Das Konzept der Freizeit

Eine andere Strategie zur Definition der Zielgruppe, die in zeitgenössischen Werbungen sehr prominent ist, besteht in der Verbindung des Produkts mit der Freizeit. In den 1920er Jahren kommt es zu einer gesetzlich verankerten Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die Einführung des Achtstundentags führt dazu, dass viele Menschen erstmals über Freizeit verfügen. Es entsteht eine klare Trennlinie zwischen freier Zeit und Arbeit und damit zwischen Vergnügen und Pflicht. Diese freie Zeit will ausgefüllt werden und wird selbst wieder zu einem Konsumgut, das den eigenen Lebensstil zum Ausdruck bringen soll (Schwarz 2016). Da die Berufstätigkeit viele Freizeitangebote für Frauen erstmals erschwinglich macht, ist die Freizeitgestaltung auch eng mit der zeitgenössischen partiellen Emanzipation der Frau verknüpft. Als Fortbewegungsmittel, das das Unternehmen von Ausflügen und Urlaubsreisen ermöglicht, wird das Auto in der Werbung zu einem Symbol stilisiert, das Konsum und weibliche Selbstbestimmung miteinander vereint. Besonders deutlich zeigt sich dies in den Werbungen der Sommerausgaben, da das Thema des Reisens und der Freizeit zu dieser Jahreszeit von besonderer Relevanz ist.

Diese Werbung von Brennabor beispielsweise präsentiert junge Frauen, die den Urlaub mit ihren Freundinnen verbringen, während Männer komplett abwesend sind. Die lockere und eher legere Kleidung sowie die entspannte Körperhaltung tragen zum Urlaubs- und Strandgefühl bei und unterstreichen das Freiheitsgefühl, das der Urlaub mit sich bringt. Das Auto wird als Teil eines vom Alltag losgelösten Raums gezeigt, der Freiheit und Entspannung verspricht. Über die modischen Attribute werden zudem bestimmte Stilnormen in Bezug auf die Freizeit vermittelt. Wenngleich eine Vielzahl an Rezipient:innen sich wahrscheinlich keinen Urlaub leisten konnte bzw. dieser gänzlich unterschiedlich aussah, so wird ihnen doch ein zu befolgendes modisches Ideal für die eigene Freizeitgestaltung präsentiert. 

Auf visueller Ebene wird außerdem, zumindest in Ansätzen, auf den in den 1920er Jahren aufgekommenen neuen Frauentyp des Flappers Bezug genommen. Dieser bezeichnet unabhängige, sportliche und tendenziell androgyne Frauen, die ein „leichtes und schnelles Leben“ führen und sich durch ein liberales Beziehungsverhalten sowie die ständige Suche „nach erotischer Abwechslung“ auszeichnen (Portenlänger 2006, 53f). Hier wird also ein bestimmter, bereits über die Medien vermittelter Frauentyp aufgegriffen, der zur Charakterisierung des Produkts beiträgt und selbst wiederum die mediale Konstruktion dieses Frauenbilds fortschreibt. Der Textebene kommt dabei eine wichtige Kontextualisierungsfunktion zu. Die Bezeichnung des Wagens als „treuester Freund“, der die Fahrerin und ihre Begleitung „beschwingt, schnell und sicher“ überall hinträgt, stattet diesen mit menschlichen Eigenschaften aus. Dabei werden einerseits Eigenschaften wie Loyalität, Verlässlichkeit und Freundschaft hervorgehoben, die Konzepte von Männlichkeit aufrufen, in der der Mann vor allem in der Rolle des Beschützers fungiert. Die Zuschreibungen „beschwingt“ und „schnell“ evozieren hingegen Bilder des Tanzens und somit Kontexte der zeitgenössischen Vergnügungskultur. Das Auto ermöglicht der Fahrerin also nicht nur eine gänzlich neue Art der Freiheit, sondern es ersetzt auch den männlichen Begleiter in seiner Funktion als Beschützer und als Vergnügungspartner.
Auch für diese Werbung gilt jedoch, dass sie nicht nur Frauen adressieren muss. Die Freizeitgestaltung war in der Weimarer Republik schließlich nicht Frauen vorbehalten, sondern sie war für Männer ebenfalls von großer Bedeutung. Die Abwesenheit von Männern bedeutet in diesem Kontext also nicht, dass die Werbung diese nicht, wenngleich indirekt, anspricht. Vielmehr werden die Attribute, die mit dem Frauentypen des Flappers assoziiert werden, instrumentalisiert, um bestimmte Vorstellungen von Modernität und (erotischer) Freiheit zu evozieren, die auch Männer ansprechen können. 

Die Werbung von Hanomag hingegen verbindet die ästhetische Komponente mit dem Motiv der Freizeitgestaltung. Wenngleich eine weniger spezifische Zielgruppe angesprochen wird, da das Auto auf dem Bild im Vordergrund steht, wird durch die Frau am Steuer dennoch deutlich, dass die Werbung, zumindest vordergründig, Frauenbilder spiegelt. Die Darstellung einer Gruppe von Freunden mit ihrem Wagen in der Natur setzt das Auto zudem in einen Ausflugskontext und verknüpft es somit mit dem Thema der Urlaub. Der Text setzt die Geschwindigkeit des Wagens weiters mit jener des D-Zugs gleich, womit ebenfalls Bilder des Reisens aufgerufen werden. Der Wagen erlaubt der Fahrerin also, in die Ferne zu fahren und die Natur als Gegenraum zur Stadt zu erleben.
Allerdings legt der Text den Fokus insbesondere auf den ästhetischen Charakter des Wagens. In der Überschrift wird er als „schönste[r] Kleinwagen“ definiert sowie im Text als „elegant“ beschrieben, womit die Ästhetik des Produktes allen anderen Eigenschaften gegenüber priorisiert wird. Die Beschreibung des Wagens als „rassiges Kabriolett“ evoziert hingegen, wenngleich indirekt, sexuelle Kontexte. Während dies als Anspielung auf die Schnelligkeit des Wagens verstanden werden kann, so wird das Attribut „rassig“ auch in Bezug auf temperamentvolle und als erotisch wahrgenommene Frauen verwendet. Auch diese Werbung macht den Konsument:innen also einerseits ein Identifikationsangebot mit den ästhetischen Eigenschaften des Produkts und trägt gleichzeitig wieder zur Konstruktion von Geschlechterbildern bei.

Literatur

Monika Portenlänger: Kokettes Mädchen und mondäner Vamp. Die Darstellung der Frau auf Umschlagillustrationen und in Schlagertexten der 1920er und frühen 1930er Jahre. Marburg 2006.

Angela Schwarz: „Die Erfindung des Wochenendes in der Presse der Weimarer Republik“, in: Katja Leiskau, Patrick Rössler, Susann Trabert (Hrsg.): Deutsche illustrierte Presse. Journalismus und visuelle Kultur in der Weimarer Republik. Baden-Baden 2016, S. 275–304.