II.5 d-e

Die Krise Marie Luise Gotheins, die mit ihrem Umzug nach Heidelberg ausgelöst wurde, steigerte sich zu einer Lebens- und Ehekrise. Im Juni 1909 gestand sie ihrem Mann eine ‚geistige‘ Affäre mit dem Heidelberger Germanisten Philipp Witkop. Dieser beendete zugunsten der Pianistin Mina Tobler die Beziehung.

Gothein wohnte nach der Beichte einige Zeit bei Freunden in Bonn, in zahllosen Briefen rangen die Ehepartner darum, wieder gemeinsamen Grund zu finden. Der Einfluss Witkops zeigt sich in Gotheins Hinwendung zu Nietzsche:

„[...] ich verstehe ihn [Nietzsche] tiefer, verwandter, er verlangt das, was ich jetzt so unaufhörlich von mir verlange Selbstüberwindung um höher zu steigen. Denn was ich überwinden muss ist nicht die letzte schreckliche Zeit der Lüge und Doppelzüngigkeit und des Verrates, nein gerade jene erste Zeit, die mir so viel gegeben hat, in der ich in den Sternen lebte und das Leben eine Weite für mich hatte, wie es nicht wieder kommen kann, sieh das muss ich überwinden und doch für mich retten.“ [Seite 3r, Zeile 1 ff.]

Nach dieser Krise schlug Gothein endlich Wurzeln in Heidelberg. Die Krise zu Beginn ihres fünften Lebensjahrzehnts erwies sich als Katalysator für eine neue Ausrichtung ihres Denkens.

II.5
d) Philipp Witkop: „Eros“, Leipzig: Eckardt, 1908
UB Heidelberg G 6888-0-100

e) Marie Luise Gothein: Brief an Eberhard Gothein, „Bonn d. 17.6.9“
UB Heidelberg, Heid. Hs. 3487,246
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II. „Hinaus in die Zukunft leben“ – von Preußen nach Heidelberg