Rezension
Als Erasmus von Rotterdam dazu aufrief, "ad fontes" zu eilen, hatte er vor allem die griechischen Schriften im Blick, die im Gegensatz zu den trüben lateinischen Übersetzungen quellfrisch seien. Die Mitglieder der DFG geförderten Forschungsgruppe "Ad Fontes! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts in Quellen" sowie weitere hinzugezogene Autoren und Autorinnen schöpfen für den gleichnamigen Sammelband keineswegs nur aus einem einzigen Brunnen. Zunächst nutzen sie die einschlägigen kunsttheoretischen Werke von Karel von Mander, Junius Franciscus, Samuel van Hoogstraten, Willem Goeree oder Gerard de Lairesse - darüber hinaus konsultieren sie ein breites Schriftgut wie Erbauungsbücher, Kräuterbücher, Chroniken oder Stadtbeschreibungen. Diese breite Herangehensweise ist sehr fruchtbar, da damit kunsttheoretische Begriffe vor einem breiten Verstehenshorizont erscheinen und sich ein vertieftes Bedeutungsspektrum eröffnet. Doch konzentrieren sich die Verfasserinnen und Verfasser nicht allein auf Schriftwerke, sondern nehmen Bildzeugnisse in ihrem Quellenwert ebenso ernst. So dient ihnen nicht allein das Schriftwort dazu, Gemälde zu erläutern, sondern sie arbeiten die kunsttheoretische Aussagekraft der Bildwerke selbst heraus und bringen auf diese Weise Wort- und Bildzeugnisse in ein konzentriertes Gespräch. Damit folgen sie einer Tradition, für die Jan Emmens steht. [1] Doch hat dieser gewinnbringende Ansatz durch Eddy de Jonghs rein emblematisches Verständnis eine unbefriedigende Verengung erfahren. "Ad Fontes!" weitet den Blick erneut, indem der Band der künstlerischen Selbstreflexion in Wort und Bild nachgeht.
Das Buch ist nach Lemmata gegliedert, die zentrale niederländische Begriffe der Kunst und Kultur darstellen. Jedes wird von je einem Autor oder einer Autorin behandelt. Sie folgen jedoch keiner alphabetischen Ordnung, sondern führen von "licht" (Thomas Leinkauf) zu "tooneel" (Christian Tico Seifert). Dass das Licht den Auftakt bildet, während das Theater mit seiner ausgesprochenen Wort-Bild-Vereinigung den Abschluss markiert, unterstreicht die Erkenntnisabsicht der Herausgeber. Alle Stichworte sind mit einem Untertitel versehen, die bereits eine erste Erläuterung geben, wie: "perspectief, doorzicht. Formen und Spielräume bildlicher Illusion" (Andreas Gormans) oder "meditatie. Zur Verwandtschaft von Meditation und Kunstbetrachtung" (Almut Pollmer-Schmidt).
Von den insgesamt sechzehn Aufsätzen seien hier drei beispielhaft vorgestellt. Miriam Volmert widmet sich den Schlagworten "memorie, gedachtenis, geheugen", anhand derer sie die Memoriakonzeptionen der Kunsttheorie, Historiografie und Kunst aufzeigt. Die quantitativ ins Unermessliche angewachsenen gedruckten Bücher verliehen seit dem 16. Jahrhundert dem ausgelagerten Gedächtnis einen Zuwachs an Speicherkapazität, doch ging damit eine erste Kritik einher, die das reine Anhäufen von Wissen brandmarkte. Mit dieser Krise der Erinnerungskultur werden differenzierte Gedächtnisformen greifbar, die nach Volmert eine je verschiedene Gedächtnisleistung des Rezipienten fordern. So postuliert schon Karel van Mander, dass die Erinnerung an einen Künstler, die fama, eine detailgenaue Nennung von individuellen Charakteristika benötige, die den Ruhm verständlich machen. Die historia eines Ortes hingegen, wie sie in niederländischen Stadtbeschreibungen tradiert wird, arbeitet gerade mit Auslassungen und Anspielungen und setzt darauf, dass der Leser die Leerstellen durch sein eigenes Wissen füllt und sich damit aktiv an der Generierung der Erinnerung beteiligt. Das künstlerische Gedächtnis hingegen, das die inventio begründet, nutzt das innere und das äußere Gedächtnis, da die Bildfindung auf Denkbildern und auf äußeren Bildern beruht.
Robert Felfe geht dem bekanntesten Begriff der niederländischen Kunsttheorie "naer het leven" nach und vermag, dem Vertrauten Frische zu verleihen. Da in ganz Europa postuliert wird, ein Werk nach dem Leben zu schaffen, fragt Felfe nach den typisch niederländischen Ausprägungen und der eigenen Semantik dieses Begriffes. So unterscheidet er vier Anwendungsgebiete des lebensnahen Bildes: Porträt, Landschaft, Naturalia, Abgüsse. Letztere sind durch Größe und Dreidimensionalität dem Leben so nahe, dass sie geradezu ein Substitut des lebenden Objekts bilden. Hier wird die letzte Konsequenz des "naer het leven" greifbar, nach der ars und natura nicht klar zu unterscheiden sind.
Karin Leonhard widmet sich "verf, kleur" und deutet mit den beiden Begriffen an, dass das Niederländische im Gegensatz zum Deutschen sprachlich zwischen der materiellen Farbe und deren koloristischen Eigenschaft zu unterscheiden vermag. Bereits diese feine Unterscheidung lässt erwarten, dass eine differenzierte kunsttheoretische Auseinandersetzung erfolgt. Neben schriftlichen Quellen zieht Leonhard Stillleben heran, da sie hier in besonderem Maße einen Diskurs um Farbe erkennt. Besonders das Phänomen der Erscheinungsfarbe, die ein Objekt nicht selbst besitzt, sondern durch den Widerschein des Lichtes erst hervorbringt, wird anhand des schillernden Gefieders der Vögel, wie dasjenige des Papageien, sowie reflektierende Gegenstände, wie Goldgefäße, thematisiert. Das Chamäleon galt als das Tier schlechthin, das die Farbe seiner Haut nicht selbst produziert, sondern von außen annimmt. Diese Beispiele finden sich nicht nur in den Schriften, sondern werden, wie Leonhard überzeugend vorführt, vor allem im Stillleben diskutiert.
Da "Ad Fontes!" auf einem breiten Quellenmaterial basiert und Wort und Schrift in einen fruchtbaren Dialog bringt, nimmt man das Buch mit Gewinn zur Hand. Eine anregende Lektüre.
Anmerkung:
[1] Jan A. Emmens: Rembrandt en de regels van de kunst, Utrecht 1968.
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