Rosso Fiorentino

Antipode, aber auch Pendant zu Pontormo war der mit ihm gleichaltrige Giovan Battista di Jacopo, der sich wegen seiner roten Hautfarbe selbst Il Rosso Fiorentino (1495–1540) nannte und der ebenfalls Schüler von Andrea del Sarto war. Nach seinem Erstlingswerk im Chiostrino de’voti >L.XV.2 verfolgte er konsequent den Weg der radikalen Abkehr von den kanonischen Schönheitsvorstellungen, insbesondere in der Darstellung von Physiognomien und im Umgang mit den menschlichen Proportionen. Obwohl er in seinem ersten Altarbild von 1518 die klassische Typologie der Sacra Conversazione befolgt, wich das Ergebnis so sehr von den Vorstellungen des Auftraggebers ab, dass es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung und zur anschließenden teilweisen Übermalung des Bildes kam, das nicht an den ursprünglich dafür vorgesehenen Ort gelangte. Seine 1521 für Volterra gemalte Kreuzabnahme, die einen traditionellen Typus aufgreift und variiert, zeichnet sich durch expressive und kontrastreiche Buntfarben und einen forcierten und vehementen Charakter aus. Vasari schätzte seinen kraftvollen Stil („maniera gagliarda“) und seine poetischen Inventionen. Sein Stil ist eine Synthese aus vielerlei Einflüssen, die er aufgenommen und assimiliert hat. In seiner 1523 für die Kapelle der Familie Ginori in S. Lorenzo gemalte Vermählung Mariae zeigt in der Farbgebung von Maria und Anna Anklänge an Michelangelo, während das Helldunkel, das flackernde Licht und die Profile seiner Gesichter auf den Sienesen Domenico Beccafumi verweisen >L.XIV.4. Die dicht gedrängten Figuren füllen das ganze Bildfeld und lassen keinen Platz für einen architektonisch definierten Raum, der seit Perugino und Raffael für dieses Thema charakteristisch gewesen war. Als Ordnungsprinzipien dienen die Symmetrie der beiden Bildhälften und die Übereinanderstaffelung der Figuren in drei Schichten. Die Verdichtung der Figuren auf engstem Raum impliziert die Absage des rhythmisch strukturierten Gruppengefüges, das in Florenz ein Ziel der künstlerischen Anstrengungen gewesen war und das, nachdem es erreicht worden war, offenbar schnell an Attraktivität verlor. Die Aneignung von Dürers andersartiger Bildwelt, den die Verbreitung der Druckgraphik möglich machte, hatte daran einen wesentlichen Anteil. Während der Pestepidemie in Florenz lebte Rossovon 1523 bis 1527 in Rom, wo er nach dem Urteil Vasaris seinen Stil und seine Persönlichkeit so stark veränderte, dass er seitdem ein anderer schien als zuvor. Diese Zäsur schreibt Vasari dem tiefen Eindruck zu, den die Malereien und Statuen Michelangelos auf ihn gemacht hatten.

Der Sacco di Roma im Mai 1527 zwang ihn ebenso wie viele andere Künstler zur Flucht. Nach Zwischenstationen in Umbrien, Arezzo und Venedig ging er schließlich nach Frankreich und wurde 1532 von König François I. zum Hofmaler ernannt. Vergleichbar mit Giulio Romano in Mantua stieg er in Paris zum Intendanten und Regisseur der Hofkunst auf und konnte dort dank seiner privilegierten Stellung zum König ein herrschaftliches Leben führen. Sein Hauptwerk war der Ausbau und die Innendisposition des königlichen Jagdschlosses Fontainebleau , vor allem der großartigen Galerie, die nach seinem Entwurf mit Stukkaturen, Gemälden und Kaminen ausgestattet wurde. Zu seiner Equipe gehörte viele italienische Künstler, darunter auch Francesco Primaticcio (1504–1570), der 1540 sein Nachfolger wurde >L.XIV.4. Seine phantasievollen Entwürfe, die alles umfassten, was zum höfischen Dekorationsbedarf gehörte (Tafelgerät, ephemäre Dekorationen und Festumzüge), wurden dank ihrer druckgraphischen Verbreitung zu einer der wichtigsten Quellen des Manierismus nördlich der Alpen.

 

zu 6. Zwischen Rom und Florenz: Francesco Salviati und Perino del Vaga