3. Die „Disputa del Sacramento"

Das als Disputa del Sacramento bezeichnete Gemälde gegenüber der Schule von Athen befindet sich exakt unter dem Gewölbetondo mit der Personifikation der Theologia. Das Fresko entstand laut Vasari im Anschluss an das Probestück, d.h. nachdem Raffael die Leitung der gesamten Ausmalung übernommen hatte. Im oberen Teil ist der Himmel mit Gottvater, dem Hl. Geist, Christus, Maria, dem Täufer, den Aposteln, den Evangelisten und Märtyrern dargestellt, während im unteren Teil eine von den vier Kirchenvätern angeführte „Unzahl von Heiligen“ zu sehen ist, die die Messe schreiben („scrivono la messa“) und über das Sakrament der Eucharistie disputieren. Neben der Taube des Hl. Geistes halten schwebende Putten die vier Evangelien in Gestalt von geöffneten Büchern empor. Die Einheit von Himmel und Erde wird durch die Hostie symbolisiert, die sich unter dem thronenden Christus in einer Monstranz befindet, mit der die Mittelachse der Komposition markiert ist. Die Tiefenstaffelung der Figuren lässt die Bildfläche als sich unendlich in die Tiefe weitendes Himmelsrund erscheinen. Erd- und Himmelskreis verbinden sich durch die Ähnlichkeit ihrer Gestaltung zu einer Einheit, die sich auch in der Eintracht manifestiert, mit der die Versammlung von Heiligen, Päpsten und vielen Namenlosen über die Glaubenswahrheiten disputiert. Dieses theologische Universum gewinnt seine Anschaulichkeit durch die bravouröse Tiefenperspektive, der die weitgehend architekturlose Komposition unterworfen wird. Die Unbegrenztheit des göttlichen Raumes erscheint als Gegenbild der durch Menschenwerk gestalteten Welt des begrenzten irdischen Wissens der Philosophie, wobei „der himmlische Goldglanz „das menschliche Gedankengebäude überstrahlt“. Die einheitliche Monumentalität der Komposition macht Vasaris These zur zeitlichen Abfolge der beiden Wandbilder plausibel. Tatsächlich erscheint die Disputa als das reifere der beiden Werke. Heute wird angenommen, dass die zeichnerischen Vorarbeiten für beiden Bildfelder zeitlicher parallel erfolgt sind.

Unter den Personen, die Vasari namentlich nennt, ist auch Girolamo Savonarola, den man in dieser illustren Versammlung anerkannter Kirchenlehrer kaum erwarten würde. Papst Sixtus IV., den Vasari nicht erwähnt, steht zwischen Dante und dem hl. Bonaventura, Julius II. ist in der Gestalt des hl. Gregor erkannt worden, der sich in der Gruppe der Kirchenväter links des Altars befindet. Zu den kompositionellen Vorbildern und Vorstufen der Disputa gehört das Fresko der Marienkrönung von Ghirlandaio in der Tornabuoni-Kapelle in S. Maria Novella. Raffael hatte dieses Schema zum ersten Mal in einem Wandbild gewählt, das er 1507 in Perugia für die Kirche S. Severobegonnen hatte und das erst 1521 durch Perugino vollendet wurde.

 

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