Der Vatikan unter Nikolaus V.

Die Berufung Fra Angelicos nach Rom und seine Tätigkeit im Vatikan geht auf Papst Eugen IV. zurück, der von 1434 bis 1443 seine Residenz nach Florenz verlegt hatte >L.II.3, wo sich einige Gelegenheiten ergeben hatten, um den Künstler und seine Werke kennen zu lernen. So war der Papst bei der Weihe des neuen Hochaltars von S. Marco am 6. Januar 1443 anwesend, dessen Retabel von Fra Angelico gemalt worden war. Der Papst übernachtete bei dieser Gelegenheit in einer der von Fra Angelico ausgemalten Zellen im Kloster von S. Marco. Ende 1445 oder im Frühjahr 1446 begab sich Fra Angelico nach Rom, wo er im Dominikanerkloster von S. Maria Minerva lebte. Der erste päpstliche Auftrag im Vatikan bestand in der Ausmalung der so genannten Cappella parva, die dem hl. Nikolaus von Bari geweiht war und sich im ersten Geschoss des Palastes befand. Sie war beim Tod Eugens IV. (1447) abgeschlossen. Dargestellt war hier eine Vita Christi, die laut Vasari zahlreiche Bildnisse von Zeitgenossen enthielt. Die Kapelle wurde hundert Jahre später durch die von Michelangelo ausgemalte Cappella Paolina ersetzt >L.XII.7. Anschließend hat Fra Angelico die ebenfalls nicht erhaltene dem hl. Petrus geweihte Chorkapelle von Alt-St.-Peter ausgemalt, bevor er 1448 mit seiner Arbeit an der Ausmalung der privaten Kapelle (Cappella secreta) begann. Außerdem malte er auch das wohl an die Kapelle grenzende Studiolo des Papstes aus, für das ihm 1449 große Mengen Blattgold zur Verfügung gestellt wurden. Von den insgesamt vier Freskenzyklen, die er in Alt-St.-Peter und im Vatikan ausgeführt hat, sind heute nur noch die Malereien der Cappella secreta (Cappella Niccolina) erhalten.

Die Baufälligkeit von Alt-St.-Peter veranlasste Nikolaus V. dazu, den Florentiner Bernardo Rossellino (1409–1464), der von ihm zum ingegniere di palazzo ernannt wurde, 1451 mit einem Erweiterungsprojekt für die Basilika zu beauftragen. Rossellinos Plan sah nach der Konsolidierung des Langhauses von St. Peter eine Verbreiterung der Querarme und ihre Einwölbung nach dem Vorbild von Thermenanlagen vor, sowie einen rechteckigen Chor mit polygonalem Abschluss. Der Erweiterungsbau kam jedoch nicht über die Fundamente hinaus. Auch von dem unter Nikolaus V. als Vierflügelanlage geplanten vatikanischen Palast, der aus mehreren Baukörpern verschiedener Epochen bestand, wurde lediglich der Nordflügel vereinheitlicht. Er beherbergt neben den Borgia-Gemächern und den Stanzen Raffaels das einzige bedeutende malerische Werk, das sich aus diesem Pontifikat erhalten hat, nämlich die Ausmalung der Kapelle Nikolaus’ V. durch den Dominikanermönch Fra Angelico (ca. 1400–1455, eigentlich Fra Giovanni) Der Raum befindet sich auf der Ebene der Stanzen Raffaels in einem aus dem Pontifikat Innocenz' III. (1198–1216) stammenden wehrhaften Turm, der zur ältesten Bausubstanz des Komplexes gehörte.

Das malerische Programm der Kapelle ist den beiden Erzdiakonen Stephanus und Laurentius gewidmet, deren Verehrung in Rom seit dem frühen Mittelalter eine große Rolle spielte. Nach dem Zeugnis Vasaris diente als Altarschmuck eine Kreuzabnahme Christi von Fra Angelico, die nicht mehr nachweisbar ist. Auf den übrigen drei Wänden des Kapellenraums sind in zwei Registern je sechs Szenen aus dem Leben der beiden Erzdiakone Stephanus und Laurentius dargestellt. Das obere, aus drei Lünetten bestehende Register ist dem hl. Stephanus gewidmet, das untere mit rechteckigen Bildfeldern dem hl. Laurentius, der damit eindeutig den Vorrang hat. Auf die Szenenbilder der beiden Längswände (West und Ost) folgen auf jeder Seite zwei schmale, mit Einzelfiguren bemalte Wandfelder. Sie gehören zu zwei kurzen Anräumen, die den quadratischen Kern des Raums in der Nord-Süd-Richtung verlängern. Die Bildwände der Längsseiten erhalten dadurch eine Rahmung; zugleich werden die Altarwand und die Eingangswand architektonisch abgesetzt. Der Maler hatte dank dieser Gliederung drei etwa gleich proportionierte Bildwände zur Verfügung, was dem Zyklus einen regelmäßigen und rhythmischen Aufbau verleiht. Die beiden parallel angelegten Bildzyklen beginnen rechts von der Altarnische auf der Westwand, die auch die beiden einzigen originalen Fenster enthält. Die Auswahl der Szenen aus dem Leben der beiden Diakone lässt einen besonders engen Bezug zum Papsttum erkennen.

Die beiden Erzdiakone, die als Stadtpatrone von Rom verehrt wurden, werden unter dem Aspekt ihres Priestertums, ihrer Barmherzigkeit (caritas), ihrer Gehorsamkeit (oboedentia) gegenüber dem Stellvertreter Petri und schließlich ihres in Rom erlittenen Martyriums gezeigt. Die Nachbarschaft der beiden an der Eingangswand befindlichen Szenen der Übergabe des Kirchenschatzes und der Almosenspende, die der hl. Lorenz als Stellvertreter des Papstes Sixtus II. vollzieht, macht die Beziehung zwischen caritas und oboedientia besonders augenfällig. Die Ähnlichkeit der Gesichtszüge des Papstes mit denen Nikolaus' V. ist ein Hinweis darauf, dass diesen beiden Szenen eine inhaltliche Schlüsselrolle innerhalb des Programms zukommt. Tatsächlich sah der Papst nach seiner Rückkehr in das verelendete Rom die karitative Fürsorge als eine seiner wesentlichsten Aufgaben an. Der Portikus einer frühchristlichen Kirche, in dem die Almosengabe stattfindet, könnte eine direkte Anspielung auf die Basilika von Alt-St.-Peter beinhalten. Die Szene mit der Verurteilung des hl. Lorenz durch Decius zeigt in der antikisierenden Architektur und in der Bildanlage Anklänge an Masaccios Fresken in der Brancacci-Kapelle. Aufgrund der Cappella Niccolina, die als ein frühes Beispiel der monumentalen päpstlichen Hofmalerei anzusehen ist, wurde Fra Angelico von der Romantik im 19. Jahrhundert zum frommen, mystischen und einfältigen Malers stilisiert. Heute dagegen wird sein Bemühen um eine angemessene Modernisierung der religiösen Malerei und um eine für christliche Andachtsbilder brauchbare Umsetzung von Masaccios und Masolinos stile moderno hervorgehoben. Dies zeigt sich vor allem an seinen klaren, architektonisch gegliederten Kompositionen, am körperlichen Volumen seiner Gestalten und an seiner auf der Höhe der Zeit stehenden Beherrschung der neuen Möglichkeiten des Bildlichts und der Farbgebung.

Fra Angelico, der während seiner Tätigkeit für den Papst ein reguläres Gehalt erhielt, konnte das beträchtliche Arbeitspensum nur mit der Unterstützung durch eine größere Werkstatt bewältigen. Die Beteiligung der Werkstatt, die durch die Zahlungen belegt ist, bezieht sich vor allem auf die oberen Partien. Dagegen sind die Szenen des unteren Registers mit der Laurentiusgeschichtedeutlich durch ihre höhere Qualität herausgehoben. Sein wichtigster Mitarbeiter bei diesem Werk war Benozzo Gozzoli (1420–1498), der ebenfalls ein festes monatliches Gehalt bezog und der damals am Anfang seiner malerischen Laufbahn stand. Im Juni 1447 begaben sich Meister und Gehilfe von Rom aus nach Orvieto, um im Dom mit der Ausmalung der Cappella di San Brizio zu beginnen. Der Vertrag mit dem Domkapitel (14. Juni 1447) sah vor, dass Fra Angelico während der folgenden drei Sommer das Gewölbe der Kapelle ausführen sollte. Unter Mitarbeit von Gozzoli vollendete er zwei Gewölbekappen des ersten Jochs und hinterließ Kartons für die beiden übrigen Kappen, kehrte aber nicht mehr nach Orvieto zurück. Als Luca Signorelli 1499 mit der Vollendung der Kapelle beauftragt wurde, musste er sich vertraglich dazu verpflichten, diese Kartons für die noch fehlenden Teile des Gewölbes zu verwenden.

zu 2. Die Architektur unter Pius II. und Paul II.