Rezension
Der Fall Gurlitt hat das Augenmerk einer breiten Öffentlichkeit auf das Feld von Provenienzforschung, sogenannter "Raubkunst", "entarteter Kunst" und ihrer Verwertung durch das nationalsozialistische Regime und seine Helfer gelenkt. Inzwischen ist der Sensationsfund in seiner Bedeutung relativiert, hat sich die Diskussion schnell in Richtung allgemeine moralische und rechtliche Erörterungen verschoben und auch etwas verloren. Die aktuelle Debatte lässt zwei kürzlich erschienene Publikationen höchst aktuell erscheinen, aber das waren sie auch schon vorher.
Meike Hopps Münchner Dissertation ist als glänzend, ja sensationell bewertet und das Auktionshaus Neumeister, das ab 1958 in die Fußstapfen Adolf Weinmüllers trat, ist für seine Offenlegung sämtlicher Archivbestände - hier spielte die Inhaberin Katrin Stoll mit ihrer offensiven Vergangenheitspolitik eine zentrale Rolle - zu Recht als vorbildlich gelobt worden. Die positiven Reaktionen und das insgesamt breite Interesse an Hopps Studie, aber auch die erfolgreiche Arbeit und rege Tätigkeit der Forschungsstelle "Entartete Kunst", der man an dieser Stelle zum 10-jährigen Bestehen noch einmal gratulieren darf, zeigen deutlich wie zentral in der kunsthistorischen und historischen Forschung inzwischen oder besser weiterhin die Themen Schicksal der Werke, Schicksal der Personen, Provenienzforschung und daran geknüpft mögliche Restitution sind. Ja, sie dominieren die heutige Sicht auf die Epoche des "Dritten Reichs" und werden von gegenwärtigen "Sensationsfunden", Fälscherskandalen oder der Zuwendung Hollywoods (siehe die Verfilmung von Monument Men von und mit George Clooney) weiter befeuert. Die vertiefte Aufarbeitung der NS-Kunstpolitik auf den unteren Ebenen von Partei und Staat, die ästhetische Lebensrealität jenseits einiger Propagandainszenierungen oder die Frage nach der NS-Kunst sind zunehmend marginalisiert worden, spielen allenfalls eine marginale, auf den engsten akademischen Bereich festgelegte Rolle.
Wir durchleben gegenwärtig eine zweite Welle der Wiedergutmachung mit allen manchmal auch etwas dick aufgetragenen Bemühungen und hehren Absichten, die den Anfängen der Beschäftigung mit der Kunstdiktatur der Nationalsozialisten nach 1945 (bis Mitte der 1960er-Jahre) ähnelt und gleichsam staatlich sanktioniert in Werner Haftmanns monumentalem Band "Verfemte Kunst" mit einem Vorwort Helmut Kohls mündete. Der Unterschied zu damals liegt im akribischen Quellenstudium und in der Ausweitung des Forschungsfelds. Genau hier liegt das Verdienst der Studie von Meike Hopp. Sie rekonstruiert kurz den Auktionshandel in Deutschland bzw. München und zeigt dann den zielstrebigen und durch die Erfolge der NSDAP begünstigten Aufstieg Weinmüllers zu einer zentralen Figur - dabei mitunter als Gegenspieler Karl Haberstocks -, der mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zeitweilig zur Leitung des Bundes deutscher Kunst- und Antiquitätenhändler e.V. berufen wurde. Vor allem die sukzessive und nachhaltige Ausschaltung der jüdischen Kunsthändler steht im ersten Teil der Studie im Zentrum, wobei die Autorin Weinmüller, dessen Persönlichkeit aufgrund der unbefriedigenden Quellenlage höchstens schemenhaft konturiert werden kann, der aber lange Zeit jüdische Mitbürger unterstützte, schwer zu fassen bekommt. Man merkt ihr ein grundsätzliches Dilemma an: die Beteiligung an der NS-Verfolgungspolitik einerseits und die Unterstützung von Juden anderseits können von ihr nicht getrennt und als zwei durchaus widersprüchliche Aspekte akzeptiert werden; letzteres wird immer schon reflexhaft und verständlich unter den Vorbehalt der Bereicherung und Vorteilsnahme gestellt (vgl. 17). Wie in der Zeitgeschichte der 1980er-Jahre greifen moralisierende Stellungnahmen um sich, ohne hier eine moralische Dimension bestreiten zu wollen.
Hopps Arbeit überzeugt durch eine umfassende Auswertung der Quellen, sie zeigt aber mitunter Schwächen bei der Interpretation der Sachverhalte und markiert damit ein Dilemma der gegenwärtigen, fleißig-detaillierten - und das ist hier alles andere als abschätzig gemeint - und überaus verdienstvollen Forschungen im Bereich "Entartete Kunst", Provenienzforschung, Restitutionsfragen: die Beschränkung auf die Darstellung der Tatsachen und die Schwierigkeit der Bewertung und Einordnung in ein Gesamtbild des NS-Systems. Wenn also etwa die Ausschaltung des jüdischen Kunsthandels in München dargestellt wird, dann wird zwar das in diesem Fall typisch dilettantische nationalsozialistische Agieren wider jede ökonomische Vernunft deutlich, aber es wird nicht mit Strukturmomenten des Regimes in Zusammenhang gebracht, sondern einfach dargestellt. So kommt die Autorin u.a. zu dem Ergebnis: "Dieses Einschreiben [gemeint ist ein Brief des Reichskammerpräsidenten Eugen Hönig vom August 1935] belegt die erste systematische Aktion zur "Entjudung" des Münchner Kunsthandels, die damit weitaus früher stattfand, als die "systematische Entladung" und "Arisierung" der Wirtschaftsbetriebe, die im Allgemeinen erst um die Jahreswende 1937/1938 angesetzt wird." (54) Dieser Befund wird aber nicht erläutert, und leitet sich auch nicht von allgemeinen wirtschaftspolitischen Tendenzen nach 1933 auf Kosten der Juden ab, an denen sich deren Mitbürger im großen Stil bereicherten. In den Blick müsste das Stereotyp des "kulturzersetzenden Juden" - das in den angeführten Quellen auch aufscheint - und vor allem Goebbels ehrgeizige "Entjudungspolitik" im Bereich der Reichskulturkammer (RKK) kommen. Genau die wird aber von Hopp nicht betrachtet und Alan Steinweis' grundlegende Studie zur RKK wird von der Autorin gar nicht verarbeitet. So fällt die gegenwärtige Forschung, die enorm viel neu und viel detaillierter als zuvor aufarbeitet, oft aber in einer Art historistischen Positivismus endet, mitunter hinter die Ansprüche und Ergebnisse der kritischen Zeitgeschichte seit den 1960er-Jahren zurück. Hinzu kommt, dass gerade auch diejenige Problematik, die der "Fall Gurlitt" wieder ans Licht brachte: die "Vergangenheitspolitik" (Norbert Frei) nach 1945, die Fragen von Wiedergutmachung, Entnazifizierung, Kontinuität etc. von Hopp nur sehr kursorisch beleuchtet werden, wenn es um die Wiedereröffnung des Kunstversteigerungshauses Adolf Weinmüller geht.
Die Studie von Meike Hopp ist dennoch aus guten Gründen sehr gelobt worden; die Zusammenarbeit einer engagierten Forscherin mit einem offen und offensiv mit der Vergangenheit umgehenden Auktionshauses und die Unterstützung durch ein renommiertes Forschungsinstitut wie des ZI, das die Studie in die Reihe ihrer wichtigen Forschungen der letzten Jahre aufgenommen hat, besitzen Vorbildcharakter. Dies gilt auch für die zweite hier zu erwähnende Publikation, die ausstellungsbegleitende Publikation "Gute Geschäfte", die sich dem Berliner Kunsthandel im "Dritten Reich" widmet. Ausgangspunkt war hier eine Untersuchung zum Schicksal von Max Cassirer, das im Verlauf des Buches dann auch von Caroline Flick ausführlicher dargestellt wird (153-166). Exemplarisch wird an seinem Schicksal der von Raul Hilberg beschriebene stufenhafte "Vernichtungs-"prozess verdeutlicht, wobei Cassirer nicht von seiner tödlichen Konsequenz betroffen war, sondern 1938/39 nach Genf ausreisen konnte und 1943 starb. Die Zerschlagung des überproportional stark von Juden betriebenen Kunsthandels und die schamlose Bereicherung der übrig gebliebenen deutschen Bevölkerung bestätigen die gegenwärtige Tendenz der zeitgeschichtlichen Forschung, die sozio-ökonomischen Anteile der NS-Vernichtungspolitik genauer zu untersuchen. Auch wenn der Band zwangsläufig einige bekannte Ergebnisse der Forschung referiert und dabei mitunter etwas verknappend vorgeht, können die Verdienste einer solchen, sich an das breite Publikum wendenden Publikation gar nicht hoch genug bewertet werden. Das schön gestaltete Buch vermittelt mit zahlreichen Dokumenten und Fotos ein höchst lebendiges Bild vom Reichtum der Berliner Kunsthandelswelt. Bekannte Figuren wie Otto Burchard, Alfred Flechtheim, Karl Haberstock oder Karl Nierendorf gelangen ebenso in den Blick wie weniger prominente Personen: Eduard Plietzsch - den man vielleicht aufgrund von Georg Grosz' Kölner Porträt von 1928 namentlich kannte - oder Helene Scheduikat. Man vermisst auch in diesem Band etwas die analytische, einordnende Ebene, wenn doch der parvenühafte, neofeudale Charakter des Nationalsozialismus gerade im Bereich der Kunst, des Kunstsammelns und eben des Kunsthandels ins Auge sticht. Insgesamt aber ist das Buch aufgrund der engagierten Schilderungen der zahlreichen AutorInnen eine gelungene Einstiegshilfe in einen facettenreichen und hochkomplexen Problemkreis, der uns noch lange beschäftigen wird.
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