Rezension

Adriaan E. Waiboer: (ed.) Gabriel Metsu. , New Haven / London: Yale University Press 2010, 244 S., ISBN 978-0-300-16724-5, 65.00 USD
Buchcover von Gabriel Metsu
rezensiert von Anja Ebert, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Im Gegensatz zu anderen Malern der "bürgerlichen" Genremalerei wie Johannes Vermeer, Gerard ter Borch, Frans van Mieris d.Ä. oder Gerrit Dou hat das Œuvre Gabriel Metsus - nach einer Ausstellung 1966 in Leiden und der Monografie Franklin W. Robinsons von 1974 - in jüngerer Zeit weniger Aufmerksamkeit erfahren. Zwar waren Werke Metsus in der Regel in den zahlreichen Ausstellungen und Publikationen zur Genremalerei vertreten. Eine Untersuchung seines gesamten Œuvres, die neueste Erkenntnisse und Standards der Forschung berücksichtigt, sowie ein Catalogue raisonné fehlten jedoch bislang. Diese Lücke wird nun geschlossen durch den Katalog zu der von Adriaan E. Waiboer (gemeinsam mit Pieter Roelofs und Arthur K. Wheelock Jr) kuratierten Ausstellung in Dublin, Amsterdam und Washington (2010/2011) und ein Werkverzeichnis desselben Autors (2012), auf dem die Ausstellung beruht. [1] Besprochen wird hier nur der Ausstellungskatalog.

Von den acht Aufsätzen des Katalogs befassen sich fünf unmittelbar mit Metsus Œuvre und dessen Rezeption, drei weitere Essays ordnen das Werk in seinen kulturhistorischen Kontext ein. Diese umfassende Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln lässt es gerechtfertigt erscheinen, auf einen Katalogteil mit Texten zu den einzelnen Gemälden und Zeichnungen zu verzichten. Angehängt ist eine - nach Standorten sortierte - Liste der ausgestellten Werke (193-195). Angaben zu Provenienz und Literatur fehlen, werden jedoch sehr ausführlich in Waiboers Werkverzeichnis geliefert. Die Exponatliste wird durch die Aufführung der besprochenen Werke Metsus im Index ergänzt, was das Auffinden der einzelnen Textstellen zu einem Bild erleichtert. Hilfreich ist ebenfalls die dem Aufsatzteil vorangestellte Chronologie des Lebens Metsus (xiii). Im Anhang angefügt ist die englische Übersetzung eines Gedichts von Jan Vos zu Metsus Gemälde "Besuch am Wochenbett" von 1661 (New York, Metropolitan Museum) (190-191).

Der Grund für die eher zögerliche Auseinandersetzung mit Metsus Kunst mag in seiner sehr eigenständigen Umsetzung gängiger Genrethemen liegen, die das Verständnis der Werke erschwert. In seinem einleitenden Aufsatz zu "Gabriel Metsu's Life, Work and Reputation" (1-27) ordnet Waiboer die Bilder in ihre ikonografische Tradition ein, verweist zu Recht auf den zweideutig-humorvollen Gehalt bestimmter Themen und legt Metsus Auseinandersetzung mit der Genremalerei seiner Zeitgenossen dar, insbesondere mit Dou, Ter Borch und Vermeer. Überzeugend ist die These, Änderungen in Stil und Themenwahl als Reaktion auf die Situation am Kunstmarkt und den Wechsel Metsus von seiner Heimatstadt Leiden nach Amsterdam um 1654 zu sehen. Dank neuer Archivfunde kann Waiboer Details der Biografie Metsus präzisieren.

Waiboers zweiter Beitrag zum Katalog ist der wechselseitigen Beeinflussung und der jeweiligen Rezeptionsgeschichte Vermeers und Metsus gewidmet (29-51). Es wird gezeigt, dass nicht nur Metsu Gemälde Vermeers rezipierte, sondern auch umgekehrt Vermeer offenbar einige Werke Metsus zum Vorbild nahm. Wie Waiboer darlegt, waren Werke Metsus bis ins 19. Jahrhundert weitaus begehrter als die Vermeers. Erst mit der bekannten Besprechung Thoré-Bürgers und dem Interesse der Impressionisten an der Maltechnik Vermeers lief der Delfter Künstler Metsu den Rang ab.

Weiteres Licht auf das Verhältnis der beiden Maler wirft der Beitrag E. Melanie Giffords zur Maltechnik Metsus (155-179). Sie legt die Ergebnisse der kunsttechnologischen Untersuchung von 25 Werken Metsus sowie 14 Vergleichswerken von Malern vor, mit deren Werken sich Metsu auseinandersetzte, darunter, neben Vermeer, Dou, Ter Borch und Van Mieris d.Ä. Der Untersuchung zugrunde liegt die Fragestellung, wie sich Metsu die "feinere" Maltechnik seiner späteren Gemälde aneignete, die er in seiner Ausbildung nicht erlernt haben konnte. Dies ist ein vielversprechender Ansatz, der nicht nur für Metsu relevant ist, sondern auch für andere Maler, in deren Werk sich ein ähnlicher Wandel vollzog, etwa bei Nicolaes Maes, Pieter de Hooch oder Gerard ter Borch. Gifford zeigt, dass Metsu sich - vermutlich durch das Studium ihrer Werke - einzelne Aspekte der Maltechnik von Meistern wie Ter Borch oder Dou aneignete oder mit eigenen Mitteln imitierte. In anderen Fällen, so bei Vermeer oder Van Mieris, zitierte er hingegen einzelne charakteristische Stilmerkmale.

Die Ausführungen Waiboers zu Metsus Rezeption werden ergänzt durch die Untersuchung Roelofs' (97-125). Inventare und andere zeitgenössische Dokumente belegen nicht nur, dass Metsus Werke Eingang in die Sammlungen der Leidener und Amsterdamer Oberschicht fanden, sondern lassen auch Rückschlüsse auf die persönlichen Netzwerke Metsus zu. Dies ist nicht zuletzt aufschlussreich für die Deutung einiger Bilder, deren Ikonografie Roelofs im Kontext der Milieus erklärt, für die sie entstanden.

Ein letzter Beitrag zum Werk Metsus ist dessen seltenen Zeichnungen gewidmet (181-188). Von zuletzt noch drei Metsu zugeschriebenen Blättern akzeptiert Marijn Schapelhouman nur noch zwei als eigenhändig, eine "Auferstehung Christi" (Montpellier, Musée Fabre) und eine "Weibliche Figur" (Frankfurt/Main, Städel Museum).

Zwischen diesen Aufsätzen zu Leben und Werk stehen drei Beiträge, die die Bilder im Kontext ihrer Zeit betrachten. Wayne E. Franits beschreibt die Gemälde als luxuriöse Objekte, die selbst wiederum "Luxus" zeigen - worunter er nicht nur Güter, sondern auch "cultural practices" wie Briefeschreiben oder Musizieren versteht (53-71). Wenig Mehrwert für das Verständnis der Gemälde liefert jedoch seine Unterteilung in "old" und "new luxury" - den Luxus, der der alteingesessenen Oberschicht vorbehalten war, und den Luxus, der auch für "Aufsteiger" erreichbar war -, die auf Überlegungen Simon Schamas und Jan de Vries' fußt.

Linda Stone-Ferriers Untersuchung konzentriert sich auf die Marktdarstellungen Metsus, die in seinem Œuvre einen wichtigen Platz einnehmen (73-95). Sie deutet sie als Darstellungen des idealen sozialen Zusammenlebens in den aus wenigen Straßenzügen bestehenden Nachbarschaften, deren gesellschaftliche Bedeutung sie ausführlich darstellt. Doch ist zu fragen, ob dies den Bildern tatsächlich gerecht wird. Auf Interpretationen der Bilder als zweideutig, wie sie auch Waiboer vorschlägt, geht sie nicht näher ein. Dies erstaunt, da die Autorin selbst in einem früheren Beitrag - auf den sie in einer Anmerkung verweist - überzeugend Bezüge des "Amsterdamer Gemüsemarkts" von 1660/62 (Paris, Louvre) zu Gerbrand Brederos Komödie "Moortje" (1615/17) nachgewiesen hat. [2]

Bianca M. du Mortier bringt die Bilder Metsus mit erhaltenen Sachzeugnissen und schriftlichen Dokumenten in Verbindung, insbesondere zur Frauenkleidung der Niederlande des 17. Jahrhunderts (127-153). Ihr Beitrag bietet viele interessante Informationen, vor allem aus dem Bereich der Sozialgeschichte der Frau sowie zur ikonografischen Bedeutung der dargestellten Kleidung.

Die Handhabung des Katalogs wird etwas erschwert durch die Notwendigkeit häufigen Blätterns, da die Abbildungen über den ganzen Band verteilt sind. Dies lässt sich jedoch bei einem solchen Aufbau des Katalogs nicht vermeiden und schmälert nicht den Gesamteindruck des schön gestalteten Buches, das die Forschung zu Metsu - gemeinsam mit dem Werkverzeichnis Waiboers - auf ein neues Fundament stellt und zahlreiche Aspekte der Kultur der Niederlande des 17. Jahrhunderts beleuchtet.


Anmerkungen:

[1] Adriaan E. Waiboer: Gabriel Metsu. Life and Work. A Catalogue Raisonné, New Haven / London 2012.

[2] Linda Stone-Ferrier: Gabriel Metsu's Vegetable Market at Amsterdam and Its Relationship to a Bredero Farce, in: Artibus et Historiae (13) 1992, Nr. 25, 163-180.


Anja Ebert

zurück zu KUNSTFORM 14 (2013), Nr. 12

Empfohlene Zitierweise:

Anja Ebert: Rezension von: Adriaan E. Waiboer: (ed.) Gabriel Metsu. , New Haven / London: Yale University Press 2010
in: KUNSTFORM 14 (2013), Nr. 12,

Rezension von:

Anja Ebert
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Redaktionelle Betreuung:

Dagmar Hirschfelder