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renaissance, des Barocks und des Rokokos schließt sich den Beispielen der mittelalterlichen Bildnerkunst an. Strenge, ernste und feierliche Zeugnisse des Mit telalters stehen jedoch im Vordergrund, wenn auch andere Zeiten, wie gesagt, und auch liebenswürdige Darstellungen nicht fehlen. Die Frühzeit (vor 1450) ist mit 56, die Spätgotik, Früh- und Hochrenaissance (1450—1550) mit 23, die Spätrenaissance, das Ba rock und das Rokoko (1550—1800) mit 6 Bildwerken vertreten. Welcher Reichtum an formaler Schönheit, seelischem Gehalt und geistiger Ausdruckskraft liegt in den ge zeigten 181 Wiedergaben! Die Melodie tiefempfun dener Darstellungen umfaßt alle Töne plastischen Ausdrucks: sie schließt heilige Demut, sprühende Le bendigkeit, kindhaften Zauber, weibliche Anmut und Milde ebenso ein wie hoheitsvolle Größe, erschüt ternde Strenge, derbe Materialität und schmerzens reiche Verschattung, aus allen denen man den ganzen Umfang seelischer und körperhafter Empfindungen ermessen kann, deren der Mensch fähig ist. Man sollte diese Bildwerke unvoreingenommen, unvermit telt auf sich wirken lassen und sie einmal als Doku mentation humaner Zeitlosigkeit zu erleben suchen — jedem empfindsamen Betrachter wird sich dann über die Jahrhunderte hinweg der Sinn einer eigen willigen Welt aufschließen. Er wird sich des Ge schenkes freuen, dankbar den Meistern herabgesun kener Zeiten, die den toten Stoff durch das Schaffen ihrer Hände bannten und den göttlichen Funken aus dem Stein und dem Holz schlugen, der ewiglich zündet. Was aber die hervorragende bildhafte Ausdeutung der einzelnen Stücke mittels der Photographie anbe trifft, so ist diese der Kunst des Lichtbildners Alfred Ehrhardt zu danken. In der Erkenntnis, daß die Ge samtansicht der einzelnen Bildwerke nicht alle Schön heiten und Gehalte erschließen kann, hat sich Ehr hardt mit großem Erfolg bemüht, durch Teilaufnah men, durch Aufnahmen von verschiedenen Blickpunk ten und in wechselnder Beleuchtung die plastischen Feinheiten der Kunstwerke restlos auszuschöpfen. Das Geheimnis der ungewöhnlichen Wirkung liegt vor allem in den wundervollen Wiedergaben. Un scheinbare Einzelheiten der Form, des Ausdrucks werden durch eine wohlüberlegte Führung der Licht quelle oder die Wiedergabe von Teilstücken auf ein mal lebendig und erfahren eine Steigerung im Zu sammenklang mit dem Gesamteindruck, wie sie ohne diese genaue Erfassung aller Einzelheiten dem mensch lichen Auge verborgen geblieben wären. Daß aber auch diese neue Sicht, so sehr sie auch die Einbil dungskraft des Betrachters entzünden hilft, ihre Gren zen hat, versteht sich von selbst. Aber auch der forschende Verstand des historisch interessierten Kunstfreundes kommt zu seinem Recht. Für die wissenschaftliche Ordnung der Sammlung und für die Beschreibung der einzelnen Schöpfungen war Hubert Wilm, der sich schon vor vielen Jahren durch eine Reihe gewissenhafter und grundlegender Ar beiten über die mittelalterliche Plastik ausgewiesen hat, der rechte Mann. Seine Ausdeutungen sind tref fend und von schöner Anschaulichkeit, seine Anmer kungen zu den einzelnen Bildwerken sind Muster beispiele erschöpfender Erklärung und Bestimmung. Sie verstärken die lebendige Wirkung des Bandes, der seiner ganzen Anlage nach die Empfindungs- und Vorstellungskraft des Beschauers in die Richtung eines fortwirkenden Besitzergreifens lenken will. (Die pflegliche Drucklegung des Bandes besorgten die Werkstätten der Bauerschen Gießerei in Frankfurt am Main, deren Chemigraphische Anstalt auch die Druckstöcke herstellte. Der Text wurde in der schö nen Weiß-Antiqua des Hauses gesetzt. Die typo graphische Gestaltung oblag dem bewährten Ge schmack des bekannten Schrift- und Buchkünstlers Heinrich Jost.) Walther G. Oschilewski Die finnische Kunst. Die bedeutsame Leistung des finnischen Volkes auf dem Gebiete der Kunst ist erst in den letzten Jahren richtig erkannt und gewürdigt worden. Wie in der übrigen Kultur, so hat sich Finnland auch in der bildenden Kunst von dem im Laufe seiner wechsefreichen Geschichte anstürmen den slawisch-byzantinischen Einfluß ferngehalten. Sein Blick richtete sich von jeher — soziologisch und kulturell — nach Westeuropa, nach Skandinavien und auch nach Deutschland und dem Baltikum. Als ein Volk von harter und zäher Lebensart haben sich die Finnen immer wieder nach allen Seiten hin weh ren müssen, um inmitten der ständigen Bedrohung von außen sich wenigstens in ihrer geistigen Selb ständigkeit behaupten zu können. Auch ihre Kunst ist ein beredtes Zeugnis dieses Selbstbehauptungs willens. In der Neigung zur Romantik, des sehnsüchtigen Schweifens in die Ferne und bei dem eigentümlichen Hang zur Mystik hat die finnische Kunst etwas stark Naturhaftes, Ursprüngliches, sie ist infolge der urtüm lichen Phantasiekraft noch nicht versklavt durch den akademischen Schematismus und eine übertriebene Zivilisation. Es ist merkwürdig, daß sich die Malerei nicht so sehr leuchtender Farben bedient, wie man eigentlich annehmen könnte, sondern sich in ihren stärksten Vertretern oft karg und schwer, in harten und kantigen Umrissen dartut. Ein metaphysischer Ernst liegt über der finnischen Malerei und Plastik. Immer wieder treffen wir bei der Betrachtung finni schen Kunstschaffens auf eine ausgesprochen nach innen gewandte Stimmung, die Ausdruck der Sehn sucht nach verträumter Schönheit ist. Dieser Wesens zug ließ die Maler auch immer wieder zu dem Stoff kreis der finnischen Märchenwelt zurückfinden. Schon die mittelalterliche Kunst des Landes der tau send Seen zeichnet sich durch Selbständigkeit aus. Die neue Ära finnischen Schöpfertums beginnt jedoch erst im 19. Jahrhundert, im Zuge des neuerwachten Nationalgefühls. In einem autonomen Finnland ent stand auch der Wille nach eigener nationaler Kunst. Die Entwicklung vollzog sich organisch, langsam, aber in steter aufwärtsstrebender Verwirklichung, mit unter in Geist und Form einer Doppelsichtigkeit, der gestalt, daß sich innere Weichheit mit plastischer Strenge verband. Die eigentliche Begegnung mit der europäischen Tradition, vor allem mit der klassischen Richtung, erfolgte ebenfalls im 19. Jahrhundert, mit dem Finnlands moderne Kunst anhebt. Der Einfluß,