Correggio und Rom

Correggio gilt als der große Außenseiter in der italienischen Malerei des 16. Jahrhunderts, da sich seine Hauptwerke gegen die gängigen Stilkategorien sperren. Er gehört weder zu den Klassikern der Hochrenaissance noch zu den Manieristen, am ehesten könnte man einige seiner Werke als Vorstufen des Barock ansehen. Die zeitstilistischen Parameter versagen vor allem bei seinen Fresken im Dom von Parmaund in der dortigen Kirche S. Giovanni Battista, die zum wichtigsten Vorbild der gesamten barocken Deckenmalerei wurden. Beide Zyklen waren seit einigen Jahren vollendet, als der Maler 1534 nur vierzigjährig starb. Die für Federico II. Gonzaga gemalten Darstellungen der vier Gemälde Io und Jupiter,Raub des Ganymed, Leda und der Schwan, also den „Amori di Giove“,sind das Gewagteste, was die Malerei auf dem Gebiet der Erotik bis dahin ins Bild gebracht hatte. Vasari, der Correggios Werke während seiner Reise nach Oberitalien, die ihn auch nach Mantua, führte, kennen gelernt hatte, war von ihnen überwältigt. Sein an biographischen Angaben karger Bericht über den damals schon seit sechs Jahren verstorbenen Meister stützte sich wahrscheinlich auf Nachrichten, die er in Mantua gesammelt hatte, wo Correggios Werke – darunter die Leda und die Danae − hoch geschätzt und präsent waren und wo der Maler vermutlich auch seine Ausbildung erhalten hatte. Correggio ist für ihn daher der erste Maler, der in der Lombardei die „maniera moderna“ eingeführt hatte, und dies so vollkommen, dass er in wenigen Jahren ein „raro e meraviglioso artefice“ geworden sei. Trotz des Lobs für die „vaghezza“und das „rilievo“ der Figuren, das sich vor allem auf die Bemalung der Domkuppelund auf die Ausmalung der Kirche San Giovanni Battista in Parma bezieht, war Vasari jedoch der Meinung, dass Correggio noch höher gestiegen wäre, wenn er Rom und die Antike kennen gelernt hätte. Vasari kritisierte vor allem die Zeichnung, die seinem Florentiner Standard offenbar nicht entsprach und führt sie auf das mangelnde Training in der Jugend zurück.

Vasaris Biographie, die trotz ihrer Lücken die einzige Quelle ist, die über Correggios kaum dokumentiertes Leben berichtet, wurde zum Ausgangspunkt einer Debatte, die sich über mehrere Jahrhunderte hinzog und in der es letztlich immer um die Frage ging, ob Correggio Rom kannte und ob er sich mit den Werken Raffaels und Michelangelos auseinander gesetzt hatte. Wer den Romaufenthalt negierte, stellte letztlich in Frage, dass Correggio als Vorbild dienen konnte. Wer ihn voraussetzte, akzeptierte die Gültigkeit der durch Rom gesetzten Normen für diesen Außenseiter, was die unabdingbare Voraussetzung für die Aufnahme in den Kanon war. Die dritte Möglichkeit, dass nämlich der Kanon selbst ein Konstrukt und Instrument der Kunstpolitik sein könnte, lag bis zum Ende des 18. Jahrhunderts außerhalb des Vorstellbaren. Die Lösung des Problems ergab sich im späteren 18. Jahrhundert mit der Wiederentdeckung eines Werks, das in den älteren Quellen erwähnt worden war, seitdem aber, da in einem Frauenkloster befindlich, in Vergessenheit geraten war. Die Malereien zeichnen sich durch eine hinter Klostermauern nur schwer vorstellbare Lebensbejahung und Freizügigkeit aus, die sich daraus erklärt, dass das Kloster bis 1524 keinem strengen kirchlichen Reglement unterlag. Die heute als Camera di San Paolo bekannte Ausmalung des Studiolo der gebildeten Äbtissin Giovanna da Piacenza, die sich relativ genau in die Jahre 1519–1521 datieren lässt, ist der gemalte Beweis für Correggios Kenntnis Raffaels und Roms. Sie gehört mittlerweile zu den auch in ikonographischer Hinsicht am besten erforschten Ensembles der oberitalienischen Malerei. Das anspruchsvolle und beziehungsreiche Bildprogramm, das die intellektuellen Interessen der Auftraggeberin widerspiegelt, zählt zu den Höhepunkten der Renaissance, da es alles das miteinander vereint, was deren „Geist“ ausmacht: die kreative Aneignung der Antike und ihres Schönheitsideals, die vollendete Beherrschung der Perspektive und der Illusion, und schließlich die Veranschaulichung eines intellektuell anspruchsvollen Konzepts, um dessen Entzifferung sich vor allem, wenn auch nicht unwidersprochen, Erwin Panofsky verdient gemacht hat.

Die Bemalung des Zimmers beschränkt sich auf den oberen Teil der Wände und die gewölbte Decke. Der Raum wird durch die Decke in eine Laube umgedeutet. Das Gewölbe folgt mit sechzehn Rippen und Lünetten dem Typus der so genannten Melonenkuppel, die der Maler vorfand, und die er zu einer Laube umdeutete, indem er die Rippen als Bambusstäbe bemalte. Die fingierten Bambusstäbe treffen im Scheitel des Gewölbes zusammen, und werden von einem kreisrunden Schlussstein überdeckt, den das aus drei Halbmonden bestehende Wappen der Äbtissin schmückt. Zwischen den Rippen befindet sich ein diagonales Geflecht, das die Pergola bildet, die vom grünen Laub fast vollständig zugedeckt wird. In den konzentrisch angeordneten ovalen Durchblicken tummeln sich Paare und Gruppen von Putten mit verschiedenen Attributen. Die Bambusrippen steigen von fingierten steinernen Konsolkapitellen auf. Ihre Frontseite wird durch je zwei gegenständige Widderköpfe im Profil verdeckt. Von Konsole zu Konsole spannen sich geraffte Stoffbahnen, in deren durchhängender mittlerer Mulde metallene Teller, Kannen, Schalen und Flaschen mit vereinzelten grünen Blättern so hineingelegt sind, dass die Stoffbahnen von ihrem Gewicht heruntergezogen scheinen. Ungewöhnlich ist vor allem die Kombination der Bambuspergola mit den als leicht konkaven Schilde gemalten Lünettenfeldern, deren Grundform durch die Architektur vorgegeben wurde. In die monochromen Lünetten sind die antikisierenden figürlichen Motive so eingepasst, dass sie wie Statuetten hineingestellt erscheinen. Die Bezüge zur römischen Kunst sind gerade in den Darstellungen der Lünetten unverkennbar. Eine direkte Assoziation mit der Antike zeigt sich an dem Fries mit den Widderköpfen, dessen Vorbild die Bukranien römischer Tempelfriese sind. Die Art und Weise, wie diese Motive in virtuose Illusionsmalerei umgesetzt und miteinander verbunden wurden, ist in der Malerei des 16. Jahrhunderts ohne direkte Parallelen. Die Pergola mit den üppigen Fruchtgehängen ist gleichermaßen ein anschauliches Symbol des irdischen wie des himmlischen Paradieses. Das Spiel mit kunstvollen Laubdächern, das bei Mantegna und Leonardo begonnen hatte, war durch Raffael und seine Schule in den Loggien des Vatikans >L.XIII.8 zu phantasievoller Vielfalt entwickelt worden. Auch bei den Putten in den ovalen Himmelsdurchblicken, die von einer überraschenden formalen Vielfalt sind, lässt sich das Vorbild Raffaels mit Händen greifen. Mit der Wiederentdeckung der Camera di San Paolo wurde Correggio als gleichwertiger oberitalienischer Protagonist der Renaissance rehabilitiert. Andererseits enthält seine Malerei jedoch auch Elemente einer exaltierten und von der artifiziellen Deformation faszinierten Ausdrucksweise, die bereits in der nächsten Generation ein Eigenleben entwickelte.

 

zu 11. Parmigianino und der Manierismus