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ERNST GROWALD / BERLIN DIBENGO UND DER PLAKATWETTBEWERB FÜR DIE DEUTSCHEN KAMPFSPIELE I_JNTER dem Titel »Dibengo oder die Jung* fern*Insel« schreibt Paul Block (Paris) im Berliner Tageblatt: »Als das geheimnisvolle Wort Dibengo zuerst auf den Riesenplakaten der Boulevards zu lesen war, dachten viele Pariser an einen neuen Likör oder ein neues Zahnputzmittel oder an irgendeine andere Neuerung im Stil des berüchtigten Cadum* Babys, dessen kindliches Grinsen nervöse Leute bis in den Schlaf verfolgt. Dibengo war aber etwas ganz anderes. Dibengo war Kunst, und Kunst steht bekanntlich mit Reklame niemals in Verbindung. Jetzt wissen wir es schon,was Dibengo ist. Dibengo ist ein neues Theaterstück und zugleich eine neu entdeckte Insel.« Es ist schon lange her, daß ein deutsches Plakat einen Schriftsteller zu einem Feuilleton begeistert hat; es werden auch heute noch Millionen Bogen als Plakate verdruckt, aber danach scheint ihr Zweck erfüllt zu sein. Wie kommt es, daß in Deutschland nach einer kurzen Blütezeit die Plakatreklame voll* kommen verschwunden zu sein scheint? Seit 1914 habe ich keine Wirkung durch Plakate mehr ver* spürt, wie kommt das? Auch bis 1914 war es sehr schwer, durch Plakate eine Wirkung zu erzielen, aber die Wirkung war doch da, Edel, Klinger, Schnebel, Knut Hansen, FritzWolff,Paul Scheurich, Bernhard und andere haben Plakate entworfen, die allgemein auffielen und Interesse erregten und heute ? Auffallen und Interesse erregen kann nur ein Straßenplakat - eine Affiche — aber nur, wenn sie »neu« ist, wenn sie überrascht! . . Seit 1914 habe ich kaum eine Überraschung erlebt . . woher kommt das? Vielleicht kommt es daher, weil wir alle bis dahin nicht so akademisch waren; ich war als Reklamemann Autodidakt, Egel, Klinger, Schnebel, Scheurich, Bernhard u. a. ebenso; viel* leicht kam daher die Frische und das Kecke, wie es nun einmal das Plakat braucht. Vielleicht kam es aber auch daher, weil damals die hohe Kunst so pathetisch war, so daß unsere Plakate dagegen so rebellisch wirkten, während heute die hohe Kunst sich so wild gebärdet, daß jedes Plakat dagegen langweilig erscheint. Eines steht jedenfalls fest: daß die heutige Plakatkunst an Langeweile zu sterben droht und daß etwas zu ihrer Belebung geschehen muß; dazu wäre ein Wettbewerb am Platze, für den der Staat, die Akademien, Plakat* institute, Plakatdruckereien und industrielle Ver* bände sowie Großinserenten Preise zu stiften hätten. Statt dessen wird das Geld für unnütze und unangebrachte Preisausschreiben vergeudet. Ein Fabrikant, dessen Bedarf an künstlerischen Ent* würfen sehr gering ist, schreibt mir vor kurzem, daß Prof. Y. ihm empfohlen hätte, zur Erlangung von Entwürfen einen Wettbewerb zu veranstalten. Ich muß sagen, daß ich das für einen Unfug halte, durch den sowohl der Fabrikant, als auch die Künstlerschaft nur geschädigt würde; der Fabrikant soll einen oder mehrere Künstler mit der Anferti* gung von Skizzen gegen angemessene Bezahlung betrauen und nach diesen Skizzen seine Auswahl treffen und die Ausführung der Entwürfe be* stellen, aber nicht hunderte von Künstlern zum Lotteriespiel verleiten, denn nichts anderes ist so ein Wettbewerb. So wird z.B. aus Köln gemeldet: »Die Beteiligung am Plakatwettbewerb für die deutschen Kampfspiele 1926 in Köln war überaus groß. Eingegangen sind 970 Entwürfe. Erster Preis: Otto Lange, Dresden; 2. Preis: Ernst Heigenmoser, München: 3. Preis: Peter Abelen, Köln (diese Arbeit ein Schriftplakat). Angekauft für je 300 M. wurden die Entwürfe von Pro* fessor Paul Schröder*Köln, Albert Hanke*Berlin, Ludwig Angerer*München, Jansen*Felderhofer* brücke (Siegkreis), Heinrich Groth*Altona, Pro* fessor Max Körner*Nürnberg, Professor Gustav Wietbuechter*Barmen.« Ich nehme an, daß die 3 Preise zusammen 3000 M. betragen, das wären mit den 7 Ankäufen ä 300 M. 5100 M. Für diesen Betrag und weniger hätte die Ausschreiberin mit Sicherheit von 10 bis 20 aus» gewählten Künstlern Skizzen und einen guten Plakatentwurf erhalten können. Jetzt mußten 970 Arbeiten mit mehr oder weniger Können, mit mehr oder weniger Fleiß und Mühe geschaffen werden, damit 10 Auserwählte im ganzen 5100 M. er* halten — 5 100 M. für 970 Arbeiten — welche Kraft*, Geld*, Zeit* und Materialverschwendung! Welch’ Unsumme von Enttäuschungen, und dabei ist noch 73