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daß unser Stil sich dem Zeitalter anzupassen habe, wird es nicht dahin bringen, die so zart umhegte Pflanze abhauen zn können. Denn dieser Angriff, wie er von den Anhängern der elementaren Typographie gegen die sogenannte „Burschoa“-Typographie gerichtet wird, wird in sich zusammenbrechen. Freilich ist eine wich tige Voraussetzung für die Weiterentwicklung unserer Schriftkunst zu machen: unser Volk muß einen gewissen Wohlstand erhalten, es muß sich wieder ein Mittelstand bilden, wie wir ihn bis zum Ausbruch des Weltkrieges hatten. Die ser Mittelstand muß der Träger auch unserer Freude am schönen Buche werden, ja unser gan zes Volk muß zu dieser Freude an der schönen Schrift erzogen werden und nicht etwa nur der Schrift am Buche, sondern auch der schönen Handschrift, der schönen Schrift im öffentlichen Verkehr: im Plakatwesen, in den öffentlichen Gebäudeinschriften, Firmeninschriften usw. Leider sieht immer noch ein großer Teil unseres Volkes in allen solchen Gedanken etwas Über flüssiges und bezeichnet alles über das Zweck mäßige Flinausstreben als Luxus, der nur für die Reichen bestimmt sei, wie man ja überhaupt in der großen Masse der europäischen Menschheit die fest gewurzelte Meinung findet, daß Schrift nur etwas Zweckmäßiges sei, sie habe nur die Aufgabe, Gedanken, und wenn es hoch kommt, schöneWorte zu vermitteln. Daß aber selbstTy- pographen sich auf diesen Standpunkt des Vol kes stellen, eben von der Irrlehre ausgehend, unser Zeitalter müsse einen seinem Charakter entsprechenden Stil auch in der Typographie haben, ist etwas recht Befremdliches und bisher Unerhörtes. Wir werden das Gesicht unserer Zeit erst ver stehen, und das Verständnis für die Aufgaben der Typographie unserer Zeit erst gewinnen, wenn wir unseren Blick auf die vergangenen Jahrhunderte deutscher Typographie zurück wenden. Wie kam denn der deutsche Drucker in den Besitz der Schriftarten, mit denen er heute noch arbeitet, und welche Wandlungen haben sich im Schriftgeschmack vollzogen, Wandlungen, die von Einfluß auf unsere heutigen Anschauungen gewesen sind? Mit einer einzigen Schriftart, der Textur (Go tisch) trat um 1450 die Schriftgießer-Buchdruk- kerkunst ins Leben, mit einer Schriftart, mit der man wissenschaftliche, liturgische und andere religiöse Texte damals in Deutschland und den westeuropäischen Ländern zu schreiben pflegte. Gutenberg selbst hatte es schon gefühlt, daß die Buchdrucker mit dieser Schrift allein nicht aus- kommen würden, er schnitt daher zum Druck der Ablaßbriefe eine Schrift, die sich der Ge brauchshandschrift derZeit näherte. Hier in der Anlehnung an die Schriften, wie sie von den deutschen Schreiblehrmeistern gepflegt wur den, liegt der Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung, die zur Schaffung der Schwaba cher, Fraktur und Kanzlei führen sollte. Die ihnen fremden Schriftarten: lettera antiqua und Rotund haben clie Deutschen zunächst gar nicht geschnitten, sondern Stempel und Matern aus Italien eingefülirt. Die Schwaben sind es gewesen, die Guten bergs Bestrebungen auf nahmen, sie schenkten den Deutschen clie Schwabacher, sie haben aufs stärkste die deutsche Typographie beeinflußt. Erhard Ratold, ein gebürtiger Augsburger, der fast ein Jahrzehnt in Venedig die Druck kunst ausgeübt hatte, brachte von dort (1487) einen verfeinerten Geschmack nach Augsburg mit, er führte nicht nur clie Antiqua in vollende ter Form, wie sie clie Renaissanceschreibmeister und die Llumanisten ausgebildet hatten, son dern auch die Rotund, clie eine in Italien schon fast zwei jalirhunderte gepflegtegotische Schrift war, ein. Mit dieser Rotund druckte er zahl reiche liturgische Werke in satz- und drucktech nisch hervorragender Ausführung. Diese Schrift lebte in der sog. Wittenberger Schwabacher noch im ganzen 16. Jahrhundert weiter. Schon vor ihm (1472) hatte aber Günther Zainer des Thomas a Kempis „Nachfolge Christi“ mit einer aus Italien stammenden Antiqua gedruckt, uncl von Augsburg aus wurde dann die Antiqua nach anderen deutschen Druckorten verbreitet. Augs burg sollte aber auch der Geburtsort für die Schwabacher werden. Die Schöpfung der Schwa bacher ist dem Drucker Johann Bämler zu ver danken. Mit vollem Bewußtsein hatte er sich an die Gebrauchsschrift der Zeit, wie sie bei der Herstellung der deutschen Volksbücher ange wandt wurde, angelehnt und offenbar tat er das in der Überzeugung, daß die Textur für Bücher populären Inhalts nicht clie geeignete Schrift sei. Und er druckte 1472 als erstes Werk mit der von ihm augenscheinlich eigenhändig geschnit tenen Schrift die erste deutsche Ausgabe eines damals sehr beliebten und schon vor ihm mehr fach in anderen Sprachen gedruckten Hand buchs für Priester, der Summa Confessorum; 20