Die Sala del Maggior Consiglio und ihre Ausmalung

In den Jahren von 1503 bis 1506 waren Leonardo und Michelangelo in die Ausmalung der Sala del Maggior Consiglio involviert. Sie war 1495–1496 durch den Architekten Simone del Pollaiolo, genannt il Cronaca, in einem Anbau des Palazzo della Signoria errichtet worden, um Platz für den neuen, damals aus 500 Bürgern bestehenden Stadtrat zu schaffen, der während der Herrschaft des Dominikanermönchs Girolamo Savonarola (1494–1498) oberster Souverän der Republik war >L.II.6. Auch nach dem Sturz Savonarolas wurde weiter an der Ausstattung dieses Saales zum repräsentativen Zentrum der Stadtregierung gearbeitet. Die Richtlinien für das Bildprogramm dürften bereits in diesen Jahren festgesetzt worden sein. Dank der Archivalienund der Beschreibung Vasaris ist die hölzerne Ausstattung mit den Bänken für die einzelnen Gremien, einer ringsum laufenden Bestuhlung und einem Altar in den Hauptlinien rekonstruierbar. Vasari zufolge war von Anfang an eine malerische Ausstattung vorgesehen. Zunächst, wahrscheinlich im Herbst 1503, muss der Auftrag an Leonardo da Vinci ergangen sein; ca. ein Jahr später, d.h. nach der Vollendung des David >L.XI.1, begann Michelangelo, der bis dahin als Maler kaum in Erscheinung getreten war, mit der Vorbereitung eines Kartons für ein weiteres Wandgemälde, das sich laut Vasari auf der „anderen Wand“, d.h. auf der Wand gegenüber von Leonardos Gemälde befinden sollte. Dessen Thema war der Sieg der Florentiner unter ihrem condottiere Niccolò Piccinino über das Heer der Mailänder bei Anghiari am 29. Juni 1440. Das Gemälde Michelangelos sollte den Krieg zwischen Florenz und Pisa darstellen, in dem die Florentiner bei Cascina am 29. Juli 1364 den entscheidenden Sieg errungen hatten. Als Quelle für dieses Ereignis diente die Stadtchronik von Leonardo Bruni, in der beschrieben wird, wie die Florentiner Soldaten, als sie während der Julihitze Erfrischung bei einem Bad im Arno suchten, von einem ihrer Anführer in vorzeitigen Alarm versetzt wurden, was sie in eine so vorteilhafte Lage brachte, dass sie schließlich den Sieg davontrugen.

Für keinen der beiden Aufträge lassen sich bisher die schriftlichen Verträge nachweisen. Michelangelo hat 20 Jahre später aus der Erinnerung das ihm zugesagte Honorar auf 3000 Dukaten beziffert. Die meisten konkreten Informationen über die Ausmalung, die nicht zu Ende geführt wurde, und deren Resultate nur durch Kopien der Kartons überliefert sind, beruhen auf den Zahlungen für Materialien, Handwerker und Handlanger sowie auf den Berichten in den „Vite” Vasaris und auf anderen zeitgenössischen Berichten. Dementsprechend arbiträr ist die Deutung dieser Quellen und der materiellen Zeugnisse. Übereinstimmung besteht lediglich darin, dass beide Werke ungeachtet ihrer späteren Fragmentierung bzw. Zerstörung zu den Meilensteinen der Kunst der Renaissance gehören. Nach Ansicht von Benvenuto Cellini, der selbst Michelangelos Karton abgezeichnet hat, dienten die Kartons „der Welt als Schule.“Der Ruhm der beiden Werke, der nach ihrer Verflüchtigung anhielt, hat auch die kunsthistorische Forschung konditioniert, die sich seit mehr als hundert Jahren um die Klärung der hinter den Schrift- und Bildquellen verborgenen Fakten bemüht und die der Neugestaltung des Saales durch Vasari und seine Werkstatt >L.XV.9 überwiegend kritisch gegenübersteht, da sie mit der Beseitigung oder Verdeckung von Leonardos Wandbild verbunden war. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es neue Erkenntnisse und Zeugnisse, die über den Wissensstand hinausgehen, den Wilde (1944) und Isermeyer (1964) vorfanden. Eine sorgfältige Aufarbeitung und Bilanzierung all dieser Fakten wäre daher sinnvoll, müsste jedoch archivalische und bauhistorische Untersuchungen für die unter Vasaris Regie ausgeführten Veränderungen der Jahre von 1563 bis 1572 einschließen. Die lückenlose Dokumentation und eine quellen- und textkritische Untersuchung des gesamten bekannten Materials könnten einige Aspekte klären, die bis heute strittig sind. Einer von ihnen betrifft die Frage, ob sich beide Schlachtenbilder auf einer Wand befinden solltenoder ob Leonardo und Michelangelo für jeweils eine ganze Längswandverpflichtet wurden. Da die östliche Längswand die größere Fläche aufweist, hätten auf ihr zwei große Bildfelder Platz finden können. Strittig ist auch, auf welcher Wand sich das Podium (residentia) für die drei Gremien der Stadtregierung befand. Der Altar und ein Rednerpult waren dagegen auf der dem Podium gegenüber liegenden Wand platziert. Die Argumente, die für die Westwandsprechen und diejenigen, die für die Ostwand angeführt wurden, hielten sich für lange Zeit die Waage. Seit 1993 ist allerdings eine weitere Quelle bekannt, aus der sich ergibt, dass sich Leonardos Wandbild definitiv über der residentia befand. Mittlerweile konnten auch die Position und die Größe der vier laut Vasari nachträglich in die Westwand eingefügten Fenster geklärt werden. Aus den heute verfügbaren Fakten und Anhaltspunkten zum baulichen Zustand des Saals hat Hatfield daher gefolgert, dass die Wandbilder beide Längswände des Saals einnehmen sollten und dass sie wie ein Fries unterhalb der Decke positioniert waren. Bei einer geschätzten Bildhöhe von ca. 8 braccia fiorentine (= 4.50–4,70 m) wären dadurch weder die Belichtung des Saales noch die hölzernen Einbauten beeinträchtigt gewesen. Bei den Kalkulationen über die Größe der Bildfelder spielt neben den Maßen des Raums die Größe der Kartons eine Rolle, die aufgrund der Papierlieferungen bestimmbar ist.

zu 3. Leonardos Anghiari-Schlacht