IV. Deutsche ›Privatpressen‹

1. Janus-Presse

Der Maler, Schriftentwerfer und Buchgestalter Walter Tiemann (1876– 1951), seit 1903 Dozent an der ›Staatlichen Akademie für Graphische Künste‹ in Leipzig, gründete 1907 ebendort zusammen mit seinem Freund, dem Drucker und Verleger Carl Ernst Poeschel (1874–1944), die nach eigener Aussage »erste Privatpresse in Deutschland«. »Das Hauptgewicht ihrer Tätigkeit«, so heißt es weiter in der Ankündigung der Presse, »legt sie, wie die bekannten Pressen des Auslandes […] auf die künstlerische Durchbildung des Buches. Dem sorgfältigen Schnitt der Type und den drucktechnischen Vorzügen wird die Güte des Papiers und der Einbandstoffe entsprechen«. Damit bekannte sich die Presse zu den auf die typographische Gestaltung ausgerichteten Idealen der englischen Pressen in der Art der Doves Press; Poeschel hatte 1904 in England mit Edward Johnston, Douglas Cockerell, Eric Gill und Emery Walker bedeutende Vertreter der Privatpressen-Bewegung kennengelernt. Als einzige Schmuckelemente wurden Titel, Überschriften, Initialen und Signet in Rot gedruckt. Es erschienen fünf Bücher, die aus der von Tiemann nach einem Vorbild von Nicolas Jenson entworfenen Janus-Pressen-Schrift gesetzt wurden. Die Presse unterhielt keinen eigenen Betrieb, sondern arbeitete in der Offizin Poeschel & Trepte. Den Satz führte Poeschel aus. Nur die beiden ersten Drucke (IV.1–2) wurden von ihm selbst auf der Handpresse, die späteren unter seiner Leitung auf der Schnellpresse gedruckt. Bereits der dritte Druck (1918) wurde vom Insel-Verlag verlegt. Typographisch und künstlerisch blieb die Presse jedoch in den Händen der Gründer. Die verlegerische Betreuung und den Vertrieb übernahm der Insel-Verlag. Nach dem Erscheinen von Chamissos ›Peter Schlemiels Schicksale‹ (IV.3) wurde der Betrieb eingestellt.

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2. Ernst Ludwig Presse

Nur wenige Monate nach der Janus-Presse gründete Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein 1907 im Zusammenhang mit seinen kunstgewerblichen Reformbestrebungen als Teil der ›Darmstädter Künstlerkolonie‹ die Ernst Ludwig Presse. Als künstlerischer Leiter wurde Friedrich Wilhelm Kleukens (1878–1956) berufen, der bereits mit Fritz Helmuth Ehmcke und Georg Belwe die Steglitzer Werkstatt geführt hatte; von ihm stammen neben den verwendeten Schriften auch die Titelentwürfe und Initialen der ersten Drucke. Sein Bruder Christian Heinrich Kleukens (1880–1955) war für den technischen Ablauf, für Satz und Druck sowie für die Textauswahl zuständig. Während die ersten vier Drucke aus der von Heinz König 1888 gezeichneten Römischen Antiqua gesetzt wurden, verwendete man für die folgenden Drucke ausschließlich die von Friedrich Wilhelm Kleukens entworfenen Schriften. Die Gestaltung der Bücher konzentrierte sich, in der Tradition der englischen Pressen, weitgehend auf typographische Mittel. Der Buchschmuck beschränkte sich auf die Titelseiten, die in den ersten Drucken noch Anklänge an den Jugendstil aufweisen, und auf ornamental verzierte Initialen, die auch in Grün gedruckt oder in Blattgold ausgeführt wurden. Die verlegerische Betreuung der Presse besorgte der Insel-Verlag in Leipzig.
1914 verließ F. W. Kleukens die Presse und gründete 1919 die Ratio-Presse,während sein Bruder im selben Jahr in Frankfurt a. M. die Kleukens-Presse ins Leben rief und 1920 Pächter der Ernst Ludwig Presse wurde, die er bis 1944 führte.

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3. Bremer Presse

Die Bremer Presse, »die Königin der deutschen Privatpressen« (Chr. H. Kleukens), wurde 1911 in Bremen von Willy Wiegand (1884–1961) und seinem ehemaligen Schulfreund Ludwig Wolde (1884–1949) gegründet, wobei Wiegand die drucktechnische und Wolde die literarische Leitung innehatte. Literarisch beraten wurden sie zudem von Rudolf Alexander Schröder, Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Borchardt. 1919 zog die Presse nach Bad Tölz und 1921 nach München.
Die einzigartige Bedeutung gerade dieser Presse ergibt sich aus der exzellenten Qualität ihrer Drucke, die in Anlehnung v. a. an die Doves Press in der Regel rein typographisch gestaltet sind und auf Illustrationen verzichten. Einziger Schmuck sind die von Anna Simons, Schülerin des englischen Schriftkünstlers Edward Johnston, entworfenen Titel und Initialen. Entsprechend dem bereits von Morris vorgelebten Anspruch, alle Arbeitsgänge in einer Werkstatt zu vereinen, druckte die Presse ausschließlich mit eigenen, von Wiegand gestalteten Schriften. Sie wurden von Louis Hoell geschnitten, der bereits die Eckmann- und Behrens-Schrift ( III.31–33) und später auch die Schriften von F. H. Ehmcke (IV.26–30) und die Futura von Paul Renner (II.30) schnitt. Auch die Einbände wurden in der eigenen Buchbinderei unter Leitung von Frieda Thiersch erstellt.
Die Bremer Presse druckte jedoch nicht nur bibliophile Bücher auf Handpressen. Sie veröffentlichte auch typographisch hochwertige, preiswerte Bücher über den 1922 gegründeten eigenen Verlag. Gesetzt in der Werkstatt der Presse aus den Originalschriften, wurden sie auf normalem Werkdruckpapier in befreundeten Druckereien mit der Schnellpresse gedruckt (IV.36).
Die Werkstatt der Bremer Presse wurde 1944 bei einem Fliegerangriff auf München zerstört.

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4. Officina Serpentis

Wie die Bremer Presse wurde auch die Officina Serpentis von einem Bibliophilen gegründet, der nicht aus dem Buch- oder Kunstgewerbe stammte. Eduard Wilhelm Tieffenbach (1883–1948) arbeitete nach dem Studium der Mathematik und Physik am Telegraphen-Versuchsamt in Berlin-Charlottenburg. 1911 gab er seinen Beruf auf und wandte sich als Autodidakt zusammen mit seiner Frau Erna dem Handpressendruck zu. Wie William Morris orientierte sich sein ästhetisches Ideal an mittelalterlichen Handschriften und Inkunabeln. Ab 1913 firmierte die Werkstatt in Berlin-Steglitz unter dem Namen ›Officina Serpentis‹. Noch im selben Jahr entwarf Tieffenbach in engem Anschluss an Schriften aus der Inkunabelzeit, vor allem von Peter Schöffer und Friedrich Creußner, eine eigene Schrift, die bei der Bauerschen Gießerei gegossen und für die Mehrzahl seiner Drucke verwendet wurde. Für seine griechische Schrift (IV.17, IV.20) verwendete er eine Unziale, die bei dem von Konstantin von Tischendorf 1862 herausgegebenen ›Codex Sinaiticus‹ eingesetzt wurde. Beim Satz wurde das Ehepaar von Margarete Hoffmann unterstützt, die Handpresse bediente Tieffenbach selbst.
Häufig schmücken die Texte rote oder mehrfarbige Initialen und Randleisten, die entweder farbig eingemalt oder als Holzschnitte gedruckt wurden. Daneben wurden einige Drucke auch von Künstlern wie Max Liebermann, Lovis Corinth, Marcus Behmer oder H. Th. Hoyer illustriert. Zunächst verlegte die Offizin ihre Drucke selbst, ab 1920 besorgte dies der Rowohlt-Verlag. Neben eigenen Drucken übernahm die Offizin auch Aufträge von anderen Verlagen oder bibliophilen Gesellschaften, wie etwa der Maximilian-Gesellschaft (IV.18, IV.20). Insgesamt entstanden etwa 200 Titel. Der letzte Druck erschien 1938.

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5. Rudolfinische Drucke

Im Jahre 1911 schloss sich der Schreiber und Schriftzeichner Rudolf Koch (1876–1934) mit Rudolf Gerstung, dem Inhaber der Druckerei Wilh. Gerstung in Offenbach a. M., zur Herausgabe der ›Rudolfinischen Drucke‹ zusammen. Bis 1924 erschienen Einblattholzschnitte, Buchdrucke und Blockbücher (IV.25). Nach eigener Aussage war ihr Ziel »in gemeinsamer Arbeit Bücher zu schaffen, die hinsichtlich der handwerklichen Gediegenheit und hinter nichts Ähnlichem zurückstehen sollen, die aber durchaus alles Ästhetenhaft-Schwächliche und Liebhabermäßig-Luxuriöse vermeiden wollen«. Gedruckt wurden die Bücher in der Druckerei von Gerstung.
Koch war seit 1906 künstlerischer Berater der Offenbacher Schriftgießerei Gebr. Klingspor und unterrichtete seit 1908 an der dortigen Kunstgewerbeschule. Zu seinen bekanntesten Schülern zählen Gotthard de Beauclair (V.1–7), Herbert Post, Berthold Wolpe und Ernst Kellner, der spätere künstlerische und technische Leiter der Offizin Haag-Drugulin (V.26–29). Für Koch und die von ihm geprägte ›Offenbacher Schule‹ »ist Schrift und Typographie nicht Mittel zum Zweck der Mitteilung, sondern Mittel zum Zweck des Ausdrucks, der subjektiven persönlichen Aussage. […] Nicht die gepflegte, immer aufs Neue überarbeitete Form des Buchstabens und des Wortes wird in Offenbach angestrebt, sondern das spontan und kraftvoll hingesetzte Schriftbild, oft ruppig und scheinbar zufällig, immer ausdrucksgeladen. Träger des Ausdrucks ist vor allem die Fraktur« (H. P. Willberg). Daraus ergab sich der zum Teil sehr individuelle Charakter der Rudolfinischen Drucke. Die acht veröffentlichten Bücher wurden zudem aus von Rudolf Koch entworfenen Schriften gesetzt, die Initialen oft mit der Hand eingemalt. 1926 wurde die Presse aufgegeben.

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6. Rupprecht-Presse

Mit der Gründung der Rupprecht-Presse – benannt nach dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht –, im Jahre 1914 in den Räumen der Münchner Kunstgewerbeschule erfüllte sich Fritz Helmuth Ehmcke (1878–1965) einen während seiner Tätigkeit in der Steglitzer Werkstatt (III.28–30) gehegten Wunsch, »schöne Bücher im Sinne Morris’ und seiner Nachfolger zu drucken«. Entsprechend folgte er dem handwerklichen Ideal, die aus eigenen Schriften gesetzten Texte auf der Handpresse auf eigens hergestelltem Büttenpapier zu drucken. Seine Arbeit mit der Handpresse erläuterte Ehmcke folgendermaßen: »Wenn diese Bücher mit der Hand gedruckt werden, so soll ihnen damit nicht nur der Reiz der technischen Unvollkommenheit manueller Arbeitsweise gegenüber der Glätte maschineller Herstellung gesichert bleiben, nicht nur die beim Handdruck erzieltetiefere Prägung der Typen in das Papier diesen Reiz steigern; das sind nur willkommene äußere Zufälle. Es handelt sich vielmehr darum, das Tempo der verschiedenen Arbeitsgänge in einen gleichmäßigen Rhythmus zu zwingen, den ganzen Werdegang des Buches in einen geruhsamen Schritt zu bringen, der es ermöglicht, alle Phasen seiner Entwicklung mit gehöriger Muße die notwendig sich ergebenden Zwischenarbeiten zu erledigen.«
Ehmcke verzichtete grundsätzlich auf Illustrationen, nur gelegentlich verwendete er als Schmuck von ihm oder von Anna Simons gefertigte Holzschnitte und Initialen. Auch die Einbände wurden von Ehmcke entworfen und seit 1923 in der Kunstgewerbeschule gebunden. Bedingt durch den Krieg wurde der erste Band (IV.26) erst 1918 vollendet. Bis zur Schließung der Offizin 1934 erschienen 57 Drucke, die zunächst von Walter C. F. Hirth, seit 1922 bei der C. H. Beck’schen Verlagsbuchhandlung verlegt wurden.

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7. Kleukens-Presse

Christian Heinrich Kleukens, der bis zum Ersten Weltkrieg für die Ernst Ludwig Presse (IV.5–10) tätig gewesen war, verließ diese nach dem Krieg und gründete 1919 zusammen mit dem Schriftsteller Rudolf G. Binding, der auch für das literarische Programm zuständig war, die Kleukens-Presse. Die Buchhandlung Tiedemann & Uzielli besorgte den Vertrieb. Bis 1923 erschienen 12 Drucke, die Christian Heinrich Kleukens aus seiner ›Kleukens-Antiqua‹ setzte und auf der Handpresse druckte, zunächst in Nieder-Ramstadt bei Darmstadt, ab 1920, als Kleukens in den Pachtvertrag über die Ernst Ludwig Presse eingetreten war, wieder im Ernst-Ludwig Haus auf der Mathildenhöhe. Titelzeichnungen und Initialen stammen von Hans Schreiber.
In ihrer schlichten typographischen Gestaltung und ihrem sorgfältigen Druck schließen die Bücher an jene der Ernst Ludwig Presse an. Wie diese will die Presse, so heißt es in der 1919 veröffentlichten Ankündigung, »bewußt dem spielerischen, wahllosen, snobistischen, merkantilen, abgegriffenen Gebaren der vielen schaustellenden Sonderdarbietungen entgegentreten, die den Interessen und der Anteilnahme des wahren Bücherfreundes stracks zuwiderlaufen«. Nur zwei Werke, darunter der hier ausgestellte 7. Druck, das ›Evangelium Sanct Johannis‹ (IV.32), wurden illustriert mit farbigen Holzschnitten von Kay Nebel. Gebunden wurden die Drucke seit 1922 von Ernst Rehbein in der Kleukens-Binderei in Darmstadt in Pergament oder Pappe als Interimsbände.

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8. Eginhard-Presse

Die Eginhard-Presse wurde 1913 von Ernst Birkner, Lehrer an der Kunstgewerbeschule Aachen, und Max Kirdorf »aus Freude am schönen Buch« (Rodenberg) in Aachen gegründet; nach dem Tod Kirdorfs 1923 führte Birkner sie alleine weiter. Den Vertrieb übernahm die J. A. Mayer’sche Buchhandlung in Aachen. Veröffentlicht wurden deutsche Dichter des späten 18. und des 19. Jahrhunderts: Lessing, Goethe, Hebbel, Chamisso und Storm. Den Satz und den Druck auf der Handpresse führte Ernst Birkner aus. Die ersten sechs Drucke wurden aus der Weiß-Fraktur gesetzt, später kamen Antiqua-Schriften von Tiemann und Kleukens hinzu. Zanders lieferte das Eginhard-Velin-Bütten mit dem Wasserzeichen der Presse. Die Drucke wurden rein typographisch gestaltet, auf Illustrationen wurde verzichtet. Als Einbände wurden meist Interimspappbände mit verschiedenen Überzugspapieren gefertigt.

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9. Drucke des Argonautenkreises

Von 1920 bis 1923 veröffentlichte der Heidelberger Verlag Richard Weißbach insgesamt fünf ›Drucke des Argonautenkreises‹ mit Texten von Jean Paul, Ernst Blass, Christoph Martin Wieland, Nikolai Gogol und Charles Baudelaire. Den sorgfältigen Satz und Druck der Texte auf Zanders-Bütten führte die Offizin W. Drugulin in Leipzig mit verschiedenen Schriften aus ihrem Fundus aus. Die Lithographien der ersten vier Drucke von Walter Becker (IV.40) und Rudolf Schlichter druckte Friedrich Hornung in Heidelberg.

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10. Avalun-Drucke

1919 gründete Julius Brüll in Wien und Leipzig den Avalun-Verlag und zog 1923 nach Dresden-Hellerau. Bedeutend sind vor allem die von ihm herausgegebenen Pressen-Drucke, in denen neben Werken der Weltliteratur auch zeitgenössische Autoren veröffentlicht wurden. Die bis 1926 erschienenen 41 Avalun-Drucke sind mit Originalgraphiken illustrierte Bücher, Mappen und Einzelblätter, bei denen besonders auf die Übereinstimmung von Typographie und Illustration geachtet und die von den renommiertesten Druckereien der Zeit gesetzt und gedruckt wurden, u.a. bei Drugulin, Poeschel & Trepte, der Österreichischen Staatsdruckerei, Joh. Enschedé en Zonen oder später größtenteils bei Jakob Hegner in Dresden. Illustriert wurden sie von Künstlern wie Hugo Steiner-Prag, Max Slevogt, Karl Rössing oder Lovis Corinth, der den in der expressiven Mendelsohn- Schrift gesetzten und hier ausgestellten 31. Band (IV.41) mit Lithographien ausstattete. Die Offizin von Hegner, in welcher der Band gedruckt wurde, lag seit 1910 in der Gartenstadt Hellerau bei Dresden und arbeitete auch für andere Verleger wie etwa Paul Cassirer, Ernst Rowohlt oder Lambert Schneider, und nahm damit auch, wie etwa die Bremer Presse, unmittelbar Einfluss auf die Gestaltung des Verlagsbuches.

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