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WALTER REIMANN: FILMARBEIT Jeder glaubt heute, den Film zu kennen und kennt ihn doch nicht. Selbst »Fachleute« kennen ihn nicht. Beweise dafür gibt es genügend! Der Film ist etwas ganz Neues, Überraschendes, Über* rumpelndes, selbst wir, die wir täglich im Film stehen, werden täglich von neuem überrumpelt, überrascht. Wir kennen den Film noch nicht, keiner kennt ihn — auch Amerika nicht. Aber wir Fachleute ahnen ihn, wir fühlen ihn — abtastend, suchend. Wir wissen, daß wir in tausend« facher Übersetzung, Umschreibung dem Erfassen näher kommen. Alles Grübeln, Denken, Spintisieren im Film ist sportliche Artistik. Der Film braucht die Tat, die schöpferische Hand, die Maschine. Alle Berech« nungen zerschellen an der Werkarbeit, alles Er« klügelte wird grausam entschleiert durch die mathe« matische Schärfe der Optik. Film ist Arbeit — tolle, wüste Arbeit des Über« setzens und Umsetzens des Geistigen über das Körperliche ins Optische. Regie«Skizze Es gibt keine Rezepte, kein Dogma — jede Szene eines Films ist neu — selbst wenn man schon tausend Filme gemacht hat. Es gibt keine Sicher« heit im Film außer der ewig wachsamen Geistes« gegen wart. Zupacken auf Anhieb! Der plötzlich auftauchende Widerstand muß bezwungen, künst« lerisch verwertet werden, die vielen Tücken des Objekts, die bei der Filmarbeit herumschwirren wie Mücken im Sommer, sie dürfen Richtung und Tempo der Filmarbeit nicht stören — im Gegen« teil: sie müssen benutzt und zu wertvollen Resul« taten umgesetzt werden. Film ist allenthalben wachsamstes, geistesgegenwärtigstes Handwerk. Geistesgegenwärtig. Ein Hände« und Fäuste« werk, welches in jeder Sekunde vom Impuls des Geistes durchzuckt werden muß, des Geistes, der als spiritus rector über dem gesamten Werke schwebt. Kann sich der Außenstehende ein Bild von der Arbeit am Film machen, von all den vielen Bin« düngen, Zusammenhängen, von dem Einordnen des Bewußten und Umrangieren des Unbewußten? Durch falsche Einstellung ist das Bild des ganzen Filmbetriebes verwirrt — verkehrte Bezeichnungen kennzeichnen unzutreffend Tätigkeiten, die von den Ausübenden zumeist noch mißverstanden werden. Der gesamte heutige Film leidet vor allem an Unklarheiten und Verworrenheiten auf allen Gebieten.. Es ist schon ein Fehler, daß die Unter« nehiner sich »Industrielle« nennen — ihr Filmwerk ist eine Industrie, eine Fabrik! Muß da nicht der Außenstehende nach den ausführenden Maschinen suchen? Zur »Industrie und Fabrik« gehören Ma« schinen — sonst ist es keine Industrie! Da man es aber so nennt — wo sind die Maschinen? Jetzt begreife man die Lächerlichkeit: wo ist die Auf* nahmemaschine und der Maschinist dazu? Wo ist die Spielmaschine, die Bau« und Malmaschine und die Regiermaschine als Regisseur? Herrlich — allerdings unserer Zeit würdig — der Ausdruck »Film«Kunst«Fabrik«ü Wem kann man zumuten durch Fabrikware einen künstlerischen oder ästhetischen Genuß zu erlan« 28