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E I N F Ä L L E JULIUS STEINER GEBRAUCHS. GRAPHORISMEN Das waren noch herrliche Zeiten, als die Kunst nach Brot — ging! Heute muß sie einen Marathon* lauf danach rennen. Das Wort Talent kommt aus dem Griechischen und bedeutete ursprünglich Geld. Es ist daher nicht zu verwundern, daß das zumeist ökono* mische Schicksal so selten einem Sterblichen Talent und Talent gibt. $ Die höchsten Punkte der Erde ragen nicht aus der Ebene empor. In mächtigen Gebirgszügen steigen viele Gipfel zum Himmel, und die hoch* ste Spitze ist nur um w eniges höher als die nächst* hohen und kann als solche nur aus großer Ent* fernung erkannt werden. Hingegen erscheinen unbedeutende Berge, die sich aus dem Flachlande erheben, über Gebühr eindrucksvoll und bedeutend. So ist es mit den Gipfeln der Kunst. Die unheilvolle Geburt der Kunstausstellungen und Kunsthändler hat die Kunst »auf Vorrat« — soll heißen: »freie« Kunst — geschaffen. Früher war alle Kunst »Gebrauchskunst«, da jede künst* lerische Produktion an einen bestimmten Zweck und einen bestimmten Auftrag geknüpft war. * Lieber das Plakat an der Säule als das Gemälde auf dem Dachboden. * Wer den Rosen nicht ehrt, ist des Bernhard nicht wert. * Ist die Architektur »gefrorene Musik«, so muß ein Messestand ein gefrorener Schlager sein. Der Karikaturist ist der Pessimist unter den bildenden Künstlern. $ Es gibt nur gute Skizzen. Aller Anfang ist leicht. * Das kleinste Talent wird durch Arbeit ständig vergrößert. — Also muß jeder Kunstbeflissene in einem bestimmten Zeitraum Meister werden? — Gewiß! Nur währt unser Leben, wenn es hoch kommt, 70 Jahre, und das reicht in den meisten Fällen nicht aus. $ Ein effektvolles Plakat an der Säule macht unsterb* lieh —: für 24 Stunden! * Es ist ein Irrtum, zu glauben, der Werbekünstler müsse die Gabe haben, das zu machen, was die große Menge bestrickt. In Wirklichkeit muß er nur das Talent besitzen, einen Einzigen — den ge* wohnlich völlig kunstunverständigen Auftrag* geber — bestricken, verblüffen, bezaubern und er* schrecken zu können. Das erklärt manchen Erfolg. $ Wer seine Schöpfungen jederzeit, auch nach längstem Arbeiten daran, völlig objektiv betrachten und beurteilen kann, ist ein Meister. $ Könnten wir unsere eigenen Arbeiten so sehen, wie die unserer Kollegen, wären wir alle Genies. * Der Plakatkünstler ist der Feuilletonist der bil* denden Kunst. Man verzeihe es, wenn die Künstler, deren ganzes Dasein doch ein Kampf um die gute Form ist, dieselbe an sich selbst so oft vernachlässigen. # Hat ein Künstler eine unschöne Frau, so sagen die Kollegen, er habe schlechten Geschmack. Das stimmt nicht immer. Oft ist zu sagen, daß die wunderschönen Frauen einen guten Geschmack haben: nämlich die, welche ihn nicht genommen haben. $ Ein noch so fernes Ziel, an das ein Vordermann schon gekommen ist, erreichen noch viele andere verhältnismäßig leicht. Jeder Schritt darüber hin* aus kostet tausendfache Anstrengung. # Fragt dich ein Künstler, ob in seiner Arbeit ein Fehler stecke, und bemerkst du tatsächlich einen, so überlege genau, ob der Kollege im Innern den Fehler kennt oder nicht. Im ersteren Falle mache ihn darauf aufmerksam. 15