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Wien, Hamburg oder München unterscheidet, ist nur zu fassen, wenn man das Ideal einer reinen Ob jektivität aufgibt und sich als Liebender um die Ge liebte bemüht. Von diesem Zustand des Liebenden aus eröffnet sich dem Betrachter die vielfältige und anschauliche Sonderart der Berliner Weiblichkeit in der Gegenwart, und von hier aus auch das „Reich der Vorstellungen und Erinnerungen", das mit vielen Erscheinungen bevölkert ist, die dem Typus der Ber linerin irgendwie entsprechen. Die Gegenwart: das sind die adretten Mädchen in den Frühzügen der S-, der U- und der Straßen bahnen, die Buchhalterinnen, Kassiererinnen, Plätte rinnen und Laborantinnen, die in ihre zweite Heimat fahren und dort in ihrem Wirkungskreis Arbeit mit ihrem Leben durchsetzen. Gegenwart: das sind auch die als Typus fast einmaligen Erscheinungen der Ber liner Zimmervermieterinnen und Hausbeschließerin-, nen, die lebenstüchtigen Frauen der Laubenkolonien und der Kleingeschäfte. Paul Fechter gibt aus allen diesen Bereichen Beispiele klassischer Art, die die ver schiedenen Kreise und Schichten der arbeitenden und schaffenden Frauen und Mädchen in ihren stummen Leistungen und Lebensstilen wesenhaft zu umschrei ben versuchen. In den Teilen des Buches, die sich mit den Frauen aus Geschichte und Literatür beschäftigen, bemüht sich Paul Fechter mit sichtbarem Erfolg, die Berlinerin der Historie zu entreißen und sie in dem „Fest bleiben der Gegenwartskraft" zu erfassen. Er gibt ausge zeichnete Porträts, die die Gestalten aus der Ge schichte ins Unmittelbare transponieren: Frauen des Hofes wie des bürgerlichen Lebens, des Theaters wie der literarischen Salons. Da erscheinen die Madame du Titre als Typus der Urberlinerin, Dorothee von Holstein-Glücksburg, die zweite Gemahlin des Gro ßen Kurfürsten, Sophie Charlotte, die Gattin des ersten Preußenkönigs, Pauline Wiesel, die Geliebte des Prinzen Louis Ferdinand, die Königin Luise, Karo- line von Humboldt, Sophie Sander, Else Lehmann, Maria von Bunsen und manche andere. Aus diesen Porträts entsteht ein reizvolles, vielfältig schillerndes Bild mit interessanten kulturhistorischen Details. Als Ganzes ist das Buch nicht nur ein Bericht über ein Faktum, sondern in der ungemein anregungs reichen, liebenswürdigen und flüssigen Darstellung, die auch die Problematik des Gegenstandes mit glücklicher Hand meistert, ohne jemals ins Flache ab zugleiten, ein philosophisch - kulturgeschichtliches Va demekum. Das überzeugende daran ist nicht zulelzt die Tatsache, daß Paul Fechter immer wieder in der Vielfalt der Charaktere das Allgemeine, im Besonde ren das Verbindende sieht. So ergeben die vielen Einzelzüge ein eindrucksvolles Wesensbild der Ber liner Weiblichkeit, wenn auch nur elementare Grund haltungen bis zu der Grenze aufgedeckt werden können, an der sich die Eigenschaften ins Unbe grenzte verlieren. Walther G. Oschilewski Alt-Linz in alten Ansichten. Das Wort gibt Wissen, und wenn es in lebendiger Form gesagt wird, auch Anschaulichkeit, um wieviel mehr aber erst das Bild als künstlerisches und dokumentarisches Zeugnis. Der besondere Reiz der unlängst erschienenen Mono graphie einer Stadt, die bisher ein wenig beachtetes Dasein führte, heute aber in einen neuen Abschnitt ihrer Geschichte eingetreten ist, liegt vor allem in der künstlerischen und städtebaulichen Dokumentation, mit der hier Wesen und Wachstum dieser Stadt in 133 Ansichten (davon 43 in vier Farben) von 1594 bis 1860 verlebendigt werden. Alt-Linz. Geschichte der Stadt in Ansichten. Bearbeitet von Dr. August Zöhrer. Herausgegeben vom Oberbürgermeister der Gau hauptstadt Linz. Verlag Rudolf M. Rohrer, Brünn. Geb. 12,50 RM.) Die Biiderreihe beginnt mit dem ausgezeichneten Kupferstich von Georg Hufnagel aus dem Jahre 1594 nach dem im Städelschen Kunst institut in Frankfurt am Main befindlichen Gemälde von Lucas von Valckenburg, bringt weiterhin die schönen Kupferstiche von Matthäus Merian und die feine Handzeichnung seines Schülers Wenzel Hollar, des großen Graphikers damaliger Zeit. Daran schließen sich neben anderen interessante Darstel lungen aus dem Barock an, an denen sich der Geist eines neuen Jahrhunderts und damit eines neuen Lebens- und Machtgefühls widerspiegelt. Es folgt die Zeit des um 1800 in Erscheinung tretenden Klassi zismus und der um 1850 einsetzenden Industrialisie rung, die im Zuge der räumlichen Expansion das alte Stadtbild veränderte und bei dem Fehlen eines selbst sicheren Formgefühls zerstörte. Die in diesen Jahren entstandenen hübschen biedermeierlichen Ansichten der vortrefflichen Lithographischen Anstalt von Josef Haffner geben noch einmal in vielen Variationen ein echtes und eindrucksvolles Charakter- und Stimmungs bild der Stadt. Die Bilder selbst entstammen mit wenigen Ausnah men den Städtischen Sammlungen, die die Grund lagen zu dem reichen Besitz an Stadtansichten be reits im ersten Weltkriege legten und seitdem plan mäßig mehrten. In diesen Bemühungen kommen vor bildliche Heimatpflege und ein hoher historischer Sinn zum Ausdruck. Um den Werdegang des Ge meinwesens als eines lebendigen Organismus noch deutlicher zu machen, ist den Bildern eine prägnante Geschichte der Stadt vorangestellt. Als Gründungs ort des Großdeutschen Reiches, Jugendstadt des Führers und Gauhauptstadt von Oberdonau wird Linz durch die Verwirklichung eines großzügigen Bauprogiramms, das mit dem Bau der monumentalen Nibelungenbrücke begonnen hat, in Zukunft eine neue, beispielgebende Gestalt bekommen. Indem die traditionellen Werte gehütet und gepflegt wer den, die sich aus der lebendigen Erinnerung er geben, da nämlich Linz der Sterbe- und Wohnort Kaiser Friedrichs III. und damit Residenzstadt des Deutschen Reiches, Stadt der Beethoven, Schubert, Schwind, Bruckner, Stifter gewesen ist, erwächst aus diesen' gesunden Wurzeln der Ueberlieferung die Macht und Schönheit einer neuen Stadtpersönlichkeit, die der Bedeutung des Gemeinwesens und ihrer Ver pflichtung für die Zukunft entsprechen. über den allgemeinen Anschauungs-, Geschichts-und Erlebniswert hinaus wird das vorliegende Werk auch der Heimatpflege und der Fremdenverkehrswerbung nach dem Kriege manche Anregungen geben. Walther G. Oschilewski