Rezension
Wohl selten bekommt man ein Buch zur Hand, das von einer konzeptionellen Umgestaltung derart profitiert hat wie die kunsthistorische Arbeit von Thum, die darüber hinaus insbesondere für Theologen und Theologinnen und auch Historiker und Historikerinnen erkenntnisreich ist. War die Absicht der Autorin zunächst, mit der Schutzengelikonografie eine "Forschungslücke" (12) für die Frühe Neuzeit zu schließen - die Berechtigung dieser Negativdeutung mag dahingestellt bleiben -, so erweiterte sie dann den Horizont auf das Mittelalter und zurück bis in die Anfänge in der Spätantike hinein. Das Ergebnis ist eine fundierte monografische Behandlung zur Schutzengelikonografie, die deren Entwicklung bis in das 17. Jahrhundert hinein äußerst detailreich chronologisch, ansatzweise aber auch strukturell, aufzeigt.
Hierbei ist die Begrenzung auf den Typus Individualschutzengel gut begründet, zumal Thum auch in räumlicher Hinsicht den Horizont weit öffnet (West- und Mitteleuropa, in der Spätantike auch Byzanz). Für eine kunsthistorische Arbeit selbstverständlich ist die reiche Bebilderung des Buchs, die nicht unerwähnt bleiben soll, da Thum es gut gelingt, mit dem Medium Bild dem Leser zum Teil sehr komplexe Zusammenhänge oder auch versteckte, aber eminent wichtige Details vor Augen zu führen.
Nach der Definition von drei Grundtypen in der Ikonografie des Individualschutzengels: Abwehr des Bösen - Wegleitung - Devotionsbild eröffnet Thum ihre Untersuchungen mit der "Keimzelle" (21), der "Rettergottikonographie" (Titel des Kapitels II). Schutzengeldarstellungen hat es in der frühen christlichen Kunst folgerichtig zwar noch nicht geben können, doch liegen im Motiv des frühchristlichen Rettergotts, das wiederum aus Traditionen verschiedener Religionen schöpft, deren "Wurzeln" (30): Helfer des Rettergotts und Mittler zu ihm.
Der Übergang zum nächsten Kapitel, das den Leser in das Byzantinische Reich und damit an die Wende zum Mittelalter führt, erscheint etwas gezwungen. Damit ist gleichzeitig ein Schwachpunkt der Arbeit insgesamt markiert: Der chronologisch orientierte Duktus ist auch von der Quellenlage beeinflusst, was zu räumlichen und zum Teil auch zeitlichen Sprüngen führen kann. Das Bemühen, diese dann möglichst zu überbrücken, ist an sich positiv zu bewerten, darf aber nicht mithilfe von mehr oder weniger hypothetischen Verbindungen unternommen werden. Die Quintessenz dieses Kapitels lautet, dass "die ersten echten Schutzengelbilder" (43) in der byzantinischen Kleinkunst zu verorten sind.
Etwas unterbelichtet wirkt das 4. Kapitel "Kritik", zumal Thum damit eine lange Zeitspanne bis in die Karolingerzeit hinein charakterisiert, in der sich die Schutzengelikonografie nicht weiterentwickelt hat.
Dagegen ist für die Folgezeit beeindruckend, wie Thum die in der Thematik quellenarme Zeit des frühen Mittelalters mit ihrer feinen Analyse und scharfsinnigen Interpretation von nur zwei Psaltern aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts um wichtige Erkenntnisse zu bereichern vermag. Überzeugend arbeitet sie auf über 60 Seiten en détail heraus, dass die seit der Spätantike entwickelten Motive erstmals vollständig vereint und weiter ausgebildet wurden. Thum ordnet diese Motive in all ihren Varianten, Bestimmungen und Funktionen den drei Grundtypen zu, die im Utrecht- und im Amiens-Psalter klar erkennbar sind. Mit Recht behandelt sie Rezeption und Nachwirkung des Utrecht-Psalters mit großer Tiefenschärfe, da dieser geradezu normgebend für die Darstellung des Psalterschutzengels insgesamt wirkte.
Dass in literarischen und theologischen Quellen der Karolingerzeit die Schutzengelthematik präsent war, ist bekannt; doch mit ihren Studien gelingt Thum der Nachweis, dass auch in der Schutzengelikonografie das Frühmittelalter trotz zeitweiser Kritik am Schutzengelbild keinen Hiatus markiert.
Vom Motiv des Kämpferengels im Utrecht-Psalter her leitet Thum zum Erzengel Michael als prominentem Vertreter der "dämonenabwehrenden Verteidigungsschutzengel" (119) über, dessen Schutzengelverehrung bis in die Spätantike zurückreicht. Überzeugend zeigt Thum deren weitere Entwicklung zum Drachenkämpfermotiv, insbesondere in apokalyptischen Kontexten, und zum Seelenwäger auf. Nur gelegentlich (Michael im Gellone-Sakramentar) wirken ihre Deutungen etwas gezwungen.
Folgerichtig wendet sich Thum dann weiteren Schutzengeln aus Michaels Heer zu ("Abspaltungen" <163>), die im Spätmittelalter zunehmend in der Ikonografie begegnen, ehe sie sich der interessanten Frage nach den Schutzengeln im Jenseits zuwendet, hierbei zunächst dem - freilich recht verstreut belegten - Motiv des Gerichtsschutzengels. Weitere Motive zeigen den Seelengeleiter (Fegefeuer!), wobei Thum einen Beitrag zum aktuellen Forschungsthema der 'Ars moriendi' leistet, und den Jenseitsvisionär.
Das folgende kurze Kapitel dient offenbar nur als Vorspann zu den Analysen zum Spätmittelalter, für das Thum den Schutzengel, sich auf "eine offizielle Lehre" (189) - der Begriff ist zu hinterfragen - berufend, geradezu ausschließlich als "Figur der Frömmigkeitserziehung" (191) charakterisiert.
In den vorangegangenen Betrachtungen schon in den Blick getreten, offeriert hierbei das Stundenbuch eine Quellengattung ersten Ranges, anhand derer Thum (Gebets)frömmigkeit und Unheilabwehr als Hauptzwecke dokumentieren und verschiedene Bildtypen differenzieren kann.
Daraus ergibt sich von selbst die Frage nach der didaktischen Funktion des Schutzengelmotivs im Spätmittelalter (Kapitel 11). Schutzengel stehen an der Himmelsleiter, deren Stufen durch die einzelnen virtutes markiert sind. Noch deutlicher wird diese Funktion in der Analyse von Altarbildern (Kapitel 13), in denen das Devotionsbild klar als Andachtsbild entgegentritt (Stifterbilder). À propos, zu den weit ausholenden Ausführungen zur Entwicklung und zum Forschungsstand des Andachtsbilds: Etwas störend im Lesefluss wirken in den Kapiteln zur spätmittelalterlichen Entwicklung die Exkurse und auch das kurze Kapitel 12, das, wenig strukturiert, ein Sammelbecken 'restlicher' und / oder schwer identifizierbarer Typen darstellt.
Im öffentlichen Raum entwickelten die Kollektivschutzengel (Michael; Städteschutzengel) im ausgehenden Mittelalter zunehmend kultische Verehrung. Thum gebraucht diesen außerhalb ihres Untersuchungshorizonts liegenden Aspekt lediglich, um den Weg "zum barocken Schutzengelaltar" (259) umfassend und möglichst lückenlos zu zeichnen. Auf diesem Weg lagen neben dem weit verbreiteten Stundenbuchschutzengel, dem Andachtsbild vor allem in Flandern und dem Kollektivschutzengel besonders in Spanien dann auch der Schutzengel in der italienischen Renaissance. Zunächst beleuchtet Thum das neue "Phänomen des Kindschützlings" (260), bei dem sie sich auf den Johannesknaben konzentriert. Exemplifizierungen zur Raphael-Tobias-Szene einschließlich von Überlegungen und Thesen zur besonderen Verbreitung in Florenz schließen sich an.
"Altes" - die eben genannten Wegsteine - und "Neues" zugleich (289) flossen in der barocken Schutzengeldarstellung zusammen. Sind aus ikonografischer Sicht die Übergänge leicht zu bewerkstelligen, darf in formaler Hinsicht nicht übersehen werden, dass nun zwar die Kanonisierung der Schutzengelverehrung erfolgte; dies aber erst nach einem langen Prozess, der sich annähernd durch das ganze 16. und bis weit in das 17. Jahrhundert hinein erstreckte. Zwischen Frömmigkeitspraxis und offiziösen Handhabungen auf der einen und der offiziellen Haltung und schließlich Anerkennung Roms auf der anderen Seite wäre stärker zu differenzieren gewesen, zumal, wie Thum selbst beteuert, "einige Auswirkungen auf die Kunst" (288) gegeben waren. Auch für den barocken Schutzengelaltar bestimmt sie verschiedene Typen einschließlich deren mannigfacher Variationen: Wegleitung, Devotion und Dämonenabwehr, wobei auch Synthesen mit unterschiedlicher Schwerpunktbildung festzustellen sind. Wesentlich für die Entwicklung der Schutzengelikonografie ist der Nachweis "der Dominanz des Devotionsbildes" (311) in einer didaktisch orientierten Funktion, der Thum, in souveräner Beherrschung der "Bilderflut" (312) und unter Hinzunahme weiterer Quellenarten, überzeugend gelingt. Kaum überraschen kann der Befund, dass Reformatoren, soweit sie es nicht gänzlich ablehnten, das Schutzengelmotiv "zum Sinnbild der Heilsgewissheit" (325) zu wenden versuchten, was im Zeitalter der Konfessionalisierung den 'katholischen' Schutzengel logischerweise umso schärfer profilierte: illustr(ativ)e Beispiele geben etwa die Stärkung des Fegefeuermotivs oder die Rückführung zur Werkgerechtigkeit. Thum spricht, mit Vorbehalt, sogar von einer "'katholischen Schutzengelkampagne'" (340). Den Begriff 'Gegenreformation' verwendet sie mit der angemessenen Skepsis.
Die Zusammenfassung überrascht mit dem postulierten "übergreifenden Resultat" (347): Sollte mit der Untersuchung doch nur nachgewiesen werden - dann freilich mit 'gigantischem' Aufwand und auf breit gefächerter Quellenbasis, auf einem durch die gesamte Arbeit gehaltenen hohen Niveau der Analyse, mit stringenter Argumentation, scharfsinniger Interpretation und in über die Fachkompetenz hinausgehender Verortung in die Kontexte -, dass die Schutzengelikonografie "kein frühneuzeitliches Phänomen" (ebd.) ist? Thum würde damit ihr Licht weit unter den Scheffel stellen. Die Arbeit beginnt in der Spätantike und endet in der Mitte des 17. Jahrhunderts, dies nicht zuletzt deshalb, weil die Folgezeit bis heute geradezu von einer 'Profanisierung' des Schutzengelbilds geprägt war und ist. Was man an dieser großen Forschungsleistung bemängeln kann, ist das unbedingte Festhalten an einem roten Faden, den Thum durch die Entwicklung spinnt, ungeachtet zeitlicher Einschnitte oder räumlicher Sprünge; nicht immer gelingt es ihr, diese so überzeugend zu nivellieren wie in ihren Untersuchungen zu den Psaltern, sodass doch ein gelegentliches Überstrapazieren von Details hin zu Verallgemeinerungen geradezu als logische Folge erscheint.
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