Die Bildhauer und ihre Werke im Paragone

Bei den plastischen Werken hatte sich das Prinzip des Vergleichs und der öffentlichen Konkurrenz seit dem Wettbewerb für die Nordtür des Baptisteriums im Jahr 1401 etabliert und wurde in den folgenden Jahrzehnten zu einem wichtigen Motor der künstlerischen Veränderungen. Was aus kunsthistorischer Perspektive als Entwicklung wahrgenommen wird, basiert in nicht wenigen Fällen auf dem Prinzip von These und Antithese, das ein geeignetes Mittel war, um die eigene Leistung wirkungsvoll zu präsentieren und sie in einen Kontext zu stellen, der sowohl die Ambitionen wie die Leistung deutlich macht. Begünstigt wurde der künstlerische Wettbewerb durch die Aufgabenstellungen, die seitens der öffentlichen Hand vergeben wurden. Das beste Beispiel hierfür sind die überlebensgroßen Nischenfiguren in den Außenfassaden von Orsanmichele, eines Gebäudes, das 1380 aus einer Markthalle in eine Kirche umgewidmet wurde und dessen obere Stockwerke als Getreidespeicher dienten. Bei der Ausstattung der 14 Nischen, die kurz nach 1400 begonnen wurde und die sich bis 1562 hinzog, konkurrierten die vierzehn Zünfte der Stadt miteinander, und zwar sowohl im Hinblick auf den Aufwand in der Ausstattung wie auch in der Auswahl der Künstler. Die Nische der Zunft der Steinmetzen und Zimmerleute (Arte dei maestri di pietra e di legname), die von 1414–1416 eine besonders aufwendige Ausstattung durch die ihre im Dialog gegebenen Schutzheiligen, die Santi Quattro Coronati von Nanni di Banco erhielt, weist anschaulich auf das Faktum hin, dass es in Florenz einen öffentlichen Dialog über Kunstwerke gab.

1= Ghiberti, Hl. Matthäus, 1419–1422, 2= Ghiberti, Hl. Stephanus, 1425–1429, 3= Nanni di Baccio Bigio, Hl. Aegidius, um 1415, 4= Donatello, Hl. Markus, 1411–1414, 5= Niccolò di Pietro Lamberti, Hl. Jacobus, um 1422, 6= Giovanni di Paolo Tedesco (?), Madonna della Rosa, um 1399, 8= Andrea del Verrocchio, Chrisuts und hl. Thomas, 1467–1483, 11= Donatello, Hl. Petrus, um 1420, 12= Nanni di Baccio Bigio, Hl. Philippus, um 1415, 13= Nanni di Baccio Bigio, Die vier gekrönten Heiligen, 1410–1415, 14=Donatello, Hl. Georg, um 1415

Gleichsam im Vorbeigehen wurde das Auge geschult und das Sensorium des Vergleichens stimuliert. Dabei konnte auch die Wahrnehmung individueller Stilunterschiede trainiert werden. Beim Abschreiten des Gebäudes ließen sich nicht nur die unterschiedliche Gestaltung der Gesichter, Haltungen, Faltenwürfe und Gestik der einzelnen Meister studieren, wie etwa beim Vergleich von Donatellos Evangelist Markus und Ghibertishl. Johannes der Täufer, sondern auch die stilistischen Veränderungen innerhalb des Œuvres eines Meisters wurden nachvollziehbar. Ideale Beispiele dafür sind Ghibertis nebeneinander stehende Figuren des Evangelisten Matthäus und des hl. Stephanus. So gesehen waren die Außennischen von Orsanmichele nicht nur ein Ort der Selbstdarstellung der Bürgerschaft und ihrer gesellschaftlichen Gruppen, sondern auch eine „Schule des Sehens“. Ein vom Geist der Konkurrenz getragenes Unternehmen war auch der Auftrag für die beiden Tribünen (cantorie) über den Türen zu den Sakristeien des Florentiner Doms, beide heute im Museum der Opera del Duomo. 1431 erging der Auftrag für die nördliche, den Musikanten vorbehaltene Orgeltribüne an Luca della Robbia, der aus dem künstlerischen Umfeld Ghibertis stammte, 1433 wurde Donatello mit der südlichen Tribüne beauftragt, die für die Sänger bestimmt war.

Die Arbeit an den beiden cantorie war 1438 abgeschlossen. Die Ähnlichkeit im Aufbau – fünf schwere Konsolen tragen das niedrige Korpus, dessen Brüstung von quadratisch begrenzten Reliefplatten mit einem Reigen von tanzenden, singenden und musizierenden Kindern verziert ist – lässt die Unterschiede im Einzelnen umso deutlicher hervortreten. Die Reliefs der della Robbia-Kanzel respektieren die durch die Konsolen gegebene Einteilung als Felderrahmung und betonen sie durch kannelierte Doppelpilaster; das Konsolgesims und das dreiteilige Gebälk über den Reliefplatten tragen einen Psalmtext, mit dem das Thema kommentiert wird: Laudate Dominum in sanctis eius. Das Vorbild für diese Konzeption war der Dekor an Donatellos kurz zuvor vollendeter Außenkanzel des Doms von Prato. Die Komposition der vier Reliefplatten nimmt symmetrisch aufeinander Bezug, aber jedes Feld ist als Komposition in sich geschlossen. In den weiter zurückliegenden Feldern seitlich der Konsolen wird die Thematik in abgewandelter Form wiederholt. Die Relieffiguren sind hier durchgehend flach und haften am Grund, während in den Brüstungsreliefs einzelne Figuren fast vollrund herausgearbeitet sind. Donatello dagegen konzipierte die gesamte Breite der Brüstung der Sängertribüne als fortlaufenden Fries mit tanzenden Putten, die als spiritelli (Geister) bezeichnet wurden. Der Teppich aus Blättern und Blüten unter ihren Füssen spielt auf den Titel des Doms (S. Maria del Fiore) an. Der Dekor aus farbigen Glasflüssen, die in die Säulchen und in den Reliefgrund gesetzt sind, lassen das Gebilde wie eine himmlische Vision erscheinen.

An drei weiteren Beispielen lässt sich das Wetteifern wie auch die Korrektur bzw. die Überwindung des Vorbildes demonstrieren. Donatellos bronzener David gilt als die erste, für eine freie Aufstellung bestimmte Statue der Frührenaissance. 1469 befand sich die Figur im Hof des Palazzo Medici, emporgehoben durch einen reich verzierten marmornen Sockel von Desiderio da Settignano. Anders als der marmorne David, den Donatello 1408 im Auftrag der Domopera geschaffen hatte, und der zusammen mit anderen Statuen die Strebepfeiler des Domchores bekrönen sollte, wurde diese leicht unterlebensgroße Figur für die Betrachtung aus der Nähe konzipiert. Die lässige Anmut sowie die prononcierte und unbekümmerte und daher gelegentlich provokativ wirkende Nacktheit, die schon im 16. Jahrhundert zu der These führte, dass Donatello hier einen Naturabguss verwendet habe, erklären sich wohl aus dem Umstand, dass es sich um einen privaten Auftrag handelte. Die Statue wurde erst nach der Verbannung der Medici 1494 zusammen mit der ebenfalls aus dem Palazzo Medici stammenden Judith von Donatello auf Beschluss der neuen Stadtregierung in den Palazzo della Signoria überführt. Der profan-sinnliche Charakter des David führte später zu seiner Entfernung aus der Mitte des Hofes. Pfisterer deutet die Figur als Friedensbringer und als Garant der Eintracht in einem neuen Goldenen Zeitalter und belegt dies mit Quellen des 15. Jahrhunderts.

Entscheidend für diese Deutung ist unter anderem das Attribut des Schwertes und die Nacktheit, die nicht erotisch zu verstehen sei, sondern als die durch das Gottvertrauen verliehene armatura spiritualis, mit der David in seiner Kleinheit und in seiner Blöße dem schwer gerüsteten Riesen Goliath überlegen ist. Ähnlich lässt sich auch die über Holofernes triumphierende Judithinterpretieren, die in ihrer neuen Aufstellung vor dem Palazzo della Signoria ab 1494 zum Prototypus des öffentlichen Denkmals wurde und die, unabhängig von ihrer ursprünglichen Sinngebung im Garten des Palazzo Medici, durch diesen neuen Standort eine politische Funktion bekam. Donatellos David forderte in der folgenden Generation eine Auseinandersetzung heraus, die seine Auffassung in Frage stellte und eine Alternative bot. Die näheren Auftragsumstände von Verrocchios Bronzefigur des David sind ungeklärt. Sicher ist nur, dass die Söhne von Piero de’Medici ihn 1476 an die Signoria (Rat von Florenz)verkauft haben, so dass er sich seitdem im Palazzo della Signoria befand. An seiner symbolischen Bedeutung ist daher nicht zu zweifeln; ebenso deutlich ist jedoch, dass er Kritik an Donatellos sensualistischer Interpretation übt. Deutlich wird dies an der Haltung, an der Kleidung und am Gesichtsausdruck. Während das Vorbild weich und versonnen wirkt, demonstriert Verrocchios eckige Figur Entschiedenheit und Willenskraft. Sein Gesicht trägt trotz aller Jugendlichkeit den Ausdruck des Wissens über die Bitternisse seines Sieges und sein drahtiger gespannter Körper, der nicht nackt gezeigt wird, macht den Sieg über den Riesen wahrscheinlicher als die knabenhafte und verträumt wirkende Figur Donatellos.

Dass er dessen beide Versionen der Figur genau studiert hat, ist jedoch unverkennbar. Die Drehbewegung, der Blick und die Armhaltung rufen den marmornen David in Erinnerung, die lässige Pose und die Rundum-Ansichtigkeit beziehen sich dagegen auf den bronzenen David. Vasari hat Verrocchios Stil als ziemlich hart und roh ("maniera alquanto dura e crudetta") charakterisiert. Mit Werken dieser Art verschaffte sich Verrocchio, der ab 1465 eine große Werkstatt in Florenz unterhielt, der auch Leonardo da Vinci angehörte, sein Entreé bei den Medici. Nach 1465, als er die ornamentale Grabplatte für Cosimo de’Medici in S. Lorenzo, schuf, stieg er zum wichtigsten Bildhauer in Florenz auf und profilierte sich als Nachfolger des 1466 verstorbenen Donatello. Seine überlebensgroße Zweifigurengruppe für das Tabernakel der Zunft der Kaufleute (Tribunale di Mercatanzia), deren Patron der hl. Thomas war setzte an die Stelle der bis dahin für Or San Michele charakteristischen statuarischen Nischenfiguren eine szenische Handlung, die noch dazu prominent in der Mitte der Ostfassade zur Via dei Calzaioli platziert wurde. Die Zeitgenossen waren vor allem von der idealen Schönheit des Christusgesichtes beeindruckt. Mit dieser Monumentalisierung und Idealisierung positionierte sich Verrocchio deutlich als Antipode Donatellos, dessen Spätwerk von einer radikalen Abkehr von den Schönheitsnormen der Frührenaissance gekennzeichnet war.

Zu Donatellos ungewöhnlichsten Werken gehört die hölzerne und farbig gefasste Statue der hl. Maria Magdalena im Büßergewand, aus deren erster Erwähnung im Jahr 1494 sich nicht nur seine Autorschaft ergibt, sondern auch ihr Standort im Florentiner Baptisterium. Datiert wird sie in die Jahre 1453–1455, ist damit also ein spätes Werk. Die Tendenz zu einer die Konventionen sprengenden Expressivität missachtet in ihrer extremen Hässlichkeit die „Angemessenheit” (convenientia), die für jede Verbildlichung eines Heiligen galt. Darin geht die Figur erheblich über die ihr im Duktus ähnliche Holzfigur des hl. Johannes des Täufers hinaus, den Donatello 1438 für die Florentiner Bruderschaft in Venedig geschaffen hat >L.XVI.2. Die Hinfälligkeit von Körper und Gesicht so schonungslos – und noch dazu bei einer Frau darzustellen, war in Florenz um die Mitte des 15. Jahrhunderts vermutlich nur deswegen nicht anstößig, weil das Ergebnis mit der allgemeinen Vorstellung von den praktizierten Formen der Buße übereinstimmte. Aus den Quellen ist bekannt, dass Brunelleschi – möglicherweise als Antwort auf Donatellos Werk – eine ebenfalls hölzerne Statue der hl. Maria Magdalena für die Kirche Santo Spirito schuf, deren Aussehen jedoch nicht bekannt ist, da sie 1471 verbrannt ist. Blickt man auf die beiden, ebenfalls in Konkurrenz entstandenen Kruzifixe der beiden Meister, so dürfte es Brunelleschis Anliegen gewesen sein, zu demonstrieren, wie eine solche Übersteigerung des Ausdrucks zu vermeiden sei. Vasari überliefert, Brunelleschi habe Donatellos Kruzifixus wegen seiner groben bäuerischen Züge kritisiert, die er für Christus als „il più perfetto uomo che nascesse giammai“ nicht angemessen fand. Brunelleschis Gegenentwurf sei so überzeugend gewesen, dass auch der mit ihm befreundete Donatello von der Schönheit des Werks angetan war.

Charakteristisch für Donatellos späte Werke ist nicht nur die Abkehr von formalen Konventionen, sondern auch eine neue Sicht auf die christliche Ikonographie. Das Relief mit der Auferstehung Christi an der nach dieser Szene benannten Kanzel in S. Lorenzo ist dafür das vielleicht extremste Beispiel. Den Auftrag zu beiden Kanzeln hatte Donatello von Cosimo de’Medici erteilt worden, konnte ihn jedoch nicht mehr vollenden. Die südliche Passionskanzel stellt in fünf Reliefs Szenen der Passion dar, die sechs Reliefplatten der nördlichen Kanzel enthalten dagegen Szenen, die sich nach der Kreuzigung ereignet haben. Das Relief mit der Auferstehung Christi wird vom Abstieg Christi in die Vorhölle und von der Himmelfahrt Christi flankiert . Vor dem Grab liegen die vor Waffen strotzenden drei Grabwächter. Christus steht nicht wie üblich in der Mitte des offenen Sarkophags, sondern er setzt, von links kommend und in gebeugter Haltung, seinen rechten Fuß auf den Rand des Sarkophags. Der Blick, den er auf die Schlafenden richtet, ist nicht triumphierend, sondern zeigt eine Mischung aus Neugier und schwerfälligem Staunen.

Donatellos unkonventioneller Spätstil wird oft mit seinem bizarren und unangepassten Charakter in Verbindung gebracht, über den es eine Reihe von Anekdoten gibt. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die Abkehr von den harmonischen Proportionen und die Betonung von Hässlichkeit und Verfall über die individuelle Ebene hinaus einer allgemeinen Tendenz der Florentiner Kunst entsprechen, die sich ab ca. 1460 herausbildete. Aus verschiedenen Gründen konnte sich diese Richtung letztlich nicht behaupten. Einige der Künstler, die ihre wichtigsten Vertreter waren, verließen Florenz, darunter die Brüder Pollaiuolo, die 1484 nach Rom gingen. Verrocchio ging 1486 nach Venedig, um dort das Reiterdenkmal für den Heerführer Colleoni auszuführen, mit dem er sich noch einmal der Konkurrenz mit Donatello stellte >L.XVI.2. Der Vergleich mit dessen Reiterdenkmal des Gattamelata macht nicht nur die Unterschiede deutlich, sondern zeigt auch, wie sehr der künstlerische Wettstreit der Fortschreibung der Tradition bedurfte, deren Fundament eine Konvention war, die auf der Autorität der Vorgänger, auf einem gültigen Themen- und Bedeutungskanon und auf dem Konsens über die Normen des Kunsturteils beruhte.

zu Lektion VI