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geschätzt, war doch kein ganz Großer. Aber wie tüchtig ist das Bild, wie lebensvoll und sicherlich auch lebenswahr. Dieser Leopold Ull stein ist der Repräsentant einer ganzen Gene ration, jener Generation tüchtiger Männer, denen wir den beispiellosen Aufstieg Deutsch lands in den 70 er , 80 er und 90 er Jahren verdanken. Bieder, etwas behäbig, klaren Auges, durchaus nicht interessant gemacht, ohne jede Pose blickt uns der Begründer des Welthauses entgegen. So sahen die Repräsentanten der oppositio nellen Politik und des Handels damals aus: der alte Liebknecht, der in dem vorliegenden Werke mehrfach erwähnte Eugen Richter und Wal deck, dessen Bildnis noch heute das Foyer des Ullsteinhauses an der Kochstraße ziert. Man könnte versucht werden, zwischen dem Bilde des Vaters und dem ebenfalls dem Buche bei gefügten Gruppenbildnis der Söhne Ullsteins von Willy Jäckel Vergleiche zu ziehen. Zwei Bilder, zwei Welten. Bei Betrachtung des alten Porträts fühlt man die ganze wohlige, doch noch etwas spießbürgerliche Gemütlichkeit des 19. Jahrhunderts, vor Jäckels Bild wird einem frostig zumute, wenn auch Jäckel wahrschein lich talentvoller ist als es Oskar Begas war. Die fünf Herren — jeder einzelne vortrefflich ge malt — sitzen um d en Verhandlu ngstisch, als brii- teten sie über ein Ultimatum. Unter den übri gen Porträts finden wir eine große Reihe be kannter und berühmter Namen. Die Abbildun gen bestehen aber nicht nur aus Bildnissen. Be triebsaufnahmen wechseln mit historisch ge wordenen Extrablättern, Geburtsanzeigen be rühmter Männer mit photographischen April scherzen. Die Gebrauchsgraphik ist durch Pla kate und Inserate von Hohlwein, Edmund Edel und Koch-Gotha vertreten, um nur die Promi nentesten zu nennen. Die technische Ausfüh rung des Buches ist ebenfalls mustergültig. T. Sch. DAS SCHAUFENSTER ALS ERZIEHER Der Wille zur allgemeinen Qualitätsverbes serung in allen Warenherstellungsgebieten be schränkt sich heute nicht mehr allein auf die innere Qualität der Ware, sondern vielmehr auch auf die äußere Form. Überall ist man be strebt, jeder Ware ein gefälliges und ästhetisch gutes Aussehen zu geben. Wir müssen zum min desten anerkennen, daß dieser Wille überall vorhanden ist. Wenn es noch nicht immer ge lingt, wirklich Schönes hervorzubringen, so liegt dies eben daran, daß der Begriff Schönheit kein absoluter ist, sondern daß über den allgemein anerkannten Durchschnitt hinaus der Begriff des Schönen absolut individuell ist. Trotzdem muß aber anerkannt werden, daß gerade die neuere Zeit sehr viele und schöne Formen be sonders in Gebrauchsgegenständen hervorge bracht hat. Die Massenherstellung durch die Maschine ist dieser Entwicklung eher förderlich als hinderlich gewesen. In den Ateliers der gro ßen Textil werke werden kunstgewerbliche Er zeugnisse von sehr beträchtlichem Werte ge schaffen. Die gesamte Modeindustrie überbietet sich im Schönen und Geschmackvollen. Alle diese Dinge mit der Masse des Publikums in Verbindung zu bringen, ist Aufgabe des Schau fensters, d. h. also, daß das Schaufenster der Ausstellungsraum der gesamten kunstgewerb lichen Produktion ist oder richtiger: das Schau fenster ist der Demonstrationsplatz für den Willen zum Schönen. Bedenken wir nun, daß in allen Großstädten beinahe jedes Haus min destens ein Schaufenster hat, und daß selbst das letzte Dorf irgendeine Warenauslage dem Publikum vorführt, dann müßten wir nach dem Grundsatz, daß nur das Beispiel erziehen kann, eine Geschmackskultur haben, wie noch nie eine Zeit vor uns. Wenn man ganz allgemein auf die Dekoration des Schaufensters das gleiche Ge wicht legen würde wie auf die Herstellung der Waren, so wäre das Schaufenster ein Erzie hungsmittel, wie es überhaupt kein anderes gibt. Dabei ist es nicht nur ein Wille zum Schönen, sondern es geschieht ja auch aus Geschäftsklug heit. Wenn erst alle Schaufenster bis in den letzten Vorstadtwinkel hinein ebenso geschmack voll und richtig dekoriert werden, wie die Aus lagen der großen Konfektionshäuser, dann muß es auch mit der geschmacklichen Entwicklung der Massen sehr bald besser werden. Von die- 26