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CARL ERNST POESCHEL + Gerade zu dem Zeitpunkt, als man sich anschickte, die weitreichenden Verdienste des großen Typo- graphen und Meisterdruckers Carl Ernst Poeschel an läßlich seines bevorstehenden 70. Geburtstages im September dieses Jahres einer dankbaren und ge rechten Würdigung zu unterziehen, erhielten wir die Nachricht, daß dieser vortreffliche Mann am 24. Mai in Scheidegg im Allgäu gestorben ist. Der schmerz liche Verlust trifft nicht nur das deutsche Buch- und Druckgewerbe, sondern ebensosehr das gesamte geistige und künstlerische Europa, das ihm unschätz bare Anregungen und beste Lösungen in der Gestal tung eines vom Zeitgefühl getragenen typographischen Formwillens verdankt. Poeschels erste Wirksamkeit fiel in die Zeit des ärgsten Tiefstandes der deutschen Buchdruckerkunst, die seit langem dem gestalthaften Geist des späten Mittelalters abtrünnig geworden war. Wenn es auch zu allen Zeiten einige vorzügliche Druckwerke ge geben hat, so fehlte es jedoch an der Tradition, die nicht hätte abreißen dürfen und die alle immer wieder zu der hohen Berufsauffassung der Frühdrucker hätte verpflichten müssen. Im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts begann Poeschel mit seiner Arbeit und bereitete den Boden, auf dem sich eine neue deutsche Buchdruckerkunst entfalten konnte. Was sich damals um ihn herum um eine neue Form bemühte, waren wohl kühne, vielleicht auch historisch notwendige, aber doch allzu abseitige Bestrebungen, die mehr Ver wirrungen anrichteten als daß sie zu einer neuen Bindung an den wahrhaft schöpferischen Geist, der nach Gesetz und Ordnung strebt, führen konnten. Wohl hatte auch Poeschel, im Banne des Jugendstils stehend, Teichrosen gezeichnet, aber als er um die Jahrhundertwende aus Amerika zurückkehrte, wo er die besten Zeugnisse der englischen Privatpressen kennenlernte, und in die väterliche Offizin eintrat, hatte er bereits die Gärungserscheinungen der neueren deutschen Buchkunst überwunden und zum eigentlichen typographischen Regelwerk zurück gefunden. Beeindruckt und angeregt von den wunder vollen Drucken der Merrvmount Press und der großen Persönlichkeit Daniei Berkeley Updikes fand er bald seinen eigenen Stil, der in der Folgezeit den Typus des deutschen Buches bestimmen sollte und die typo graphische Kunst wieder zu einem sinnfälligen Aus drucksmittel einer Epoche emporführte. So hat er den eigentlichen typographischen Werten wieder zur Anerkennung verholfen und sie zur Grundlage jedes Druckwerkes gemacht. Er lehrte, daß nicht willkür liche Freiheit, sondern das Gesetz herrschen müsse, daß es bei dem rhythmischen Zusammenspiel von Schriftgrad, Zeilenbreite, Durchschuß, Kolumnenhöhe auf abgewogene Verhältnisse ankomme und daß die Typographie den statischen Gesetzen der Architektur folgen müsse, bei der es sich ebenfalls um ein Ar beiten mit Verhältnissen und um Beherrschung und Verteilung der Fläche handelt. Er gab geschlossenen Satz in nur einer Schriftart, einfache „Verzierungen" durch gerade Linien im Schwarz- oder Farbendruck, Rubriken und Kolumnentitel in eindeutiger Form und der Haupttitelei ein nobles und zweckmäßig-schönes Aussehen. Der Satz des Buchtitels lag ihm besonders am Herzen, in ihm sah er den typographischen Stil einer Epoche sich am klarsten widerspiegeln; die Ge schichte des Buchtitels war ihm die Geschichte der Typographie schlechthin. Poeschels Gestaltungen unzähliger literarischer Er zeugnisse haben die Blüte einer neuen deutschen Buchdruckerkunst hervorgerufen. Er hat Ausge zeichnetes für Eugen Diederichs, für Hans von Weber, für Julius Zeitler und viele andere Verleger des In- und Auslandes gedruckt, und immer wieder für den Insel-Verlag, dessen Vorläufer er von 1901 bis 1903 leitete. Mit seinem Jugendfreund Walter Tiemann, dem späteren Leipziger Akademiedirektor, gründete er 1907 die Janus-Presse, die erste deutsche Privat presse, schuf Meisterhaftes auch für die Insel- und für die Cranach-Presse, nahm sich aber auch der so vernachlässigten Gestaltung des wissenschaftlichen Buches an. Er war Mitgründer und Mitträger des Tempel-Verlages und in enger Zusammenarbeit mit E. R. Weiß der Schöpfer der bekannten Tempel- Klassiker. Sein Werk ist eine einmalige Leistung von vorbild licher Größe, das in 45jähriger Wirksamkeit unzäh ligen Fachgenossen, Druckern wie Verlegern, das Ge setz des Handelns vorschrieb. Die Besten beider Ge werbe haben gut damit getan, sich seiner stets ver antwortungsbewußten Führung anzuvertrauen, auch in der Zeit des Zwischenspiels der sogenannten Kon- struktivisten in der Typographie, deren Verdienste vor allem für den Werbedruck und für die Gebrauchs graphik nicht abgestritten werden können, deren Normungstyrannei und Schematisierungsexperimenten Poeschel aber immer wieder die Macht der schöpfe rischen Persönlichkeit entgegensetzte. Er war als Er zieher des Nachwuchses und der Weitersfrebenden von tiefgehender und weitreichender Wirkung (es sei nur an die neuartigen, erstmalig im Jahre 1903 von ihm begonnenen typographischen Skizzier übungen in Justus Brinckmanns Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg erinnert), als Wiederentdecker der Unger-Fraktur und der Walbaum-Antiqua, aber auch als Schöpfer der Winckelmann-Anliqua, die nur als Hausschrift seiner Firma Verwendung fand, ein Be wahrer des schriftkünstierischen Besitzes der Nation, als Fachschrifrsteller und Redner ein Mann von frucht barer Intensität. Das Werk seines Lebens, das noch im Jahre 1940 durch die Verleihung des Ehrendoktor titels der Leipziger Universität und des neugestifteten Gutenbergringes geehrt wurde, die hohe Auffassung von dem Drucker als dem Diener des Geistes wird, wenn auch tragischerweise ohne direkte Nachfolge, im Bewußtsein der Fachgenossen weiterleben und auch alle die, die sich für Druck und Buch verantwort lich fühfen, immer daran erinnern, daß die von ihm mit reichem Formensinn und in beispielhafter Haltung geschaffenen Erzeugnisse gültige Vorbilder und eine einzigartige Repräsentation des künstlerischen Zeit geistes sind. , „ _ ,. Wa ther G. Oschilewski