickelten sich ebenfalls hauptsäch lich in den deutschen Ansiedlungen der Bergseite und griffen allmählich auch auf die russischen Dörfer über. Gegenwärtig verschaffen sich Tausende von Menschen durch diese Erwerbszweige ihren Unterhalt. Die Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude haben auch ihre besondere Einrichtung, die den umliegenden russischen Dörfern als Muster dient. Den nützlichen Einfluß der deutschen W irtschaft auf die russische kann man in vielen Fällen beobachten. Die deutschen Arbeitsmethoden sowie Einführung deutscher Geräte, Wirtschaftsgebäude fanden große \ erbreitung bei den russischen Bauern. Durch die deutschen Kolonisten verbreiteten sich einige land wirtschaftliche Kulturen, wie die Senfkultur, Tabak- und Kartoffelbau. Der Senfbau nahm seinen Anfang bei den deutschen Ansiedlern der Kolonie Sarepta und verbreitete sich von da in dem untern Wolga gebiet unter der russischen Bevölkerung. Gegenwärtig ist der Senf nach der Sonnenblume die wichtigste Öl pflanze. Der Tabakbau kam in das W'olgagebiet mit den deutschen Kolonisten, wo er jetzt noch in den Kantonen Marxstadt und Krasnojar eine große Bedeutung hat. Auf die Entwicklung des Kartoffelbaus, der in der Zeit der Gründung der deutschen Kolonien an der W olga unter den russischen Bauern noch wenig bekannt war, übte die deutsche Wirtschaft einen sehr großen Einfluß aus. Kartoffeln wurden in den ersten Jahren viel von den Kolonisten angebaut. Die russischen Bauern haben die Anpflanzung der Kartoffel von den deutschen Kolonisten übernommen. Die Ansiedlung der Mennoniten im Bereich der Wolgakolonien fand in einer Zeit statt, als die Land wirtschaft in Deutschland schon auf einer höheren Entwicklungsstufe stand. Sie waren auch bemittelter in der Zeit der Übersiedlung als die Wolgakolonisten. Deswegen steht die Landwirtschaft bei ihnen auf einer bedeutend höheren Stufe. Die Mennoniten brachten landwirtschaftliches Inventar, Arbeitsvieh und Nutz vieh mit. Durch sie verbreitete sich eine Rasse Horn vieh, das sogenannte holländische Milchvieh, das durch hohe Produktivität in Rußland bekannt ist. Die Mennoniten sind daher als Kulturträger auf dem Ge biete der Landwirtschaft anzusehen. Bei ihnen findet man schon die meisten Errungenschaften der land-» wirtschaftlichen Wissenschaft, wie in dem Ackerbau, so auch in der Viehzucht und ändern Wirtschafts zweigen angewendet. Die Mennonitenwirtscliaft hat bewiesen, daß in der „Gegend ohne Zukunft“, wie das untere W olgagebiet oft genannt wird, eine kulturelle Landwirtschaft dem Menschen ein sicheres Dasein bietet. W ie jedermann aus dem Vorhergehenden ersehen kann, übte also die Landwirtschaft der deutschen Kolonisten, besonders der Mennoniten, einen wohl tuenden Einfluß auf die Volkswirtschaft Rußlands aus, was auch von der russischen Bevölkerung anerkannt wird. Die Gestaltung der Wolgadeutschen Landwirtschaft Die Wolgadeutsche Sowjetrepublik stellt mit ihrem 2 725 000 ha umfassenden Gebiet, von dem 93% auf nutzbares und nur 7% auf unbrauchbares Land ent fallen, einen ausgesprochenen Agrarstaat dar. Es gibt dort rund 91 000 Bauernwirtschaften. Beim Ausbau der Landwirtschaft ist man bestrebt, der Landwirtschaft den Charakter einer gemischten Viehzucht- und Ge treidewirtschaft mit besonderer Berücksichtigung der Milchwirtschaft zu geben. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Regierung den Meliorationsarbeiten. Die seit 1924 in großzügigster Weise in Angriff genommenen Arbeiten haben sich sehr günstig entwickelt. Die gute Ernte des vergangenen Jahres hat es im übrigen den Bauernwirtschaften er möglicht, ihr W irtschaftsgerät zu erneuern, die Boden bearbeitung zu verbessern und die Aussaatfläche zu erweitern. Die Aussaatfläche in der W olgadeutschen Republik betrug, im vergangenen Jahre 63,8 Prozent der Aussaatfläche des Jahres 1916, das den Zustand der Landwirtschaft vor dem Krieg widerspiegelt. Die Fläche für die Sommeraussaat 1925 betrug