Rezension

Beate Störtkuhl: Moderne Architektur in Schlesien 1900 bis 1939. Baukultur und Politik, München: Oldenbourg 2013, 512 S., ISBN 978-3-486-71208-7, 74.80 EUR
Buchcover von Moderne Architektur in Schlesien 1900 bis 1939
rezensiert von Anna Pelka, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Beate Störtkuhls Habilitationsschrift analysiert das moderne Bauen in Schlesien von seinen Anfängen um 1900 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. Das Buch ist in zwei chronologische Teile gegliedert. Der erste Teil betrifft den Zeitraum 1900-1918 und beschreibt die schlesische Architekturproduktion unter preußischer Herrschaft. Der zweite Teil analysiert die Zwischenkriegszeit, folglich wird das Bauwesen parallel im deutschen Oberschlesien und in der autonomen Woiwodschaft Schlesien vorgestellt. Architektonische Werke werden nicht nur in den kulturellen Regionszentren Breslau und Kattowitz, sondern auch in kleineren Orten der Umgebung berücksichtigt. Somit verfolgt diese Studie einen regionalgeschichtlichen Ansatz und vertritt den gegenwärtigen spatial turn in der Kulturgeschichte, indem Schlesien als "Kulturlandschaft der Moderne" betrachtet wird (19).

Der polnische Kunsthistoriker Jan Białostocki hat festgestellt [1], dass ein Ort je nach Betrachtungsperspektive sowohl die Rolle des (Kunst-)Zentrums als auch die der (Kunst-)Peripherie einnehmen kann. An diese These anknüpfend, geht Störtkuhl der Frage nach, inwieweit Städte wie Breslau und Kattowitz eine zentrale beziehungsweise randständige Rolle in den Bautätigkeiten einnahmen und woher ihre Inspirationen kamen. Des Weiteren untersucht sie, wer die Akteure waren und inwiefern sie die Baukonzepte beeinflussten. Dabei geht die Verfasserin davon aus, dass die geografische und politische Situation Schlesiens im 20. Jahrhundert die baukünstlerische Produktion maßgeblich beeinflusste. Am Beispiel zahlreicher Objekte zeigt sie, dass nicht nur der wirtschaftliche Aufschwung die Bautätigkeit vorantrieb, sondern dass vielmehr auch die bestehende Konkurrenz zwischen Zentrum und Peripherie innerhalb des Deutschen Reiches sowie die nationale Konkurrenz in dem zwischen Deutschland und Polen aufgeteilten Grenzland die öffentlichen Auftraggeber dazu brachten, Architektur als politisches Instrument zur nationalen Selbstdarstellung zu verstehen. Dabei wurde versucht, territoriale Ansprüche mit der historischen und kulturellen Verwurzelung Schlesiens in der Tradition der jeweiligen Nation zu erklären, diese jedoch gleichzeitig mit Fortschritt und Modernität zu identifizieren. Dieser kulturelle Wettstreit trug, so die Autorin, wesentlich dazu bei, dass Schlesien ein Zentrum der Moderne wurde.

Dass darüber hinaus insbesondere Breslau zu einem wichtigen Ort der Moderne wurde, sei außerdem den persönlichen Entscheidungen der Protagonisten zu verdanken. Architekten, wie etwa Hans Poelzig oder Max Berg, zogen aus Zentren der künstlerischen Reformbewegungen in Wien, München und Berlin in die östliche Peripherie Deutschlands, wodurch Breslau zu einer Großstadt mit prägnantem Kulturleben avancierte. Dennoch war es nicht nur den Künstlern zu verdanken, dass Breslau eine solche Entwicklung durchlief. Am Beispiel des größten Erfolgs der Breslauer Kulturszene, der Jahrhundertausstellung mit der berühmten Jahrhunderthalle Bergs aus dem Jahr 1913, zeigt die Verfasserin, dass ohne das Engagement örtlicher Politiker und Investoren, ohne deren Lokalpatriotismus und Bestreben, Breslau mit anderen deutschen Städten konkurrenzfähig zu machen und dessen angebliche Provinzialität zu widerlegen, ein solcher Aufschwung nicht möglich gewesen wäre.

Wie politischer Ehrgeiz und politisches Engagement künstlerische Produktion beeinflussen konnten, zeigen auch zahlreiche Beispiele aus der Zwischenkriegszeit. Im deutschen Oberschlesien herrschte aufgrund der Flüchtlingswelle Wohnungsnot, weshalb die Bauproduktion wesentlich auf Wohnsiedlungen ausgerichtet war. Auch die wirtschaftliche Stagnation der 1930er-Jahre ließ viele geplante Bauprojekte scheitern. Dennoch wurde mit all diesen Versuchen nach einem nationalen Stil gestrebt, der das "Deutsche" zur Schau stellen sollte. Anders war es in der Woiwodschaft Schlesien, die durch ihren autonomen Status über größere Kompetenzen verfügte und sich deshalb von der Finanzierung durch den Zentralstaat lösen und eine von Schlesien aus gelenkte Kulturpolitik mittels Bauprojekten führen konnte. Dabei sahen sich die Kommunalpolitiker in Kattowitz in besonderer Konkurrenz zu der deutschen Dreistadt Hindenburg / Beuthen / Gleiwitz. Aus diesem Grund forcierte man in Kattowitz neben dem Bau zahlreicher monumentaler Repräsentationsgebäude in modernem Klassizismus sowie von Bildungseinrichtungen und Kirchen in neogotischem Stil auch solche Projekte, in denen sich Fortschritt und Modernität symbolisch manifestierten. So avancierte Kattowitz zum "amerikanischen Teil Polens" (375), wo die ersten Wohnhochhäuser Polens gebaut wurden.

Gerade solche Beispiele für Verflechtungen zwischen künstlerischer Begabung, politischem Bestreben auf kommunaler Ebene und nationalen Diskursen machen diesen Überblick über Architektur und Kunstdebatten zu einer beeindruckenden kulturwissenschaftlichen Studie. Die Autorin liefert damit einen hervorragenden Einblick in die Architekturproduktion und gleichzeitig eine mehrdimensionale Analyse der kulturellen Landschaft Schlesiens. In diesem Sinne stellt diese Arbeit ein Novum sowohl in der deutsch- als auch in der polnischsprachigen Forschung dar. Aufgrund des Großformats mit zahlreichen, qualitativ hochwertigen Abbildungen und detaillierten Verzeichnissen lädt das Buch zum Anschauen und Nachschlagen ein.


Anmerkung:

[1] Jan Białostocki: Some Values of Artistic Periphery, in: Irving Lavin (Hg.): Acts of the XXVIth International Congress of the History of Art, Bd. 1, University Park u.a. 1989, 49-58.


Anna Pelka

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Empfohlene Zitierweise:

Anna Pelka: Rezension von: Beate Störtkuhl: Moderne Architektur in Schlesien 1900 bis 1939. Baukultur und Politik, München: Oldenbourg 2013
in: KUNSTFORM 16 (2015), Nr. 3,

Rezension von:

Anna Pelka
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Redaktionelle Betreuung:

Christoph Schutte