Rezension
In der vorliegenden, reichlich bebilderten Anthologie bietet Alena Janatoková Zugang zu neuen Quellentexten des Tschechischen/Tschechoslowakischen Werkbunds (Svaz Českého/Československého Díla, SČD/SČSD) und des Werkbunds der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT), eingebunden in einer Studie, die das Wirken des Werkbundes über die Grenzen des Deutschen Reichs hinaus skizziert. Insbesondere ist es Janatkovás Ziel, eines der Kernthemen des Werkbunds, nämlich die "Modernisierung von Alltag, Leben und Wohnen durch Qualitätsarbeit und Qualitätsprodukte" (11), und seine Verbindung mit der Tschechoslowakei als neuem Nationalstaat nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie zu beleuchten. Janatková präsentiert den 1907 gegründeten Deutschen Werkbund (DWB) und den 1912 in der Habsburgermonarchie gegründeten Österreichischen Werkbund (ÖWB) als eine Art Exportmodell, das als wichtiger Bezugspunkt für sowohl den SČD/SČSD als auch den WDT galt. Kurz skizziert Janatková den Werdegang des DWB und des ÖWB in der Einleitung, in der sie auch die Eckdaten und wichtigsten Anhaltspunkte zu den tschechoslowakischen Werkbundvereinen SČD/SČSD und WDT festhält. Betont wird dabei, dass der nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie neu gegründete SČSD durch Persönlichkeiten wie Václav Vilém Štech "bestens im Netzwerk der staatlichen Kultur mit der tschechoslowakischen Regierung eingebunden" (15) gewesen sei. Dem WDT hingegen, seinerseits den Kunsthistoriker Otto Kletzl zu den Gründungsmitgliedern zählend, wurde politisches Handeln untersagt. Die Beziehung zwischen den beiden Vereinen war bis zuletzt von einem gegenseitigen Konkurrenzdenken geprägt. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten sieht Janatková das Ziel der vorliegenden Anthologie einerseits darin, den bisher kaum erforschten WDT in die Geschichte der Werkbundvereine aufzunehmen; andererseits offeriert der grenzüberschreitende Kontext in Bezug auf beide tschechoslowakische Werkbundvereine eine neue Sichtweise auf die Kulturorganisation DWB als "Exportmodell" (12).
Die Quellentexte, die im deutschen Original beziehungsweise in deutscher Übersetzung aus dem Tschechischen vorliegen und sich auf die wesentlichsten programmatischen Schriften des ÖWBs als Vorgänger zum einen und des SČD/SČSD und WDT zum anderen beschränken, präsentiert die Herausgeberin als Basis für weiterführende Forschungsprojekte, die unter ihren Schwerpunkt "Architektur und Erziehung" fallen. Die insgesamt sechs Texte umfassen eine Zeitspanne von fünfzehn Jahren (1916-1931), die sowohl die Entstehung des SČD und des WDT als auch die letzte große Ausstellung des SČSD "Baba" in Prag (1932) miteinschließt, welche den endgültigen Übergang vom Vorbild des Großstadtmodells von Otto Wagner zu dem von Le Corbusier bezeugte. Janatková bietet zu jedem dieser Quellentexte eine kurze Einleitung und kommentiert, wenn auch nur sehr kurz, die sich anschließenden Bildfolgen, mit denen das jeweils von der Herausgeberin angeführte Argument zu den Quellentexten unterstrichen werden soll.
Als Ausgangspunkt dient Max Eislers Publikation Die Österreichische Werkkultur von 1916, der zufolge der Erziehungsgedanke des Werkbunds zum "guten Geschmack" in der Zusammenarbeit zwischen Künstler, Schule/Lehrer, Erzeuger, Aussteller sowie Händler und Käufer begründet liegt. Der 1913 gegründete SČD griff diesen Gedanken auf, münzte ihn jedoch im Laufe der 1910er Jahre auf die Bedürfnisse des tschechoslowakischen Nationalstaats um. Die von Janatková ausgewählten Texte bezeugen dabei die Schlüsselposition Štechs als Kulturtheoretiker und Bindeglied zwischen Regierung und SČSD. Im Vergleich zu der Fülle an Texten und Publikationen des SČD/SČSD finden die Schriften des WDT nur relativ wenig Berücksichtigung; in der Anthologie sind sie auf Ernst Schwedeler-Meyers "Der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakischen Republik" (1927) beschränkt. Damit wird verdeutlicht, dass der SČD/SČSD der dominantere der beiden Vereine war und dass Quellen zum WDT nur spärlich vorhanden sind.
Besonders betont die Herausgeberin die Erkenntnis, dass der Erziehungsgedanke des SČSD mit dem neuen tschechoslowakischen Nationalstaat eng kooperierte und sich letztendlich auf Vorgaben des modernen Wohnens spezialisierte. Diese waren zwar ursprünglich für die Mehrheitsbevölkerung gedacht gewesen, wurden letztendlich aber auf "eine exklusive Klientel von Auftraggebern der tschechoslowakischen Kunst- und Kulturelite" zugeschnitten (123). Nichtsdestotrotz war das moderne Wohnen mit dem tschechoslowakischen Nationalstaat im Sinne der neuen Staatsideologie verbunden und wurde nach außen hin als Grundrecht präsentiert. In den Quellentexten kommen in diesem Zusammenhang die Parallelen zwischen ÖWB und SČSD besonders deutlich zum Vorschein, auch wenn diese von der Herausgeberin nicht direkt kommentiert werden.
Zweifelsohne ist Janatkovás Beitrag zur Geschichte der Werkbundvereine von großer Relevanz, zumal die Anthologie erstmals deutsche, österreichische und (deutsch-)tschechische Quellentexte präsentiert und somit die transnationale Bedeutung des Werkbunds in Zentraleuropa verdeutlicht. Jedoch sei hinzugefügt, dass die Analyse vom Werdegang der Werkbundvereine in der Tschechoslowakei sehr eng gefasst ist und ein fundiertes Wissen zur Geschichte der Ersten Tschechoslowakischen Republik voraussetzt, um die vorliegenden Quellen adäquat kontextualisieren zu können. Als Grundbaustein für die weiterführende Forschung zum Werkbund im zentraleuropäischen Raum hat Janatková die Texte zum Thema demnach auf die wesentlichsten beschränkt, sodass, ganz in ihrer Absicht, weitere Fragen beantwortet werden müssen, um das Gesamtbild des facettenreichen Modells "Werkbund" in der Region erfassen zu können.
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