Rezension

Lars Olof Larsson: "... Nur die Stimme fehlt!". Porträt und Rhetorik in der Frühen Neuzeit, Kiel: Verlag Ludwig 2012, 199 S., ISBN 978-3-86935-051-6, 34.80 EUR
Buchcover von "... Nur die Stimme fehlt!"
rezensiert von Kristin Bartels, Leipzig

Dass das Porträt nicht nur auf seine abbildende Funktion reduziert, sondern auch hinsichtlich seiner Wirkung auf den Betrachter untersucht wird, ist in der kunstgeschichtlichen Forschung längst kein Novum mehr. Umso erstaunlicher scheint es, dass die Verbindung von Porträt und Rhetorik bisher kaum Beachtung in der kunsthistorischen Forschung gefunden hat. [1] Diese Lücke füllt nun dankenswerterweise die 2012 erschienene Publikation von Lars Olof Larsson. Ausgehend von der These, dass die "Kultur der Frühen Neuzeit [...] in hohem Maße wirkungsorientiert und von der klassischen Rhetorik geprägt [ist]" und "dass das Porträt, als Teil dieser Kultur, die Wertmaßstäbe der Standesgesellschaft widerspiegelt" (11) untersucht Larsson in seiner Studie die Kommunikations- und Wirkungsformen des europäischen Porträts der Renaissance und des Barocks. Anhand zahlreicher Beispiele aus Malerei, Skulptur und Druckgrafik und unter Einbeziehung der zeitgenössischen theoretischen Diskurse vom 16. bis zum 18. Jahrhundert werden auf knapp 200 Seiten die vielfältigen Beziehungen und Einflussformen der Regeln und Normen antiker Rhetorik auf die Porträtmalerei jener Zeit analysiert. Dabei geht er der Frage nach, welche nonverbalen Mittel den Künstlern zur Verfügung standen, um ihren Bildnissen kommunikativen Charakter zu verleihen.

Larsson beginnt seine Einführung mit einem Ausflug in die neuere Zeitgeschichte. Am Beispiel von Fotografien der Staatsoberhäupter des 20. und 21. Jahrhunderts stellt er die These auf, dass jede Darstellung im Porträt "einem öffentlichen Auftritt [gleicht]" (8) und Bildnisse somit "Teil einer allgegenwärtigen multimedialen Rhetorik" (9) sind. Unter Rhetorik fasst er dabei alle Bereiche, bei denen der Rezipient - sei es bei einer Rede, in einer Schrift oder in der bildenden Kunst - nicht nur durch den Inhalt, sondern auch mittels der Form vom Dargestellten überzeugt werden soll. Dieser rhetorische Aspekt findet sich auch in der Porträtmalerei der Frühen Neuzeit, deren zunehmende repräsentative Bedeutung sich nicht nur in Porträtgalerien, sondern auch in einer Vielzahl an weit verbreiteten druckgrafischen Bildnissen widerspiegelt. Als begehrtes Sammlerstück humanistischer Gelehrter, als Werbemittel in höfischen Heiratsverhandlungen oder aber als Instrument der Huldigung mächtiger Persönlichkeiten hatte das Porträt mehrere kommunikative Funktionen zu erfüllen, wie Larsson anhand mehrerer Beispiele aus der europäischen Kunst- und Kulturgeschichte verdeutlicht. Das anschließende Kapitel Ut pictura poesis - Ut rhetorica pictura (21-39) führt in die zeitgenössischen Diskurse um den rhetorischen Charakter und die damit verbundene Zweck- und Wirkungsorientiertheit des Porträts ein und schafft somit das theoretische Fundament für Larssons dreiteilige Studie.

Zunächst geht es um Porträts, die auf Initiative des Modells entstanden und der Selbstdarstellung dienen. Der Porträtierte wird von Larsson "als Redner" (41) verstanden, der über das Bild mit dem Betrachter kommuniziert. Die Regeln und Normen für die Darstellung sind stark von der rhetorischen Theorie der actio (42) geprägt, die im Zusammenhang mit dem Gebot des decorum (43) eine angemessene Repräsentation und eine damit verbundene Überzeugung des Rezipienten gewährleistet. Durch Blickkontakt, aber auch durch bestimmte Motive der Gestik und Körperhaltung soll im Betrachter die Illusion einer leibhaftigen Begegnung mit dem Dargestellten geweckt werden. Die Entwicklung dieser rhetorischen Motive, ihre Anwendung in den europäischen Bildkünsten - sei es Malerei oder Druckgrafik - und ihr Bezug zur antiken Rhetorik und Kunsttheorie bilden dabei den inhaltlichen Schwerpunkt des Kapitels.

In der Frühen Neuzeit sind die Haltung einer Person, sein Auftreten und sein Äußeres "zentrale Instrumente einer Rhetorik der Statusrepräsentation" (81). Dies spiegelt sich auch in den europäischen Adels- und Herrscherporträts wider, die in der Haltung und Gestik des Dargestellten eine Formelhaftigkeit aufweisen, die bis weit ins 18. Jahrhundert hinein der Standesunterscheidung dient. Larssons zweiter Untersuchungsschwerpunkt stellt dementsprechend die Anfänge und spätere Entwicklung dieses Typus dar, wobei er nach der Motivation und dem Ausdrucksgehalt der verschiedenen Variationen fragt. Neben den Porträts der herrschenden Elite werden auch Bildnisse des Bürgertums, private Bildnisse und Frauenporträts als Vergleichsbeispiele herangezogen, woraus sich spannende Fragen beispielsweise für die kunsthistorische Genderforschung eröffnen. Während weibliche Bildnisse in der Körpersprache Zurückhaltung und Bescheidenheit ausdrücken sollen, geht es bei männlichen Porträts um die Zurschaustellung der politischen Bedeutung und des Standesbewusstseins. Am Beispiel von Porträts der britischen Herrscherin Elisabeth I. oder der russischen Zarin Katharina II. verdeutlicht der Autor, wie diese starren Geschlechterstereotype mitunter kollidieren konnten.

Abschließend widmet sich Larsson den rhetorischen Aspekten des Porträts aus der Perspektive des Künstlers. Der Autor beschäftigt sich hier intensiv mit dem Prinzip der Lobrede, die auch in den Bildenden Künsten Anwendung findet. Durch die Hervorhebung charakteristischer Gesichtszüge im Sinne physiognomischer Theorien sollen dem Betrachter gewünschte Eigenschaften des Dargestellten, sein Stand und sein Charakter, vermittelt werden. Die Verbindung von Porträtgrafik und Schrift, der Verweis auf antike Gottheiten durch mythologische Verkleidung oder schmückendes Beiwerk wie beispielsweise innerbildliche Rahmenarchitektur unterstützen den rhetorischen Aspekt des Porträts und steigern die Huldigung des Dargestellten. Wie Larsson anschaulich nachweisen kann, geht es jedoch nicht nur um eine Verherrlichung des Porträtierten. Vielmehr verweist der Künstler durch den Rückgriff auf rhetorische Techniken - wie beispielsweise der des Vergleiches - auf seine eigene humanistische Bildung und sein damit verbundenes Selbstverständnis als intellektueller Künstler.

Larssons Studie besticht durch anschauliche, präzise Beschreibungen des vielfältigen Bildmaterials. Untermauert werden seine Analysen durch zeitgenössische Quellen, die dem Leser einen Einblick in die Diskurse über Rhetorik, aber auch über die Porträttheorie der Frühen Neuzeit ermöglichen. Dabei gelingt dem Autor eine prägnante und spannend lesbare Zusammenfassung europäischer Porträttheorie - von Alberti, über Lomazzo bis hin zu Johann Georg Sulzer. An manchen Stellen wünscht sich jedoch der Leser nicht nur eine analytischere Zusammenführung der Ergebnisse, sondern auch eine Vertiefung der unterschiedlichen Problematiken. So kommen einige interessante Aspekte wie beispielsweise der rhetorische Charakter von Schrift in Porträtgrafiken etwas zu kurz. Da eine Untersuchung von über zweihundert Jahren europäischer Porträtproduktion dies jedoch zugegebenermaßen kaum zu leisten vermag, ist es nun Aufgabe der kunsthistorischen Forschung an Larssons Überlegungen anzuknüpfen und diese zu vertiefen. [2]


Anmerkungen:

[1] Der Zusammenhang zwischen Rhetorik und Bildkünsten war hingegen häufiger Schwerpunkt kunsthistorischer Untersuchungen. Siehe Joachim Knape (Hg.): Bildrhetorik, Baden-Baden 2007; Jacqueline Lichtenstein: La couleur éloquente. Rhétorique et peinture à l'âge classique, Paris 2003.

[2] Die aktuellste Publikation zum Thema: Christina Posselt: Das Porträt in den Viten Vasaris. Kunsttheorie, Rhetorik und Gattungsgeschichte, Köln 2013.


Kristin Bartels

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Empfohlene Zitierweise:

Kristin Bartels: Rezension von: Lars Olof Larsson: "... Nur die Stimme fehlt!". Porträt und Rhetorik in der Frühen Neuzeit, Kiel: Verlag Ludwig 2012
in: KUNSTFORM 14 (2013), Nr. 11,

Rezension von:

Kristin Bartels
Leipzig

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle