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der von Deutschland, Frankreich und Italien ausging und in der sogenannten „Düsseldorfer Schule" und in der „Pariser Zeit" seinen Niederschlag fand, war zweifellos anregend und fruchtbar, jedoch nie so stark, um trotz des außerfinnischen Formalismus die Rückerinnerung an den Geist der finnischen Ver gangenheit und an das Arteigene vollends zu ver decken. Die „Pariser Richtung", im Zusammenhang mit der Lehre des Realismus, ermöglichte gegen Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts einer jungen finnischen Maler-Generation den Anschluß an die europäische Kunst, um nunmehr Stufe um Stufe zu nationaler Bedeutung und europäischem Rang emporzusteigen. Die Entwicklung vom Pariser Rea lismus zum volkstümlichen Naturalismus repräsentiert wohl der bedeutendste Vertreter der nationalen Rich tung, Axel Gallen-Kallela, der sich vor allem den Kalevala-Stoffen zuwandte. Erfuhr im allgemeinen der Kunstfreund von der bis herigen künstlerischen Leistung des kleinen finnischen Volkes nur aus gelegentlichen Abbildungen, so ist uns jetzt durch den unlängst erschienenen schönen Band von Onni Okkonen: „Die Finnische Kunst" (mit 193 Abbildungen, Wilhelm-Limpert - Verlag, Berlin. Geb. 10, RM.) Gelegenheit gegeben, den ganzen Umfang des Kunstschaffens des finnischen Volkes in Vergangenheit und Gegenwart zu erfassen. Okkonen ist ein ausgezeichneter Interpret alter und neuer Kunst seines Vaterlandes. Er gibt die Entwicklungs stufen von den ersten archäologischen Funden an über die karelischen Handarbeiten der Bronze- und ersten Eisenzeit, die mittelalterliche Bildkunst und Steinarchitektur bis zur Blüte des Holzbaustils und der Reyenweberei im 18. Jahrhundert, um sich danach der neueren vaterländischen Kunstentwicklung zuzu wenden. Aus dieser letzten Epoche, also etwa von 1800 ab, zeigt Okkonen eine Fülle interessanter Künstlergestalten, wie z. B. Fanny Churberg, Albert Edelfeit, K. E. Jansson, Helena Schjerfbeck, Albert Gebhard, Hugo Simberg, Magnus Enckell, und aus der Gegenwart Marcus Collin, Aarre Heinonen u. a. Auffällig ist der verhältnismäßig starke Anteil der Frauen und vor allem in der Gegenwart der bedeu tender Plastiker, wie Emil Halonen, Felix Nylund und Wäknö Aaltonen. Die 193 Abbildungen des Bandes geben einen aufschlußreichen Überblick über die un gewöhnliche Leistung eines künstlerisch begabten Vol kes, das, obgleich seine Gesamtbevölkerung noch nicht einmal die Einwohnerzahl Groß-Berlins erreicht, eine stattliche Reihe starker und ausgeprägter Maler und Plastiker hervorgebracht hat, und dessen Auf gabe es auch in der Zukunft sein wird, kontinentale Kulturverpflichtung mit nationaler Eigenständigkeit zu verschmelzen. ,,, uu „ „ ,.. Walther G. Oschilewski Die Berlinerin. Man hat sich schon oft die Frage vorgelegt, ob es überhaupt in der Geschichte Berlins Frauengestalten gibt, die die Stadt ebenso repräsen tieren wie etwa Fanny Elßler Wien oder die Pompa dour die Stadt an der Seine. Die Antworten sind subjektiv und werden stets subjektiv bleiben, und die Frage wird immer wieder gestellt werden. Schon allein der Begriff der Berlinerin ist schwer zu fassen. Soll man nur die in der Stadt Geborenen dazu rech nen, die bei dem „kolonialen" Charakter der Spree siedlung, die immer auf Zuzug von außen ange wiesen war, so selten sind wie die Fische in der Wüste? Damit würden die berlinischsten Gestalten ausfallen, die zwar nicht mit Spreewasser getauft sind, aber aus dem Wesensbild der Stadt nicht fort zudenken sind. Andererseits würde allein die Tat sache der in Berlin Lebenden, Wirkenden, auch wenn sie hier die entscheidendsten Leistungen ihres Lebens vollbracht haben, nicht dazu ausreichen, sie einfach zu_ Berlinerinnen zu stempeln. Man sieht, daß man bei der Frage nach einer erschöpfenden Definition auf allerhand Schwierigkeiten stößt. Ein ausgezeichnetes, kürzlich erschienenes Buch zu diesem Thema bringt uns ein Stück weiter. (Paul Fechter, „Die Berlinerin". 245 S. Mit 47 Abb. auf 32 Tafeln. Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart. Geb. 6,50 RM.) In der Tat, der auf vielen Gebieten er fahrene und verdiente Verfasser stand vor keiner leichten Aufgabe, aber er traf den Kern der Sache, wenn er davon spricht, daß die Zugehörigkeit zu dieser Stadt nicht vom Schicksal einfach verliehen wird, sondern erworben werden muß. Berliner oder Berlinerin zu sein, ist ein bewußter oder unbewußter Akt des Willens, und man wird es allein auf dem Wege des gefühlsmäßigen Begreifens des inneren Wesens der Stadt. Paul Fechter gibt glänzende Charakteristiken, deutet die Ursachen, weshalb die Frauengestalten Berlins von einst mehr oder weniger in einem Schattendasein befangen blieben und eigentlich nie zu voller Wirk lichkeit aufgestiegen sind. Er sieht den wesentlichen Grund in der kargen und strengen Entwicklung Preu ßens, mit der das Stadtwesen eng verknüpft ist, und in der es in erster Linie um männliche Leistungen und Aufgaben ging. Jedenfalls waren die männlichen Bereiche nicht geeignet und auch nicht bereit, die Weiblichkeit mit einzubeziehen. Er spricht sogar da von, daß „die Berlinerin der Vergangenheit Opfer der preußischen Grundtugenden der Sachlichkeit, Nüchternheit, Objektivität geworden" war. Und doch mußte das Bild, das gewonnen werden sollte, ins lebenskräftige Licht gerückt werden. Paul Fechter fand den einzig richtigen und schönen An satzpunkt aus der Erkenntnis, daß das Gesicht der Zeit (auch das physiognomische der Stadt Berlin) gar nicht so sehr durch die Taten der Männer als durch das bloße Da-Sein der Frauen bestimmt wird, durch die erst die Wirklichkeit Blut und Leben, ihren voll endeten Glanz und ihre tiefe Schönheit bekommt. Um aber zur Verwirklichung seiner Aufgabe zu kommen, mußte er die Frauen, soweit es sich um Gestalten der Geschichte handelte, aus ihrem Schattendasein, aus ihrer tragischen Hintergründigkeit lösen und sichtbar machen. Er ging dabei von der Gegenwart und nicht von der Historie aus. Denn alles Lebendige ruft das Vergangene nach ewigem Gesetz, nicht umgekehrt. Das Gewesene ist nur noch aus dem Heute zu ver stehen, und jede Generation erlebt die Vergangen heit aus ihrem Blute. Das Unverwechselbare, der besondere Reiz, der die Berlinerin in ihrem Skeptizismus, in ihrer Schlagfertig keit, in ihrer Neigung, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen, von dem ihrer Geschlechtsgenossinnen in 44