Rezension

Heinz Spielmann: Aus der Nähe. Mein Leben mit Künstlern 1950-2000, Neumünster: Wachholtz Verlag 2014, 383 S., ISBN 978-3-529-03433-6, 24.80 EUR
Buchcover von Aus der Nähe
rezensiert von Barbara Martin, Landesmuseum Hannover

"Kunstgeschichte ohne den ständigen Umgang mit Künstlern galt mir stets als fade." (11) Gelegenheit zu Kontakten mit verschiedensten Kunstschaffenden bot der Berufsweg Heinz Spielmanns als Museumskurator und -leiter zuhauf: 1930 geboren, studierte Spielmann Architektur, Kunstgeschichte und Philosophie in Aachen und Stuttgart. Als Leiter der Modernen Abteilung am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe konnte er ab 1960 die dortigen Bestände maßgeblich erweitern. 1986 wurde Spielmann Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloss Gottorf, gründete das Jüdische Museum in Rendsburg und das Richard-Haizmann-Museum in Niebüll. Auch nach der Pensionierung 1998 blieb Spielmann aktiv - er war Gründungsdirektor des Bucerius Kunst Forums in Hamburg, das er von 2002 bis 2005 leitete.

Nur am Rande kommen die Stationen dieser Karriere in "Aus der Nähe" zur Sprache; Spielmann liegt nicht daran, den eigenen Werdegang nachzuzeichnen. Mit ebenso viel Enthusiasmus wie Sachkompetenz schildert er vielmehr seine zahlreichen Begegnungen mit so unterschiedlichen Künstlern wie Max Bill, HAP Grieshaber, Henry Moore, Oskar Kokoschka oder Alberto Giacometti. Neben gewichtigen Vertretern der Malerei und Bildhauerei finden auch Keramiker, Fotografen oder Goldschmiede breite Beachtung.

Der Aufbau des Bandes folgt dabei nicht einer kunstgeschichtlichen Ordnung, sondern der Abfolge der Begegnungen in einer "persönlichen, biographisch geordneten Perspektive mit der Intention, die Subjektivität von Anlass und Augenblick zu objektivieren" (12). Von der ersten Begegnung mit der Moderne 1949 - zunächst durch die Lektüre von Max Sauerlandts "Die Kunst der letzten dreißig Jahre" [1] und Besuche im Hagener Museum, dann auch durch die persönliche Bekanntschaft mit Emil Schumacher - über die frühen Jahre im Umkreis der "Stuttgarter Bohème" um Max Bense, die jahrelange Freundschaft und intensive Zusammenarbeit mit Oskar Kokoschka bis hin zu Kontakten mit japanischen Töpfern oder Recherchen zu verfolgten Künstlern im Rahmen der Konzeption des Jüdischen Museums lässt Spielmann so fünf Jahrzehnte der Begeisterung für Kunst und Künstler Revue passieren.

Leserfreundlich und eingängig formuliert, gestalten sich Spielmanns Ausführungen ausgesprochen abwechslungsreich: Präzise Beschreibungen gestalterischer Charakteristika stehen neben berührenden Berichten über bewegte Lebenswege - etwa des Töpfers Jan Bontje van Beek, der die Hinrichtung seiner Tochter durch die Nationalsozialisten erleben musste - oder amüsanten Schilderungen exzentrischer Künstlernaturen und ihrer "Marotten" wie beispielsweise im Falle Horst Janssens. Durchgängig bietet die Publikation damit erhellende Einblicke in Charakter und Schaffen der Künstler wie auch in die Arbeit des Museumsmannes, zumal, wenn Spielmann über die Umstände größerer Erwerbungen oder die Entstehung besonderer Werke berichtet. So schildert er Kokoschkas begeistertes Engagement bei der Realisierung eines großformatigen Gobelins für das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, aber auch die Widrigkeiten bei dessen Jahre währender handwerklicher Umsetzung. An anderer Stelle streicht er die Großzügigkeit Max Ernsts heraus, der dem Museum sämtliche Vorarbeiten zum eben erworbenen Künstlerbuch "(65) Maximiliana" zu einem symbolischen Preis überließ. Aus der Reihe fällt lediglich die Polemik gegen Joseph Beuys - laut Spielmann "der einzige Künstler, dem ich zu nahe trat, ohne in seine unmittelbare Nähe zu kommen [...]" (250). 1977 wurde Beuys mit dem Lichtwark-Preis der Hansestadt Hamburg ausgezeichnet. Spielmann, Vorstandsmitglied der Lichtwark-Gesellschaft, distanzierte sich mit deutlichen Worten. Seine heftige Ablehnung Beuys' mutet befremdlich an, ist dessen wegweisendes Werk doch mittlerweile fest im kunstgeschichtlichen Kanon verankert. Doch veranschaulicht sie auch Spielmanns Credo, sich aus der eigenen Anschauung selbständig ein Urteil zu bilden - ganz ohne Rücksicht auf verbreitete Vorstellungen. Gerade der Kontakt mit Künstlern führe zu "Einsichten abseits obligater Meinungen, abseits von gerade angesagten Klischees" (11), so der Autor. Statt eines Epilogs schildert Heinz Spielmann schließlich vergnüglich-anekdotisch seine Erfahrungen mit verzweifelten Frisören, dreisten Fälschern und Geheimdiensten, die im Hintergrund Ausstellungsgeschicke lenken.

Illustriert sind Spielmanns Ausführungen mit privaten Fotografien der behandelten Personen sowie Reproduktionen handgezeichneter Grüße an den Autor, deutliches Zeugnis der Verbundenheit der Künstler. Seltener werden auch die besprochenen Werke abgebildet. Abgerundet wird der Band durch Kurzbiografien sämtlicher vorgestellter Künstler, ergänzt durch kurze Literaturhinweise, wobei letztere teils etwas präziser hätten ausfallen dürfen. Ein Namensregister erleichtert das Auffinden aller behandelten Personen.

"Aus der Nähe" bietet so einen aufschlussreichen Rückblick auf Jahrzehnte fruchtbarer Kontakte zu Künstlern mit stark biografischer Färbung, doch ist es gerade die Schilderung ganz persönlichen Erlebens, die Spielmanns Künstlergeschichten so erhellend macht.


Anmerkung:

[1] Max Sauerlandt: Die Kunst der letzten dreißig Jahre: eine Vorlesung aus dem Jahre 1933, Hamburg 1948.


Barbara Martin

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Empfohlene Zitierweise:

Barbara Martin: Rezension von: Heinz Spielmann: Aus der Nähe. Mein Leben mit Künstlern 1950-2000, Neumünster: Wachholtz Verlag 2014
in: KUNSTFORM 17 (2016), Nr. 10,

Rezension von:

Barbara Martin
Landesmuseum Hannover

Redaktionelle Betreuung:

Jessica Petraccaro-Goertsches