Die Idee vom Haus im Grünen

Die Idee vom Haus im Grünen. Max Liebermann am Wannsee, hrsg. v. Martin Faass, Berlin 2010
Rezension von Annika Kurwinkel

 

„Hundert Bilder könnte man hier malen…“  soll Max Liebermann ausgerufen haben, als er zusammen mit Alfred Lichtwark einen norddeutschen Bauerngarten besuchte; beide waren von der schlichten Raumaufteilung, den Heckeneinfassungen und dem Blumenreichtum begeistert. 20 Jahre später bildete der Bauerngarten – so wie Lichtwark ihn verstand – ein zentrales Gestaltungsmotiv in Liebermanns Gartenanlage am Wannsee.


Diese hier anklingende Wechselbeziehung von Malerei und Gartengestaltung thematisiert auch die neue Publikation der Liebermann-Gesellschaft. Mit Die Idee vom Haus im Grünen. Max Liebermann am Wannsee wurde zum 100jährigen Jubiläum des Liebermann-Anwesens ein neues „Standardwerk“  vorgelegt, welches den anlässlich der Ausstellungen in Berlin und Hamburg 2004 erschienenen Katalog Im Garten von Max Liebermann ersetzen soll.

 

Ein „Gesamtkunstwerk aus Malerei, Architektur und Gartenkunst“
Der 2010 von Martin Faass herausgegebene Sammelband versteht sich als „umfassendes Kompendium zum Verständnis von Haus und Garten, ihres Erbauers und seiner in Wannsee entstandenen Gemälde“ . Mit dieser Zielsetzung versucht er in 18 Aufsätzen, das Gesamtensemble Max Liebermanns aus Richtung der Architektur, Gartenkunst und der Gemälde zu greifen; für die Zusammenfassung des Buchinhaltes soll an dieser Stelle die Vorstellung je eines Beitrags aus einer dieser Fachdisziplinen genügen.


Diese polyperspektivische Betrachtung des Liebermann-Anwesens wird eröffnet von drei Beiträgen zur Architektur und Ikonografie des Landhauses am Wannsee. Hierzu gehört  u. a. der Aufsatz von Martin Faass und Angelika Wesenberg, Das Haus im Grünen – Mit Säulen und Heckentoren, der die Landhausbewegung kulturgeschichtlich erläutert: Den Bau eines Hauses außerhalb des Stadtgebietes um 1900 beschreiben die Autoren als Ausdruck der Lebensreformbewegung und der „Rückbesinnung auf regionale Traditionen und Vorbilder“ . Zudem werden die italienische Villenbewegung der Renaissance und die antiken Villenbeschreibungen von Vitruv und Plinius in den Blick genommen und so die Villa auf dem Land als ein Ort der „Muße und Natürlichkeit“  mit der Künstler-Villa in Bezug gesetzt. Diese Wiederbelebung eines antiken Ideals bringen die Autoren im Weiteren mit dem Aufkommen der Malergärten in Verbindung und verorten „das Haus im Grünen […] als geradezu ikonographische[s] Motiv in der Kunst dieser Zeit“ , wobei in einem kurzen Abriss auf Künstlergärten und Gartenbilder von Max Slevogt, Heinrich Vogeler und Wilhelm Trübner hingewiesen wird.


Die vergleichende Perspektive greift der Beitrag von Margit Bröhan, Gemalte Gärten andernorts, auf, der „versucht, dass kreative Potential des Gartenthemas zu skizzieren“ . Indem Liebermanns Wannsee-Bilder mit denen von Zeitgenossen in Beziehung gesetzt werden, soll die Vielfalt der Gartenbilder in der Malerei der Zeit dargestellt werden. Ausgehend von der These, dass die Kunst der Zeit den „genussvolle[n] Außenraum“ des 19. Jahrhunderts und damit den eigenen Garten als Rückzugs- und Regenerationsort thematisiert, wird exemplarisch die Rolle des Gartens als Motiv der Malerei des Impressionismus, des Symbolismus, des Jugendstils, des Expressionismus, der Sachlichkeit und der Abstraktion herausgearbeitet.


Näher betrachtet hingegen Bröhan diejenigen Künstler, die selbst einen Garten gestalteten und malten: Anfang des 20. Jahrhundert legte Heinrich Vogeler in der Künstlerkolonie Worpswede ein Anwesen, bestehend aus Haus und weitläufigem Garten, an – den Barkenhoff –, das für ihn zu einem Refugium und Motiv seiner Bildwelt wurde. Eine noch existentiellere Bedeutung hat der eigene Garten für Emil Nolde, der zusammen mit seiner Frau Ada Vilstrup überall dort Gärten anlegte, wo sie lebten. „Leben in und mit der Natur war für ihn unverzichtbar“, und so schuf und malte er Gärten in Garderup, in Utenwarf und in Seebüll.  Für letzteren entwarf der Künstler selbst den Gartenplan.


Ebenso wie diese beiden Künstler gestaltete sich auch Liebermann ein eigenes Refugium am Wannsee. Der in enger Absprache mit Alfred Lichtwark entworfene Garten ist als Ausdruck der modernen Gartenkunst um 1900 bzw. der Gartenreformbewegung, wie Reinald Eckert (der leitende Landschaftsarchitekt bei der Wiederherstellung des Wannseegartens) in seinem Beitrag Max Liebermann, der Wannseegarten und die Gartenkunst betont. Die Villenkolonie Alsen, in der das Anwesen liegt, ist ein typisches Beispiel für die ab 1860 entstehenden Landhauskolonien außerhalb der großen Städte, in denen die Gärten noch landschaftlich gestaltet wurden. Eckert führt in den gartenkünstlerischen Diskurs der Jahrhundertwende ein und erläutert dann das Raumkunstwerk am Wannsee. Dieses zeichne sich aus durch die Einbeziehung des Nutzgartens in den Gartenraum, eine enge Verbindung von Garten und Landhaus, den Gegensatz von natürlichen und stark durchgestalteten Gartenelementen und den drei Heckengärten als Ausdruck des Reformgartenideals des Gartenraums als Raumkunstwerk.


Als einer der führenden Köpfe der Gartenreform hatte Lichtwark schon bei der Gestaltung des Gartens des Historienmalers Leopold von Kalckreuth in Eddelsen bei Hamburg zur Seite gestanden. Unter dem Abschnitt „Künstlergärten“ betrachtet Eckert beide Gärten in vergleichender Perspektive und kommt zu dem Schluss, dass sich in beiden Anlagen anhand der Verwendung von Hecken, der Konzentrierung auf einen Mittelweg, das Motiv des Bauerngartens, die terrassenförmige Anlage und die damit verbundende Treppenanlage die Lichtwark’schen Gestaltungsideale feststellen lassen.


Im Garten von Max Liebermann und Die Idee vom Haus im Grünen
Was ist nun aber das Neue, das ein zweites Standardwerk über das Liebermann-Anwesen rechtfertigt? Es ist eine neue Idee, die bei der Betrachtung des Gesamtensembles von Haus, Garten und Malerei zur Anwendung kommt, Die Idee vom Haus im Grünen, an die Max Liebermann mit der Anlage seines Wannsee-Anwesens anknüpft. In zwei Beiträgen wird die Anlage in die „ungeahnte neue Blüte“  der Vorstadtvilla eingeordnet, die in der Gründerzeit begann und bis in die Anfänge des letzten Jahrhunderts andauerte. Zudem wird Eine kurze Baugeschichte der Liebermannvilla gegeben, die am Ende des Buches mit dem Beitrag Die Liebermannvilla von 1940 bis heute weitergeführt wird. Diese beiden Aspekte ergänzen – zusammen mit der ausführlichen Betrachtung der Persönlichkeit Liebermanns und dessen Leben am Wannsee – die Beiträge, welche die neue Publikation aus dem ersten Katalog (z. T. gekürzt) übernimmt.


Die Idee vom Haus im Grünen ist eine der wenigen Publikationen, die den Garten eines Künstlers bzw. einen Künstlergarten untersucht und ihn unter einem gartenkunsthistorischen Blickwinkel betrachtet. Vergleichbares leisten die Foundation Monet, die 2009 den Ausstellungskatalog monet’s garden in giverny: inventing the landscape herausgebrachte, oder die Stiftung Henri Le Sidaner, die dessen Künstlergarten ebenfalls eine Publikation gewidmet hat.  Die deutschen Künstlergärten, wie z. B. von Emil Nolde oder Heinrich Vogeler, wurden bisher weder umfassend untersucht noch kontextualisiert, sodass die Liebermann-Publikation in Deutschland ein Wegbereiter auf einem noch beinahe unbetretenen (Garten)Weg ist.


Schade ist bei der Übernahme von Reinald Eckerts Beitrag aus dem 2004er Katalog, dass neuere Forschungsergebnisse nicht mit einbezogen wurden. Zudem thematisiert der Autor zwar die für die Einordnung des Gartens wichtigsten gartenkunsthistorischen Aspekte, hinterfragt sie aber nicht und bleibt so im Ganzen gesehen an der Oberfläche. Dies wird besonders deutlich, wenn er den Bauerngarten als Gestaltungsideal des Reformgartens (und damit als Gestaltungsmotiv der Anlagen von Liebermann und Kalckreuth) anspricht, den Begriff „Bauerngarten“ unkritisch übernimmt und auf die Gestaltung der Reformgärten anwendet. Schon 1992 hat Helmut Poppendieck dargelegt, dass der typische Bauerngarten gar nicht existiert und keineswegs einer längeren Tradition entstammt, sondern ein „Konstrukt, ein museal geprägtes, verfeinertes und anspruchsvolles Formklischee“  darstellt, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts erst konstruiert wurde. Aus dieser Perspektive heraus wären auch die Gärten von Kalckreuth und Liebermann bzw. die Gestaltungsideen Lichtwarks neu zu betrachten.


Ebenso hätte der Beitrag von Faass/Wesenberg durchaus mit aktuelleren Forschungsergebnissen aufwarten können, die eine sinnvolle Vertiefung und Erweiterung der Untersuchungsperspektive bewirkt hätten: Neben der in der Herleitung der Villen- und Landhausbewegung fokussierten Reformbewegung fehlt hier der Blick auf die Repräsentation einer Gesellschaftsschicht durch die „Denkmäler des Bürgertums“ , die Landhausvillen. Gerade für das Anwesen des vermögenden Max Liebermann, dessen „öffentliche Präsenz in Berlin und in ganz Deutschland im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts […] kaum überschätzt werden“  kann, ist dieser Aspekt bedeutsam.


Fraglich bleibt insgesamt, ob eine derartige Fokussierung der Landhausbewegung, wie sie in diesem Buch passiert, wirklich zum Verständnis des Gesamtensembles am Wannsee notwendig ist und ob nicht dem Aspekt des Künstlergartens mehr Platz eingeräumt werden sollte. Aus dieser Perspektive bleibt auch zu bemängeln, dass der Beitrag von Richardson aus dem 2004er Katalog nicht wieder abgedruckt wurde, thematisierte dieser doch explizit den Liebermann-Garten als Künstlergarten und schuf durch den Vergleich mit Monets Künstlergarten in Giverny eine Kontextualisierung, die in dem neuen Band leider nur nebenbei geschieht.

Festzuhalten bleibt, dass Die Idee vom Haus im Grünen in Thematik und Methodik ein begrüßenswerter und zudem in Deutschland einmaliger Ansatz im wissenschaftlichen Diskurs der Künstlergärten darstellt, die Texte im einzelnen jedoch wenig aktuell sind und die jeweiligen Themenstellungen zu eindimensional abgehandelt werden.