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Die Stärke einer Künstlerpersönlichkeit doku* mentiert sich nicht nur in ihrem eigenen Schaffen, sondern vielleicht ebensosehr in der Kraft, mit der sie das Werk anderer künstlerischer Begabungen beeinflußt. Bedeuten die einzelnen Werke genialer Künstler kulturelle Höhepunkte, so liegt doch ihre größere kulturelle Sendung (so paradox das auch zunächst scheinen mag) eben in der Beeinflussung andererTalente. Zu allen Zeiten war es nur wenigen beschieden, stilformend die Kunstrichtung ihrer Zeit zu beeinflussen. Alle, die durch Begabung und Schicksal dazu ausersehen waren, haben das künst* lerische Niveau ihrer Zeit dadurch gehoben, daß sie anderen den Weg wiesen und den Weg bereiteten. Die kulturelle Höhe einer Zeit wird bestimmt durch die Größe des Prozentsatzes einer Volks * gemeinschaft, die an ihr teil hat, nicht aber durch einzelne künstlerische Höchstleistungen.Die Schule der alten niederländischen Maler in ihrer Gesamt* heit bedeutet mehr als das Einzelwerk der da* maligen Künstler. Rembrandt, Rubens, Holbein, Dürer können als Beweis für das hier Gesagte an* geführtwerden.Aus neuerer Zeit: Der Impressionis* mus als künstlerische Gesamterscheinung muß uns mehr gelten als die Werke von Manet und Renoir. Lucian Bernhards Schaffen und das Atelier Bern* hard wiederholen dieses Beispiel auf unserem Ge* biete der Gebrauchsgraphik. In Fachkreisen ist es längst bekannt, was Prof. Bernhard in dem voran* gehenden Interview gesagt hat, nämlich, daß er seinem Schaffen den amerikanischen Markt erobern will und daß trotzdem in Deutschland Bernhard* Plakate von der Qualität seiner früheren Arbeiten herauskommen. Das Bernhard*Plakat als künstlerisches Erzeug* nis repräsentiert einen absoluten Persönlichkeits* stil, und es ist Prof. Bernhard gelungen, auf seinen jahrelangen künstlerischen Mitarbeiter,Fritz Rosen, dieses Stilgefühl zu übertragen, ohne Rosens künst* lerische Individualität zu beeinträchtigen. Rosen arbeitet heute im Stile Bernhards wie andere Künst* ler im Stile der Renaissance oder des Expressio* nismus gearbeitet haben. Als vor ungefähr 25 Jahren Bernhard mit einer kleinen Anzahl anderer künstlerischer Persönlich* keiten dem deutschen Künstlerplakat zum ersten Male Geltung verschaffte, trugen diese seine ersten Arbeiten schon alle charakteristischen Merkmale seiner Handschrift. Das, was wir heute gemeinhin als den »Bernhard Stil« bezeichnen, besteht keines* wegs allein in sklavischer Nachahmung eben dieser Handschrift und in der gedankenlosen Übernahme bewährter Formen und Farbstellungen, sondern stellt die zielbewußte Ausgestaltung eines Grund* prinzips dar, von dem niemals abgewichen wurde. Rosen hat bewiesen, daß man selbst in diesem fest* gefügten Rahmen Originelles geben kann. Wenn natürlich außerdem von schwer errungenen Er* fahrungen gezehrt wird, so ist dies ein Gebot der Ökonomie und geschieht in der weisen Erkenntnis, daß gewisse Farbenzusammenstellungen und Glie* derungen an Stärke und Wirkung schwer zu über* treffen sind. Aber selbst die kunstgerechte Anwen* • dungdieser Erfahrungen erfordertimmer wieder ein hohes Maß künstlerischen Feingefühls. Das einzige Gebot, auf dessen Befolgung wirklich Wert gelegt wird, ist viel allgemeinerer Natur und läßt breiten Raum zu selbständiger Entfaltung, es lautet: »Gestalte aus den Bedingungen der Aufgabe«. Das klingt eigentlich selbstverständlich, ist aber doch nicht so einfach, wenn man eine starke Wirkung erzielen und eine ästhetisch befriedigende Form finden will. Wenn schon, was sich von selbst ver* steht, jedes Plakat eine solch eindringliche und verführerische Farbwirkung, eine einfache, einpräg* same, sofort verständliche Form und deutliche, weit* hin lesbare Schrift haben soll, worin besteht dann noch das Eingehen auf die speziellen Bedingungen einerAufgabe? Da diese jedesmal anders sind, lassen sie sich schwer formulieren. Es wird sich beispiels* weise darum handeln, Farben und Schriftcharakter dem Objekt anzupassen, wichtige Worte und Bild* teile besonders in Erscheinung treten zu lassen, außerdem müssen Bild und Schrift kompositorisch so verquickt werden, daß sie eine Einheit bilden und beiden damit erhöhte Bedeutung verliehen wird. Ist das alles berücksichtigt und kommt dann ein harmonisches Ganzes heraus, das so aussieht, als hätte es jeder gekonnt und als hätte es jeder so gemacht, dann ist die Aufgabe gelöst, und das Plakat ist gut. Das hier Gesagte gibt eine gewisse Erklärung für die Stilform des Ateliers Bernhard. Ich überlasse es dem Leser, zu erkennen, wieviel Rosen’scher Geist sich in den Jahren dem Bernhard’schen assimiliert hat. Die nachfolgend gezeigten Arbeiten sind seine Entwürfe und fast alle aus derZeit, in der Bernhard in Amerika weilte. Frenzel