8. Grabmalskulptur der Päpste

Der letzte Teil dieser Lektion ist der Skulptur, besonders dem Grabmal gewidmet, da gerade dies eine der Kunstformen ist, die im Pontifikat Sixtus' IV. an Bedeutung und an Zahl zunehmen. Der Comaske Andrea Bregno (1418–1503), der auf dem Gebiet der Invention zwar nicht zu den großen Meistern zu rechnen ist, war in solider und in der Marmorbearbeitung bravouröser Bildhauer, der bis zum Ende des 15. Jahrhunderts eine der erfolgreichsten römischen Werkstätten unterhielt. Sein Repertoire deckte alles ab, was für den sakralen Sektor gebraucht wurde: Marmoraltäre, Grabmäler, Balustraden jeder Art und Sängertribünen (z.B. in der Sixtinischen Kapelle). Giovanni Santi, der Vater Raffaels, rühmt Bregno in seiner gereimten Chronik über die besten Künstler seiner Zeit und ihre Verdienste als „si gran compositore cum belleza“. Bregno, dessen frühestes bekanntes Werk in Rom das Grabmal des Nikolaus von Kues in S. Pietro in Vincoli ist, war der erste bekannte Besitzer des später so berühmten antiken Torso vom Belvedere. Eines seiner umfangreichsten Werke ist der Piccolomini-Altar für den Dom von Siena. Es handelt sich hierbei um eine große und mehrgeschossige Marmorädikula, die vor die Seitenschiffswand des Doms gestellt wurde und in die eine Nische mit einem Marmorretabel eingefügt ist. Berühmt ist dieses vom Neffen Pius’ II. errichtete Monument heute vor allem wegen der vier Nischenfiguren (hll. Petrus, Paulus, Pius, Gregor), bei denen es sich um frühe Werke Michelangelos handelt, die aber erst zwischen 1501 und 1504 entstanden sind.

Andrea Bregno, der über mehrere Jahre hinweg mit Mino da Fiesole zusammenarbeitete, hat zwischen 1470 und 1475 das Grabmal für Pius II. geschaffen, das nach dem Neubau von St. Peter 1614 in die Kirche S. Andrea della Valle übertragen wurde. Es handelt sich um ein hohes Wandgrab mit den damals bereits für diese Typologie etablierten Elementen. Die Rahmung besteht aus pfeilerartigen Wandvorsprüngen mit flachen Figurennischen zwischen Doppelpilastern, welche die vier etwa gleich hohen Register einfassen, die sich monoton übereinander staffeln. Den Abschluss bildet ein gerades und sehr reich dekoriertes Gebälk, bekrönt von Kandelabern und einer Wappenkartusche. Auf die spätere, von den Piccolomini-Wappen und dem Kardinalshut gerahmte Inschrifttafel im Sockel folgt eine herausragende Begebenheit aus dem Pontifikat des Verstorbenen, in diesem Fall die Übertragung der Kopfreliquie des hl. Andreas nach St. Peter. Darüber folgt der Sarkophag mit der Liegefigur, und im letzten Register kniet der Papst, präsentiert von dem Apostelfürsten Petrus vor der Muttergottes, während rechts der Kardinalnepot unter dem Schutz des hl. Paulus kniet. In den seitlichen Nischen der oberen drei Register sind sechs Tugendpersonifikationen zu sehen: Temperantia, Spes, Fides von links unten nach oben und Caritas, Justitia, Fortitudo von rechts von unten nach oben. Auch wenn bei diesem Grabmal aufgrund seiner Versetzung mit späteren Veränderungen des Aufbaus gerechnet werden muss, folgt es einer Typologie, die sich an Donatellos und Michelozzos Grabmal des „Johannes quondam papa“ – also des 1415 in Konstanz abgesetzten Johannes XXIII. Coscia – im Baptisterium von Florenz orientiert >ABB in L.II.3.

Mit diesem Grabmal wurde einer der wichtigsten Prototypen für das Wandgrab des 15. Jahrhunderts geschaffen, der in verschiedenen Varianten, bedingt durch Status und Stand des Verstorbenen, von den folgenden Generationen weiterentwickelt wurde. In Florenz entstand auf dieser Grundlage das Wandnischengrabmal, als dessen gelungenste Realisierung das elegante Grabmal des Kanzlers Leonardo Bruni in S. Croce von Bernardo Rossellino gilt. Ein girlandenverziertes Postament bildet hier den Unterbau für eine kannelierte Pfeilerarkade mit verkröpftem reich ornamentierten Gebälk, auf dem das mit einer Archivolte versehene Bogenfeld ruht, welches ein Madonnenrelief umschließt. In der Nische steht der antikisierende Sarkophag mit einer von zwei Genien gehaltenen Inschrifttafel, darüber ein Paradebett, auf dem der Verstorbene liegt, dessen sehr realistisches, wohl nach einer Totenmaske gebildetes Gesicht nach vorn gewendet ist. Als Variante dieses Typs gibt sich das nicht in seinem ursprünglichem Aufbau, wohl aber in seinen skulpturalen Bestandteilen weitgehend erhaltene Grabmal Papst Pauls II. von Giovanni Dalmata und Mino da Fiesole zu erkennen, das 1476 von seinem Neffen Marco Barbo gestiftet wurde. Es war das größte und reichste der bis dahin in Rom geschaffenen Papstgrabmäler, von denen die wenigsten erhalten sind, da sie 1607 dem Neubau von St. Peter weichen mussten. Zwar blieben die Sarkophage selbst mit den Liegefiguren erhalten, wurden aber zum überwiegenden Teil in die vatikanischen Grotten verfrachtet. Verloren gingen dabei der architektonische Aufbau und die dekorativen Bestandteile. Das wohl wegen der Qualität seiner Skulptur am vollständigsten erhaltene Grabmal Pauls II. verfügte über ein umfangreiches Bildprogramm. Doch trotz der in den Einzelheiten hoch stehenden Qualität der Ausführung war dieses überladen und unübersichtlich wirkende Wandgrab kein Prototypus, welcher der Rolle und dem neuen Anspruch des Papsttums gerecht wurde. Das gilt in noch höherem Maße für das Grabmal Pius’ II.

Diese Ausgangslage ist die Folie, vor der sich die Grabmäler der beiden nachfolgenden Päpste Sixtus IV. und Innocenz VIII. um so deutlicher abheben. Das Grabmal Sixtus' IV. wurde gleich nach seinem Tod am 12. August 1484 im Auftrag seines ehrgeizigen Neffen in Angriff genommen und 1493 fertig gestellt. Das von Antonio del Pollaiuolo geschaffene Bronzemonument, das sich ursprünglich in einer im Pontifikat Sixtus IV. an den südlichen Querarm von Alt St. Peter angefügten Kapelle (sogen. Chor Sixtus IV.) befand, bedeutete eine Revolution in der Grabmalgestaltung. Es kombiniert den Typus des Freigrabs mit dem des Bodengrabes, wie es sich der Papst erbeten hatte.

Diese Form war bereits für das Grabmal Papst Martins V. (reg. 1435–1445) gewählt worden, das ursprünglich als leicht erhöhte und freistehende Tumba aus Marmor vor dem Hochaltar von S. Giovanni in Laterano aufgestellt war, und dessen Liegefigur in Bronze von Donatello stammt. Beim Sixtusgrab wird die Liegefigur des Papstes nicht auf eine Tumba gelegt, sondern auf einen weit ausladenden Unterbau, der ein Mittelding zwischen einer abgeschnittenen oblongen Pyramide und einem Katafalk ist. Panofsky hat diese Form als Tumulus bezeichnet. Die obere Platte des Unterbaus ist mit Reliefs geschmückt, welche die Liegefigur umrahmen. In der Aufsicht – die eigentlich intendierte Perspektive, da sie sich dem Angesicht Gottes darbietet, der für die eschatologische Dimension einzig relevanten Instanz – umrahmen den Papst die Personifikationen der Sieben Tugenden. Über seinem Haupt und neben seinen Schultern befinden sich die drei theologischen Tugenden Caritas, Fides und Spes. Die vier Kardinaltugenden Prudentia, Temperantia, Fortitudo und Justitia nehmen den unteren Teil der Platte ein. Die Reliefs auf den gemuldeten Flanken des Unterbaus beziehen sich dagegen auf den irdischen Betrachter. Die zehn Reliefs stellen Personifikationen der Sieben Freien Künste (artes liberales) dar, die hier um die Theologia, Prospectiva und Philosophia zu einer Zehnergruppe erweitert sind. Da der Unterbau ursprünglich auf einem grünen Porphyrblock stand, befand sich der Betrachter diesen Reliefs auf Augenhöhe gegenüber.

Die ikonographische und formale Neuartigkeit dieses Grabmals lässt sich im Wesentlichen auf Basis von Panofskys Standardwerk über die Grabplastik erfassen. Tugenden gehörten seit dem Mittelalter zum ikonographischen Repertoire von Grabmälern. Eines der frühesten Beispiele für ihre Präsenz an einem Papstgrabmal ist das Grabmal Papst Clemens II. (reg. 1046–1047) im Bamberger Dom aus dem frühen 13. Jahrhundert. Weniger gebräuchlich ist dagegen die Darstellung der Künste an einem Grabmal, als deren frühestes erhaltenes Beispiel Panofsky das Grabmal des Robert von Anjou (Neapel, S. Chiara, gest. 1343) von den Bildhauern Giovanni und Pace aus Florenz erwähnt. Als literarische Quelle für dieses Motiv verweist Panofsky auf ein Lobgedicht von Petrarca auf diesen Herrscher, in dem es heißt: „Durch seinen Tod beraubt, weinten, in Kummer vereint mit den Neun Musen, die Sieben Künste.“ In Analogie dazu liegt es nahe, die Personifikationen der Artes liberales am Grabmal Sixtus’ IV. in ähnlicher Weise zu deuten. Dazu Panofsky: „Selbstverständlich sollen sie nach wie vor dem Betrachter nahelegen, daß sie den Verlust eines Mannes beklagen, der sie beschützt und gemeistert hatte; abgesehen vom Stil unterscheiden sie sich jedoch insofern von ihren Trecento-Vorläuferinnen, als sie keine Trauer zur Schau tragen.“ Die Theologie wird durch eine nackte Diana personifiziert, was sich aus einer Art von typologischem Gleichschluss erklärt. So wie die Mondgöttin vom Sonnengott erleuchtet und überstrahlt wird, wird auch die heilige Lehre vom Licht der Trinität (dargestellt als ein Dreikopf mit flammendem Strahlenkreuz) erleuchtet und überstrahlt.

In formaler Hinsicht gelten die Tugendenund die Künste vom Grabmal Sixtus' IV. wegen der exaltierten Bewegtheit ihrer Haltungen und Gewänder als charakteristische Bildschöpfungen der späten Phase der Florentiner Renaissance. Antonio (1432–1498) und Piero (1441–1496) del Pollaiuolo (eigentlich Antonio e Piero di Jacopo d’Antonio de’Benci) gehörten zu der Generation, die von Donatellos und Castagnos expressivem Naturalismus ausging, um auf dieser Basis eine krude und sperrige Auffassung vom Körper zu entwickeln, die sich manieristisch verselbstständigt und für die die Kategorie der Schönheit an Bedeutung verliert. Dies zeigt sich besonders am Bildnis des Papstes, das nach der Totenmaske geformt wurde. Während Piero vorwiegend als Maler arbeitete, war Antonio als Goldschmied, Maler, Kupferstecher, Terrakottaformer und Bronzebildhauer tätig, und damit einer jener für das Florenz des 15. Jahrhunderts so typischen Alleskönner, dessen Vielseitigkeit auf dem Medium der Zeichnung beruht. Für den Palazzo Medici hatte er um 1460 einen Zyklus von Herkulestaten gemalt, die in kleinen gemalten Wiederholungen erhalten sind und von denen er auch Bronzeversionenschuf. In ähnlicher Weise sind die Tugendendes Sixtusgrabes skulpturale Varianten der Serie von Tugendpersonifikationen, die beide Brüder 1469 für die Arte dei Mercanti in Florenz ausgeführt haben.

Um wörtliche Wiederholungen der Kardinaltugenden vom Sixtusgrabmal handelt es sich bei den vier Reliefs, welche die in cathedra thronende Figur des Papstes in dem von 1492 bis 1498 ausgeführten Wandgrabmal Innocenz' VIII. Cybo rahmen. Es handelt sich hierbei um das einzige Grabmal, das aus dem Bestand von Alt-St. Peter in die neue Kirche überführt wurde. Mit der Figur des thronenden Papstes, der mit der Reliquie der hl. Lanze dargestellt wurde, die er als ein Geschenk des Sultans erhalten hatte, wird ein neues und sehr folgenreiches Motiv in die Ikonographie des Papstgrabmals eingeführt. Aus ihr entwickelte sich später die Typologie der päpstlichen Ehrenstatue, die aber auch von den Petrusstatuen des 14. Jahrhunderts abzuleiten ist. Daneben scheint die Typologie der französischen Königsgrabmäler, die den Verstorbenen einmal als Toten und daher als Liegefigur (gisant) und einmal als thronenden Herrscher darstellte, eine Rolle gespielt haben. Panofsky hat als mögliches Vorbild für die von ihm als Majestas-Bild bezeichnete Sitzfigur eines Herrschers das Grabmal des Robert von Anjou in S. Chiara in Neapel angenommen. Jedoch lassen sich auch noch andere typologische Verbindungen benennen. Diese ergeben sich aus der in einer Zeichnung des 17. Jahrhunderts überlieferten ursprünglichen Anordnung des Cybo-Grabmals. Danach zu urteilen, befand sich die Liegefigur nicht, wie bei den französischen Grabmälern, unterhalb des Thronenden, sondern darüber, d.h. direkt unter dem Tympanon, in dem die drei theologischen Tugenden dargestellt sind.

Ein mögliches Vorbild für diese Typologie könnten Dogengrabmäler in der Art von Antonio Rizzos Grabmal des Dogen Niccolò Tron (Venedig, Frarikirche) sein. Auch wenn die in ihrer steifen Würde und mit ihrem Segensgestus noch altertümlich wirkende Sitzfigur Innocenz' VIII. das nicht vermuten lässt, so wurde sie zum Vorbild für die spätere Ikonographie des Papstgrabmals, vor allem im 17. Jahrhundert, was vielleicht auch mit ihrer Präsenz in Neu-St. Peter zu erklären ist. Als letztes der für Alt-St. Peter geschaffenen skulpturalen Werke, die dem Kahlschlag der späteren Veränderungen zum Opfer gefallen sind, ist das ehemalige Altarziborium über dem Petrusgrab zu erwähnen, das unter Pius II. konzipiert und zwischen 1467 und 1470 ausgeführt wurde. Von dem 1590 demontierten Altarüberbau haben sich nur die marmornen Reliefs vom Attikageschoss erhalten, in denen Szenen aus dem Leben der beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus dargestellt sind. Die Zuschreibung dieser deutlich an der Antike inspirierten Reliefs war lange umstritten. Albertini, der 1510 den ersten Romführer verfasst hat, schrieb sie Matteo Pollaiuolo zu. Heute gilt die stilistisch begründete Zuschreibung an Paolo Romano und seine Werkstatt als gesichert. Die Reliefs zeichnen sich durch einen neuartigen Stil aus.

Dieser neue Reliefstil ist vom antiken Figurenfries im Stil der Trajanssäule abzuleiten. Die abgebildete Architektur fungiert nur als Versatzstück und steht in keinem realistischen Größenverhältnis zu den Figuren. Diese sind – ikonographisch exakt – durchweg antik gewandet und befinden sich, geordnet zu symmetrisch korrespondierenden Gruppen, in zwei Ebenen, wie an den Köpfen und an den Beinen ablesbar ist. Dennoch verzichten die Reliefs nicht auf narrative Elemente. Dieser in akribischer Weise antikisierende Stil wirkt in seiner kleinteiligen Präzision zwar etwas pedantisch, dokumentiert aber ein neues, auf philologische Exaktheit gerichtetes Verständnis der Antike, das zukunftweisend war. Deutlich ist hier die Zäsur gegenüber Ghibertis und Donatellos Auffassung vom Relief als Bild, die sich dadurch auszeichnete, dass die in mehr oder weniger plastischen Formen ausgeführten Figuren durch zeichnerische Elemente zu bildhaften Kompositionen vervollständigt werden. Die Ausrichtung des Altarziboriums am antiken römischen Reliefstil war wegweisend. Ein neuer Zugang zur antiken Skulptur, die über Jahrhunderte als Dienerin der Idolatrie geächtet war, manifestiert sich schließlich in Rom mit der Überführung antiker Statuenfragmente und Bronzewerke auf das antike Kapitol. Sixtus IV. ließ 1471 den Lateran von diesen Werken „säubern”, um sie dem römischen Volk als Zeugen seiner Geschichte zu schenken. So entstand auf dem Patz vor dem Senatorenpalast das erste Antikenmuseum der Welt.

 

zu Lektion VIII

 

Tugendpersonifikationen

 

Eine umfassende Darstellung der allegorischen Darstellungen der Tugenden und ihrer Entwicklung und Attribute in:

Michaela Bautz: virtvtes: Studien zu Funktion und Ikonographie der Tugenden im Mittelalter und im 16. Jahrhundert. Berlin 1999 (Diss. Stuttgart 1999)

Torso vom Belvedere

 

Antike Sitzfigur des 1. Jahrhunderts nach Christus, seit 1463 in Rom nachweisbar, der Signatur zufolge Werk des „Apollonius, Sohn des Nestor aus Athen“. Zwischen 1532 und 1536 wurde die wegen ihrer vollendeten Wiedergabe eines in Torsion gegebenen muskulösen männlichen Körpers ohne Arme und Beine gerühmte Skulptur, die niemals ergänzt wurde, im Statuenhof des Vatikan (Cortile del Belvedere) aufgestellt und wurde zu einer der meist gezeichneten antiken Skulpturen, deren Reflex sich in zahlreichen Werken von der Renaissance bis ins 18. Jahrhundert finden. Heute wird die Figur als sinnender Ajax gedeutet.

Raimund Wünsche: Torso vom Belvedere, in: Il Cortile delle Statue: der Statuenhof des Vatikan, hg. Von M. Winner, B. Andreae, C. Pietrangeli, Mainz 1998, 287–314:

Gunter Schweikart: Der Torso im frühen 16. Jahrhundert: Verständnis, Studium, Aufstellung, ebd. 315–325.

 

Abbildungen und weiterführende Links:

 

Abbildungen

Virtuelles AntikenMuseum