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Nr. 1/2 Das Neue Rußland Seite 11 Katechismus, dann ins Testament, ferner in die Yormittagsschule zu den Großen und schließlich wurde man Konfirmand. Man hatte herzlich wenig gelernt: etwas Lesen, paar Sprüche, Lieder- verse, vielleicht etwas Abschreiben von Vor schriften oder gar ein wenig Kopfrechnen. Das war allerdings der Weisheit letzter Schluß. Was man dabei in den acht Jahren an Prügeln heim getragen hatte, war nicht zu zählen. Xaeli dem lustigen, zwei-, dreiwöchigen Kon firmandenunterricht (Lehr) ging man zu „Pettern“ und „Goten“, sagte ihnen ein schönes Sprüchlein und bedankte sich für die Fürsorge, die man erfahren hatte. Dann schmückte man zu Pfingsten die Kirche mit Maien und Kränzen. Die Kon firmation wurde in üblicher Weise begangen. Nun war man frei, ledig! Jugend. Nun fing das lustige Treiben auf der Straße an. Die Mädchen bildeten, wie auch heute noch, ihre Kameradschaften. Die Burschen (Buhen) auch. Ist das eine herrliche Zeit! Sommers tummelte man sich am Abend auf der Straße, winters ging man auch noch in die „Spillestubb“, „Spinnstubb“. Die Mädchen versammeln sich an den langen Winterabenden bald hei der einen, bald hei der ändern „Kameradin“. Die Burschen — auf der „Gass“ oder „Stros“, singen, hin- und herwandelnd, ein paar flotte Volkslieder. Dann gelit’s hin ans Fenster. Man klettert hinauf, schaut hinein, rappelt am Fenster, bis eine heraus kommt. M enn’s Feld rein ist, wenn die Alten fort sind, geht man, trampelnd, hinein. Hier werden einige Schnurren heruntergemacht, paar Gesellschaftsspiele gespielt, dann werden lustige Tanzliedlein gesungen, auch einmal eins getanzt. Indessen ist es Zeit zum Heimgehen. Jeder be gleitet seinen Schatz (sei Alti) bis ans Türchen, steht noch ein ^ eilchen und plaudert, bis sie sagt: „Ich muß hinein, sunst brumme die Alte.“ So war’s, so ist’s heute noch. Heirat. Man ist 18 Jahre alt. Nun heißt es: heiraten. Nachdem die Sache allseitig verab redet ist, nimmt sich der Bursch zwei erfahrene Freiersmänner und zieht um die Mitternachts stunde mit ihnen los, zum Haus seiner Auser wählten. Es wird angeklopft. Man zündet Licht an, macht auf, tut recht verwundert und fragt, was der Begehr der Männer sei. Die Freier ant worten: „Mer suche e’ Mäd uffs lange Jolir.“ Die Eltern sträuben sich zuerst, bis sie mit Hilfe eines Halben (einer Flasche) Branntwein genügend bearbeitet sind. Dann wird’s der Tochter anheim gestellt, und die Sache ist erledigt. Sofort, am frühen Morgen, wird Handschlag gefeiert, zu dem die allernächsten erwandten gerufen werden. Am nächsten Tage lassen sich die jungen Leute kirchlich verloben („verspreche“). Am Sonntag abend darauf wird im Hause der Braut Yerspruch mit Musik gefeiert, an dem sich nur die ledigen Kameraden und Verwandten der Brautleute be teiligen. Nach dreimaligem Aufgebot lassen sich die jungen Leute trauen (..kopulieren“). Am Sonntagnachmittag vor der Trauung laden die Brautleute ihre ledigen Gäste zur Hochzeit. Die Alten werden von zwei Hochzeitladern, gewöhn lich von den Paten der Brautleute geladen. Die beiden schreiten mit bebänderten Stöcken stolz einher, wandern, laut Liste, von Haus zu Haus, sprechen ihre launigen, gereimten, ellenlangen Hochzeithittersprüche, laden also zur Hochzeit und erbitten sich zum Schluß jeder ein Band an seinen Stock. Dieser Hochzeithittersprüche gibt es bei uns noch eine stattliche Zahl. Die Hoch zeitbitter bekommen in jedem Hause ein paar Gläschen Branntwein; zum Schluß werden sie so voll, daß sie nur noch lallen können, oder gar heim gebracht werden müssen. Am Tage vor der Hochzeit gehen die Brautjungfern mit einem großen bebänderten Korb hei allen Geladenen um und tragen Geschirr zur Hochzeit zusammen. Die Brautburschen fahren mit beglockten und bebänderten Pferden Tische und Bänke von den Gästen zusammen. Am Abend vor der Hochzeit wird Polterabend gefeiert, damit die jungen Leute sich ihre Paare für die Hochzeit auswählen können. Am Polterabend beteiligt sich nur die geladene ledige Jugend. Am Hochzeitstage zieht der ganze Zug vom Hause der Braut zur Kirche. ^ oraus geht das Orchester und bläst die für den Fall ziemlichen Lieder. An der Spitze des Zuges geht die Braut im Brautscliinuck, mit einem Braut kranze aus Kunstblumen auf dem Haar. Ihr zur Rechten und Linken gehen die Brautführer und an deren Seite je ein Brautmädchen. Die Brautburschen, sowie die übrigen ledigen Jungen, haben Sträußchen aus Kunstblumen an den Kappen und Bänder darum. Hinter der Braut geht der Bräutigam her, mit den Hochzeitladern (Paten) zu beiden Seiten. Er hat einen Strauß mit Bändern an der Brust. Dem Bräutigam auf dem Fuße folgt die übrige Jugend in buntem Durcheinander. Das Gefolge schließen die Alten mit den Eltern der Brautleute an ihrer Spitze ab. Die Trauung verläuft in all gemein üblicher ^ eise. Sobald der Zug aus der Kirche herauskommt, eröflnen die Musikanten, wieder blasend, den Rückzug. Da wird nun aus der dunklen Masse der „Brautegucker“, zu Ehren der Neuvermählten, ein Pistolenschuß um den ändern losgeknallt. Der Zug begibt sich ins Hans des Bräutigams. \ or der Haustür werden Bräu tigam und Braut von allen Gästen beglück wünscht. Darauf beginnt die Hochzeit mit einem Festessen. Nach der Mahlzeit wird gleich mit dem Tanzen angefangen. Zuerst tanzt das Braut paar seine drei Brautreihen, dann tanzt jeder Brautbursch drei Reihen mit der Braut, dann sämtliche ledige Gäste, nachher der Reihe nach in mehreren Gruppen die Alten. So geht es ge wöhnlich drei Tage lang. Es wird gegessen, Schnaps, Wein, Bier getrunken, getanzt. Auch Verkleidungen und allerlei L lk werden getrieben.