S. Andrea in Mantua

Wenige Wochen nach Albertis Tod (19. April 1472 in Rom) wurde am 12. Juni 1472 der Grundstein für einen Kirchenbau gelegt, der für die sakrale Architektur der Hochrenaissance und der Gegenreformation als Gründungsbau anzusehen ist. Grundlage der Ausführung war auch hier ein Modell, dessen Existenz durch einen Brief Albertis an Ludovico Gonzaga bezeugt ist, der vom 21. oder 22. Oktober 1470 datiert. Bezug nehmend auf die Absicht des Markgrafen, die ältere Benediktinerkirche S. Andrea durch einen Neubau zu ersetzen, erwähnt Alberti hier, dass er das von Antonio Manetti geschaffene Modell für das Projekt gesehen habe und dass es ihm gefalle. Es erscheine ihm jedoch für den Zweck nicht angemessen, und nachdem er darüber nachgedacht habe, schicke er nun das, was er ausgearbeitet habe. Zur Gestalt des zu errichtenden Bauwerks bemerkt er: „Dies wird geräumiger, dauerhafter, würdiger, glücklicher sein: und es wird erheblich weniger kosten. Die Alten haben diese Art von Gotteshaus ein etruskisches Heiligtum genannt.“ Der Markgraf antwortete auf Albertis Schreiben, dass er die Zeichnung („el designo di quello tempio“) gesehen habe, mit ihm aber noch darüber sprechen wolle. Was zwischen der Planungsphase und dem Baubeginn noch geändert wurde, ist nicht bekannt. Der Bau der Kirche wurde mit der westlichen Vorhalle begonnen, die sich an den Campanile des Vorgängerbaues lehnt. Erst 1494 waren der Portikus, die Flankenkapellen und zwei Drittel der Wölbung bis zur Vierung vollendet.

 

Unklar ist, ob Albertis Hinweis auf den etruskischen Tempel besagt, dass der Bau eine einfache Apsis erhalten sollte, oder ob damals schon eine Kuppel vorgesehen war, wie sie erst im 18. Jahrhundert nach dem Entwurf von Filippo Juvarra vollendet wurde. Für eine Kuppel nach dem Typus des Tempio Malatestiano sprechen die Beleuchtungsverhältnisse des Innenraums, der bis auf das durch das Fassadenfenster einfallende Licht den Vorstellungen Albertis folgt, der die größte Helligkeit auf den Eingangsbereich konzentrieren wollte, während er für das Innere der Kirche (interior ambulatio) den Halbschatten und für den Altarbereich Dunkelheit anstrebte, um die Majestät des heiligen Ortes zu stärken. Die vier wichtigsten Neuerungen von S. Andrea sind: 1. die Vorhalle, die der Kirche in gesamter Breite und Höhe vorgelagert ist; 2. die Gestaltung der Fassade, in der sich Tempelfront und Triumphbogen in einer neuen Weise verbinden; 3. das Tonnengewölbe, welches das Mittelschiff überwölbt, und 4. die rhythmisierte Wandgliederung des Innenraums. Die mächtige Tonne, die das erste nachantike Beispiel für diese römische Wölbetechnik mit einer solchen Spannweite ist, erforderte ein komplexes Stützsystem, das den Schub aufnimmt und ihm Stabilität gibt. Sowohl die Quertonnen der großen Kapellen wie die drei quadratischen Wandpfeiler, deren Hohlräume für die Unterbringung der kleineren Kapellen ausgenutzt wurden, übernehmen die Funktion eines Stützskeletts.

Während am Außenbau klar zu erkennen ist, dass die ausgehöhlten Wandpfeiler die Funktion von Strebepfeilern erfüllen, sind sie im Innenraum wandhaft geschlossene Bauglieder, die für die Rhythmisierung der Wände sorgen. Ihre Gestaltung entspricht jedoch der Fassade, die von römischen Triumphbögen in der Art des Trajansbogens in Ancona abgeleitet wird: eine große Bogennische, deren Scheitelpunkt bis zum Gebälk der sie einfassenden großen Pilasterordnung reicht, wird auf beiden Seiten von schmalen, in sich dreigeschossigen Wandstücken (Tür, Nische, Fenster) flankiert, die als rahmende Elemente fungieren. Auf sie folgt ein als Eckpfeiler ausgebildeter Pilaster der großen Ordnung, so dass das Tonnengewölbe optisch auf dem die große Ordnung abschließenden Gebälk lagert. Abgesehen von der abweichenden Orchestrierung der Geschosse im Innenraum (Öffnung, rechteckiges Feld, Rundfenster) wiederholt sich die Struktur der Fassade in identischen Proportionen. Das Gebälk und die durchgehende Kassettierung betonen die Längsausrichtung des Raumkörpers, der trotz der fortlaufenden Rhythmisierung der Wandgliederung nach dem Schema a-b-a einen schweren und lastenden Charakter bewahrt.

Der entscheidende Unterschied gegenüber Brunelleschis Auffassung von der Wand und ihrer Gliederung >L.IV.5 besteht in der räumlichen Durchdringung der konstruktiven Elemente. Vertikale und horizontale Bauglieder sind keine funktionslose Dekoration, die aufgeblendet wird, sondern sind durch die statische und architektonische Struktur bedingt, und bilden sie ab. Diese Struktur verdankt sich auf der einen Seite der römischen Antike, auf der anderen Seite reflektiert sie aber auch Elemente der Gotik, etwa im Prinzip des stützenden Strebegerüsts. Die Bedeutung des konstruktiven Prinzips von S. Andrea liegt darin, dass sein Konzept „über die zeitlichen Grenzen der Renaissance gewirkt hat“.

zu 4. Andrea Mantegna und die Camera degli Sposi