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wuchs liegt eine Gefahr in der unverstandenen Nachahmung gewisser Absonderlichkeiten, die nur rein modisch erfaßt werden, was zahlreiche mißglückte Arbeiten beweisen können. Die Ausstellung in Dresden zeigte Druckarbei ten aus allen Aufgabengebieten des Buchdrucks, soweit die neuen typographischen Grundsätze angewandt sind, und gab ausreichend Gelegen heit, ein früheres Urteil nachzuprüfen. Beteiligt waren die Druckereien: Otto Elsner und Eras- rausdruck, Berlin; A. Wohlfeld, Magdeburg; Förster & Borries, Zwickau i. Sa.; Wilhelm Adam, Chemnitz; Wilhelm Limpert und Wil helm Yolkmann, Dresden; Hoffmann & Reiber, Görlitz; Englert & Schlosser, Frankfurt a.M. Ferner waren einige Schweizer Firmen, das Dessauer Bauhaus, der Verlag Hesse & Becker, Leipzig, und der Phöbus-Palast, München, mit Druckarbeiten, Büchern oder Plakaten vertreten. Völlig überholt scheinen die Drucksachen des Bauhauses zu sein, die in ihrer abstrakten, ein seitigen Gestaltung keinerlei Fortschritte zei gen, und zum Teil schon heute als direkt un sachlich und modisch auffallen. Erfreulich fest zustellen ist die vornehme Gestaltung kauf männischer Drucksachen, die sich freihalten von jenen Plakatformen, die so häufig in falscher Anwendung auf Briefbogen jede zweckvolle Mitteilung erschlagen. Die stärkstenW irkungen bringt dieneueTypo- graphie den Werbedrucksachen der Industrie; bei ihnen geht die auf Photomontage beruhende, sachliche Bildwiedergabe auf das glücklichste mit den Textanordnungen zusammen, was mit den alten Mitteln nicht möglich war. Auch Inse rat und Buchhandelsanzeige haben durch die neuen Formgesetze gewonnen, während sie für che Drucksachen im Dienste der Geselligkeit seltener die passende Ausdrucksform abgibt. Die Ergebnisse leiden häufig unter ihren Herb heiten und befriedigen nicht. Für die innere Gestaltung des Buches können die Grundsätze der neuen Typographie immer nur eine beschränkte Anwendung finden; mit Ausnahme der äußeren Hülle und des Einban des, die an Wirksamkeit gewinnen, führen wei tergehende Versuche abstrakter Gestaltung zu störenden Absonderlichkeiten. Das Buch hat unbedingt eigene Ansprüche zu stellen und ver langt zu allererst eine disziplinierte Verwen dung der gutgeformten Drucktype: individua listische Gestaltung stört nur zu leicht die Auf nahme des Inhalts und verärgert den Leser. Von den wenigen Fachzeitschriften, die die neue Typographie mit Glück anwandten, ist außer der schönen Schweizer Architekturzeit schrift „Das Werk“, „Das neue Frankfurt“ zu nennen, besonders wegen der vorbildlichen Bil deranordnung. Neuerdings zeigt „Kunst und Handwerk“, die Zeitschrift der süddeutschen Kunstgewerbe vereine, eine neue typographische Anordnung, die nach jeder Richtung hin als vorbildlich gelten kann. Bedenken erweckt aber die neue Typographie überall im Anzeigenteil, wo die unvermeidliche Gleichförmigkeit der Seiten den Werbewert des einzelnen Inserats aufhebt. Hier wird des halb größere Abwechslung gerade von der Zweckbestimmung erzwungen werden. Die neue Plakatgestaltung, die durch wert volle Beispiele vertreten war, bedient sich gern der Photomontage, das heißt photographische Bildaufnahmen werden in Ausschnitten oder mosaikartigen Gruppierungen mit Schriftgrup pen zusammen „montiert“. Es zeigt sich aber, daß derartigen Lösungen jede Fernwirkung mangelt, und deshalb ist nicht anzunehmen, daß der bisherige Plakatcharakter mit seiner anders gearteten, mehr malerischen Auffassung durch die Photomontage ganz verdrängt wird. Die — teilweise recht guten — Kinoplakate des in München arbeitenden Leipzigers Tschichold werden für die Mehrzahl der Kinobesucher kaum verständlich und zu wenig anreizend sein. Besondere Erwähnung verdient aberTschi- cholds bestes Kinoplakat: „Laster der Mensch heit“, das mit den Mitteln der Photomontage in hohem Maße eine Vergeistigung des Vorwurfs errreiclit hat. Ein gutes Plakat für einen Zü richer Schneider, das nähende Hände in einem vergrößerten photographischen Bildausschnitt zusammen mit vorbildlicher Schrift zeigt, übt eine außer ordentlich fesselnde Wirkung aus und läßt neue Möglichkeiten für das Werbepla kat erkennen. Das beweisen ähnliche — unter seinem Einfluß entstandene — Plakate, u. a. das eines Dresdener Schneiders. Zum Schluß ist zu sagen, daß die neue Typo graphie eine wertvolle Bereicherung der Aus drucksmittel des Buchdrucks bedeuten kann, wenn sie die erkennbaren, gesunden Grund ideen ausbaut und sich von modischen Gewalt samkeiten freihält; dann wird sie ganz von selbst zu einer organischen Fortsetzung alter Buchkultur werden und in dem Willen zur Ein fachheit und Zweckerfüllung Schule machen. 29