Leon Battista Alberti
Der Protagonist der nächsten Phase der archäologischen und antiquarischen Studien war Leon Battista Alberti (1404–1472). Das von ihm gewählte Emblem des geflügelten Auges basiert auf den „Hieroglyphica” des Horapollo, einem 1419 entdeckten Text aus dem 5. Jh. n. Chr. Das zugehörige Motto QVID TVM (zu dt. etwa „was dann also”) geht dagegen auf Cicero zurück, der diese Wendung benutzte, um während des Gesprächs zum nächsten Argument überzuleiten.
Eine entscheidende Quelle für die Kenntnis von Albertis Leben ist seine Selbstbiographie („Vita anonyma”), die er wahrscheinlich schon sehr früh geschrieben hat. Jacob Burckhardt, der eine knappe und eindrucksvolle Charakteristik von Albertis Leben und Wirken gibt, bezeichnete ihn als „einen jener Gewaltmenschen des 15. Jahrhunderts“, verweigerte ihm jedoch trotz der ungeheuren Vielfalt dessen, was Alberti gekonnt, geleistet und geschrieben hat, das Prädikat des Universalgenies, das er Leonardo zugestand. Alberti blieb für ihn der Dilettant, der alles weiss und von allem gut reden kann, aber der es vor allem versteht, sich ins rechte Licht zu setzen. Die intensiven Forschungen über die Renaissance, die seit Burckhardts Tagen durchgeführt wurden, haben dieses Bild gründlich verändert, und zwar so, dass man heute in Alberti den „Erfinder” der Renaissance sehen kann. Seine Leistungen für die Grundlegung der Kunsttheorie betreffen sowohl die Architektur wie auch die Skulptur und die Malerei.
Alberti stammte aus einer exilierten Florentiner Familie, war aber in Genua geboren. Seine Mutter — eine geborene Fieschi — entstammte dem hohen Genueser Patriziat. In Venedig aufgewachsen, absolvierte er seine Studien in Padua und Bologna und wurde 1428 mit 24 Jahren promoviert. Von 1432 bis 1434 hielt er sich in Rom auf, wo er sich dem Humanistenkreis um Papst Eugens IV. anschloss, in dessen Gefolge er 1434 nach Florenz ging und hier zu Brunelleschi und Donatello in Verbindung trat. 1435 verfasste er zunächst auf Lateinisch seinen Traktat „De Pictura”, der schon ein Jahr später ins Italienische übersetzt wurde. Er nahm sodann am Konzil von Ferrara teil, das ab 1439 in Florenz tagte. Als abbreviatore apostolico kehrte er mit Papst Eugen IV. 1443 nach Rom zurück, wo er — nur unterbrochen durch zahlreiche und häufige Reisen an italienische Höfe des Nordens — seinen ständigen Wohnsitz nahm. Papst Nikolaus V., den er bei seinen römischen Bauprojekten beriet, beauftragte ihn 1447 mit der Restaurierung bedeutender antiker Gebäude Roms.
Eine Zeichnung dokumentiert Albertis Tätigkeit als „Denkmalpfleger“ und als Ingenieur: sie zeigt ihn bei der 1447 zusammen mit Flavio Biondo versuchten und fast auch gelungenen Bergung der römischen Prunkschiffe aus dem Nemisee, die jedoch erst im 20. Jahrhundert gelingen sollte. Eine Schilderung der Bergung, die als großes Spektakel inszeniert wurde, zu dem die gesamte römische Kurie anreiste, findet sich in Flavio Biondos Schrift „Roma triumphans”von 1459. Für Unternehmungen dieser Art benötigte man erfahrene Taucher, wie sie in einer Zeichnung von Francesco di Giorgio Martini dargestellt sind. Alberti interessierte sich vor allem für die Wiederherstellung der antiken Bauten, die vom Einsturz bedroht waren. Wenn er den Abbruch antiker Tempel und Theater beklagte, so auch, weil er der Überzeugung war, dass mit ihnen das Geheimnis ihrer Proportion verloren gehe, das sie verbergen und in denen er die Zauberformeln vermutete, mit denen man die Verfallserscheinungen der Gegenwart aufhalten könne. Er verachtete die große Anzahl religiöser Bauten, die in den vergangenen Jahrhunderten errichtet worden waren, und bedauerte es, dass die Menschen nichts anderes im Sinn gehabt hätten als Gotteshäuser zu errichten. Es habe eine Art Turmbau-Epidemie geherrscht, die die Stadtbilder mit Türmen verschandelt hätten. Hier spricht der gebildete und aufgeklärte Humanist, der noch die von Geschlechtertürmen dominierten mittelalterlichen Stadtbilder vor Augen hatte.
Leonardo da Vinci, der sich später intensiv mit Alberti auseinandergesetzt hat, stellte fest, dass die Betrachtung mit nur einem Auge die Plastizität (rilievo) der dargestellten Gegenstände steigere. Die Verkürzung und Verkleinerung schloss die in den gemalten Bildraum gestellten Figuren ein, denen diese Schaffung von Raum jene Vielfalt an Bewegungen und Handlungen zu geben vermochte, die Alberti von einer historia forderte. Wenn man etwa Jan van Eycks Madonna des Kanonikers van der Paele mit Piero della Francescas Geisselung Christi vergleicht, so wird dieser Aspekt deutlich. Auch Jan van Eyck beherrschte die Zentralperspektive, aber seine Figuren passen sich nicht den Proportionen der Architektur an, sie bilden keine historia in Raum- und Zeiteinheit. Die neue Methode der Konstruktion des Bildraumes löste die von Giotto und seinen Nachfolgern verwendete synthetische „Fluchtachsenkonstruktion“ ab, die zwar schon teilweise konvergierende Fluchtlinien kannte, aber eben keinen zentralen Fluchtpunkt für alle Tiefenlinien. Der zentrale Fluchtpunkt ermöglichte der Malerei eine kohärente Raumdarstellung, die vorher nur in den Fällen gelungen war, wo der dargestellte Raum arm an Gegenständen war, wie in Ambrogio Lorenzettis Verkündigung Mariae von 1344.
Ein Zeitgenosse von Alberti war der Kaufmannssohn Cyriacus von Ancona, eigentlich Ciriaco de' Pizzicolli, der Italien und den ganzen Mittelmeerraum bereist hat, wo er die Reste antiker Tempel zeichnete, Inschriften abschrieb und Texte und Münzen sammelte, die er an italienische Humanisten, darunter Francesco Filelfo, Niccolo de Niccoli und Poggio Bracciolini, vermittelte. Er beherrschte die griechische Sprache und lebte zeitweise in Konstantinopel am Hofe des Sultans Muhammed II. des Eroberers, dem er aus Livius und Herodot vorlas. Ciriaco erlebte daher die Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 aus osmanischer Sicht. 1433 war er zum ersten Mal in Florenz gewesen, wo er sich von Brunelleschi auf die Baustelle der Domkuppel führen ließ und wo er auch die Werkstätten von Donatello und Ghiberti besuchte, in denen er antike Statuen sah. Die Quelle für sein Wirken sind seine Reisetagebücher, die „Commentaria”, von denen nur Auszüge erhalten sind, die jedoch stark nachgewirkt haben und die oft die einzige Quelle für heute verlorene Monumente darstellen. Unter seinen Zeichnungen nach der Antike sind Zeichnungen des Parthenon und seiner Reliefs auf der Akropolis in Athen und der Hagia Sophia in Konstantinopel. Sie dienten den Architekten der Renaissance, so etwa Giuliano da Sangallo, zum Vorbild.