Fotografie in der Werbung

von Patrick Rössler

Aus der modernen Werbegestaltung Ende der zwanziger Jahre war die Fotografie kaum wegzudenken. Deswegen gehörten damals auch Fotografen-Portfolios zu den regelmäßigen Rubriken in der Gebrauchsgraphik. Ganz nebenbei leistete sie damit aber auch mehr für die Durchsetzung der »Neuen Fotografie« als manche Fotozeitschrift.

Mitte der zwanziger Jahre sorgten technische Innovationen für wahre Visualisierungsschübe in der modernen Massenkommunikation: Die Kleinbildkamera mit ihrem Rollfilm löste die sperrige Plattenkamera ab, lichtstarke Objektive und portable Blitze ermöglichten Aufnahmen zu Zeiten und Gelegenheiten, die bislang undokumentiert geblieben waren. Rasch setzte sich das Alltagsphänomen Fotografie deswegen auch in der Werbegestaltung durch – denn, wie es der Avantgarde-Grafiker Max Burchartz schon 1926 in der Gebrauchsgraphik (GG 8/1926, S. 42) formulierte, »das lichtbild ist in hohem grade objektiv […] wo es sich darum handelt, ein objektives deutlich erkennbares bild von irgend welchen gegebenheiten zu zeigen, da ist die fotografische aufnahme stets ein geeignetes mittel.« Dennoch: Herausgeber Hermann Karl Frenzel blieb, auch wenn er »der Photographie in der Reklame einen größeren Platz in unserer Zeitschrift« gab (GG 7/1927, S. 21), das »Neue Sehen« zeitlebens fremd, auch hier favorisierte er eine gemäßigte Moderne.

Anders als Konkurrenten wie die Typographischen Monatblätter aus der Schweiz publizierte die Gebrauchsgraphik nie ein eigenes Foto-Sonderheft. Als ihr besonderes Verdienst sind aber unschwer die mehrseitigen Fotografen-Portfolios zu erkennen, die prominente und weniger berühmte Lichtbildner vorstellten, die in der Reklame tätig oder deren Arbeiten zumindest für Werbezwecke adaptierbar waren. Zuweilen handelte es sich dabei um Autodidakten (wie Sasha Stone) und öfters um Bildjournalisten (wie Martin Munkácsi) oder Künstler (wie Man Ray), aber nur in wenigen Fällen tatsächlich um Berufsfotografen aus der Branche wie das Studio ringl + pit (Ellen Rosenberg und Grete Stern). Die Bedeutung dieser Portfolios kann heute kaum überschätzt werden: In einem unübersichtlichen Markt, in dem sich monografische Fotobücher an einer Hand abzählen ließen und Anthologien wie das Jahrbuch »Das deutsche Lichtbild« erst um Anerkennung rangen, waren die opulenten Bilddarbietungen in der Gebrauchsgraphik für viele Ateliers der einzige Weg, sich potentiellen Auftraggebern attraktiv zu präsentieren.

Außergewöhnlich ansprechend gelang dies im Falle des populären Modefotografen George Hoyningen-Huené, dem ausnahmsweise eine eigene Tiefdruck-Beilage mit ihrer satten Schwärze und unerreichten Tonalität huldigte (GG 2/1932). Daß der Hausfotograf der Vogue sein technisches Können »in der Schule der Amerikaner« erworben habe, belegt erneut die internationale Orientierung der Gebrauchsgraphik auch auf diesem Gebiet – zuvor hatte man ja schon den amerikanischen Doyen der Modeaufnahme, Edward J. Steichen, gewürdigt (GG 1/1931). Frenzel war es »gleichgültig, ob der Photograph ein Russe, ein Franzose oder ein Amerikaner ist«, und gleichzeitig unterstreicht die Beachtung des Fashion-Bereichs auch die Breite fotografischer Positionen im Heft, die der Herausgeber schlicht unter »modern« verbucht wissen wollte (GG 7/1931, S. 30). Es fällt insgesamt schwer, aus der illustren Runde der solchermaßen Geadelten einige Portfolios herauszugreifen. Vereinzelt auftauchende Vertreter der Avantgarde (wie John Heartfield, El Lissitzky oder Herbert Bayer) werden im dritten Teil dieser Reihe noch ausführlicher behandelt; deswegen betrachten wir hier exemplarisch die Doppelseiten, die dem Schweizer Sachfotografen Hans Finsler, der jüdischen Porträtistin Yva (Else Neuländer) und den früheren Bauhäuslern Mila und Hanns Hoffmann-Lederer gewidmet waren.

Auf 15 Seiten zeigte die Gebrauchsgraphik im April 1931 insgesamt ebensoviele Arbeiten von Hans Finsler, laut Begleittext einem »wirklichen Könner«, »Photograph und Künstler«. Nachdem er seit 1922 an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle tätig und maßgeblich an der Werkbundausstellung »Film und Foto« 1929 in Stuttgart beteiligt gewesen war, befand er sich auf dem Absprung an die Kunstgewerbeschule nach Zürich, als das Portfolio erschien. Die opulente Präsentation seiner Nahaufnahmen von Konfekt und Textilproben war bei der Eröffnung seines Zürcher Ateliers für Sach- und Werbefotografie sicher hilfreich, ebenso wie die gezeigten Aufnahmen für die staatliche Porzellanmanufaktur in Berlin. »Finsler dichtet mit der Kamera«, endete Eberhard Hölscher seinen Textbeitrag und vier Jahre später sollten dann (in einem Artikel über die Schweizer Szene) auch andere, weniger reklamegeeignete Motive wie das der schlafenden Seniorin auf der Pariser Parkbank, ein »Klassiker« Finslers, abgedruckt werden. Dieses Beispiel verdeutlicht sehr schön, daß Frenzel durchaus darauf bedacht war, die Vielfalt in den OEuvres der Fotografen abzubilden und damit deren professionellen Ansatz zu achten.

Für die Stadt Magdeburg hatten Hanns Hoffmann und seine Frau Mila Lederer unter anderem die Gestaltung der städtischen Drucksachen entwickelt, bevor sie sich in Berlin mit einem Atelier selbständig machten, das auch für das Messe- und Ausstellungsamt der Stadt tätig wurde. Das Gebrauchsgraphik-Portfolio aus dem September 1930 zeigt geradezu prototypisch sowohl Fotografien als auch Inserate; nach Ansicht des Herausgebers Frenzel zeugen diese »werbegraphischen Arbeiten unter Einbeziehung der selbstgefertigten Photographie von bestem graphischen und werbetechnischem Verständnis«. Bezeichnend scheint freilich, daß beider lange Zeit am Bauhaus und die Mitwirkung am Dessauer Neubau damals Frenzel genauso wenig erwähnenswert schienen wie ihre nach wie vor engen Kontakte zu Johannes Itten und Oskar Schlemmer.

Die vielbeschäftigte Berliner Society-Porträtistin Else Neuländer schließlich, deren Studio Yva zu den markantesten Bildproduzenten der Epoche gehörte, war der Leserschaft der Gebrauchsgraphik sicherlich schon aus anderen Publikationen bekannt. Sie lieferte Fotogeschichten als Auftragsarbeiten an auflagenstarke Magazine wie Ullsteins Uhu und ihre stimmungsvollen Aufnahmen von Filmstars und Damen der Gesellschaft wurden in der gesamten Publikumspresse mit großer Regelmäßigkeit als ganzseitge Schmuckbilder abgedruckt. Unter den 13 Aufnahmen, die dem Beitrag der Modejournalistin Margit von Plato, spätere Gattin des Architekten Hans Scharoun, beigefügt waren (GG 11/1931), befanden sich auch etliche der weniger bekannten Reklame- und Sachfotografien des Studio Yva. Später enthielt die Gebrauchsgraphik in ihrem Anzeigenteil sogar einmal ein eingeklebtes Yva-Echtfoto: In der November-Ausgabe von 1935 warben die Graphischen Werkstätten Gerhard & Teltow, Leipzig, für hochwertige Etiketten, die sie beispielhaft auf eine Produktaufnahme Yvas appliziert hatten.

Ironischerweise setzte die Gebrauchsgraphik aber nur selten Fotografien ein, um für sich selbst zu werben. Auf ihren Umschlägen dominierte stets die gezeichnete oder gemalte Illustration im klassischen Sinne – und um so mehr fielen deswegen die Ausnahmen auf: etwa in der Verbindung zwischen Schrift und Bild wie beim Amerika-Heft aus dem Oktober 1926, mit einem lebensecht wirkenden Hummer als irritierende Leistungsschau der Farbfotografie (GG 6/1935), oder im Februar 1940, mitten in den Kriegswirren, als raffinierte Aktaufnahme aus dem Foto-Atelier des stramm regimetreuen Deutschen Verlags. Doch schon der erste Fotoumschlag sollte der vielleicht innovativste bleiben, als Fritz Lewy für das Themenheft Rhein-Ruhr im August 1926 urbane Industriemotive zu einer wilden Stadtlandschaft stapelte – sicher nicht zufällig die berühmten »Metropolis«-Fotomontagen des Ex-Bauhäuslers Paul Citroën zitierend. Aber dies schien fast wieder zu viel der Avantgarde für eine Zeitschrift des gestalterischen Mainstreams, denn Frenzel proklamierte Ende 1932, in seiner Einführung zur Monografie über Hoyningen-Huené, daß das »Neue Sehen« als »Experiment« nun überwunden sei und man sich fortan der »propagandistisch wirksamen Fotokunst« zuwenden solle.

// Quelle

novum. World of Graphic Design, Heft 7 (2014), S. 74-79

Abbildung 3 | Gebrauchsgraphik, Heft 9, 7. Jahrgang (1930), Seiten 64/65, Doppelseite aus dem Portfolio von Mila und Hanns Hoffmann-Lederer

Abbildung 6 | Gebrauchsgraphik, Heft 2, 17. Jahrgang (1940), Cover, Aktfotografie aus dem Atelier des Deutschen Verlags – mitten in Kriegszeiten

Abbildung 7 | Gebrauchsgraphik, Heft 9, 7. Jahrgang (1930), Der Setzer als gespiegeltes Umschlagfoto. Gestalter: Andreas Niessen, Berlin