Zweck des «Maltechnik-Notizbuchs»

Die Antwort auf die Frage, was Hans Emmenegger veranlasste, seine Maltechnik genau zu dokumentieren, geht schon aus seinen allerersten Logbucheinträgen vom Februar 1901 hervor. Diese beschreiben systematische Lasur-«Proben» (Versuchsreihen) mit den Tubenfarben der Sorte «Mussini», die er mit Firnis verdünnte. Schon nach der ersten «Probe», die übrigens gut gelang, notierte er zweifelnd im Logbuch: «Springen diese mit Firniss gem[ischten] Fa[rben] später vielleicht ab, reissen sie, dunkeln sie nach oder vergilben sie?»

Dass Emmenegger an der Wirkung seiner Bilder arbeiten und Fehler vermeiden wollte, die ihre Haltbarkeit gefährdeten, bezeugen zahlreiche weitere Stellen im Maltechnik-Notizbuch. Wie viele seiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen machte er sich Sorgen um die Beständigkeit seiner Werke. Ganz offensichtlich hatte er erlebt, dass ihre Farbschichten sprangen und in Schollen vom Untergrund abfielen, dass gewisse Partien Frühschwundrisse bildeten oder sich sogar verfärbten. Solche Schäden waren immer erst zu einem Zeitpunkt aufgetreten, an dem er sich an den Arbeitsprozess nicht mehr genügend gut erinnerte, um ihre Ursachen zu rekonstruieren. Das Maltechnik-Notizbuch war seine Gedächtnisstütze. Es sollte ihm helfen, gute von schlechten Produkten zu unterscheiden, miteinander inkompatible Materialien zu erkennen und maltechnische Fehler zu vermeiden.

Die Frage, warum er sein Logbuch im Juli 1905 wieder aufgab, beantwortete der Maler übrigens selbst. Nach seinem letzten Eintrag vom 23. Juni 1905 notierte er, es würde «nicht weitergeführt, da sein Nutzen in keinem Verhältnis zu stehen scheint mit der Arbeit, die es verursacht». Dass seine Aufzeichnungen später ein Zeugnis bilden würden, das weitreichenden Aufschluss gibt über die Technik der Malerei zur Zeit der frühen Moderne, konnte er nicht ahnen.