Rezension

Julie Berger Hochstrasser: Still Life and Trade in the Dutch Golden Age. , New Haven / London: Yale University Press 2007, ISBN 978-0-300-10038-9, 35.00 GBP
Buchcover von Still Life and Trade in the Dutch Golden Age
rezensiert von Franziska Gottwald, Queen’s University, Kingston, ON

Es ist immer begrüßenswert, eine andere Sichtweise der Dinge zu bemühen, um alte (Deutungs-)Muster aufzubrechen. Ein ungewohnter methodischer Ansatz kann neue Erkenntnisse - und im Falle der bildenden Künste - neue Interpretationen erschließen. Nichts Geringeres zeichnet das Unternehmen Julie Berger Hochstrassers, Professorin an der University of Iowa, aus, die ein bereits viel besprochenes und viel gedeutetes Feld kunsthistorischer Forschung in ihrer Studie "Still Life and Trade in the Dutch Golden Age" neu auszuloten versucht - das niederländische Stillleben des 17. Jahrhunderts.

Wurde die Gattung bisher entweder unter der Prämisse des Beschreibenden (Svetlana Alpers) oder, kontrovers dazu, des Symbolisch-Moralischen (Eddy de Jongh) betrachtet, argumentiert die Autorin von einem politisch motivierten Standpunkt aus, der postkolonialistische Ansätze rezipiert (1-21). Methodisch ist das Buch deshalb der seit den 1970er Jahren beliebten "New Art History", die interdisziplinär arbeitet, zuzuordnen. Es ist die marxistische Lehre von ökonomischer Basis und ideologischem Überbau, die die Autorin als ihre Grundlage bemüht. Deren Anwendung auf die Kunstgeschichte, wie sie durch die Arbeiten Frederick Antals "Florentine Painting and its Social Background" (1948) und Arnold Hausers "Social History of Art" (1962) hinsichtlich der Stilfrage eingeführt wurde, wird von Hochstrasser allerdings mit Blick auf die Ikonografie und ihre sozialhistorische Relevanz vorgenommen. Wir haben es also bei Hochstrassers Buch mit einer soziologischen Studie zu tun, die die Bilder als Ausgangspunkt und Illustration der Ökonomie Hollands, des Handelsnetzwerks, der Gesellschaft und eben kapitalistischen Kultur im 17. Jahrhundert betrachtet. Ihre Analyse wirft somit ein dunkles Licht auf ein sonst als glänzend wahrgenommenes Zeitalter und seine Kunstwerke.

Grundsätzliches Ziel der Arbeit Hochstrassers ist es, die Geschichte der verschiedenen Gegenstände, wie sie im niederländischen Stillleben dargestellt werden, als Handelsobjekte zu analysieren. In der Heranziehung und Darlegung zahlreicher, gut und detailliert recherchierter Fakten fokussiert Hochstrasser vor allem auf die Wechselwirkung zwischen der Wiedergabe der Dinge im Bild und ihrem tatsächlichen Konsumwert. Die Autorin kommt dabei zu dem Schluss, dass die opulenten Früchte und exotischen naturalia vor allem Visualisierungen des ebenso erfolgreichen wie zweifelhaften Handels selbst und des Stolzes eines aufstrebenden, selbstständigen Handelsimperiums seien. Indem gleichsam die Früchte des Erfolges "porträtiert" werden, können diese als Repräsentanten des Wohlstands der jungen Republik verstanden werden, wobei die häufig dunklen Aspekte ihres Weges vom Ort der Erzeugung hin zu Tisch und Bild durch die Autorin aufgezeigt werden.

Die erste Hälfte des Buches, "Trade Secrets" überschrieben (13-227), widmet sich denn auch gänzlich der Geschichte des Handels. Hier werden die einzelnen einheimischen (Käse, Hering, Bier) sowie die aus Übersee (Ost- und Westindische Kolonien) eingeführten Produkte (Getreide, Zitrusfrüchte, Wein, Pfeffer, Salz, Porzellan, Tee, Tabak, Zucker, aber auch Sklaven) und ihre Rolle innerhalb des durch Handel erreichten, allgemeinen Wohlstands untersucht. Dies geschieht mit besonders großer Akribie, die eine Fülle nützlicher Informationen für den Leser liefert: Die Beschreibung des Porzellanimports beispielsweise wird nicht nur in all seinen Stadien dargestellt. Die einzelnen Objekte der Gemälde werden auch identifiziert und ihr Wert, der sich durch einheimische Produktion steigern oder verringern ließ, erörtert. Der hohe Profit der Händler, wie er gerade zu Beginn des Jahrhunderts erzielt wurde, wird eindrucksvoll durch Quellen belegt (123-149). Vollkommen zu Recht verweist die Autorin dabei auf die Tatsache, dass die schnell wachsende Gruppe reicher (und durch Handel reich gewordener) Bürger die Klientel des sich ausbreitenden Porzellanhandels bildete (127).

Allerdings bietet Hochstrasser hinsichtlich der Darstellung des Porzellans im Kontext des Stilllebens keinerlei neue Interpretation, wie dies etwa in der Erörterung der Verbildlichung von Tabak unternommen wird. Hubert van Ravesteyns "Stillleben mit Tabak" aus der Heinz Family Collection (175) etwa, das eine erkennbare Marke in den Mittelpunkt rückt, wird im Fahrwasser Ivan Gaskells (177) [1] weniger als ein moralisches Schaustück, denn als Werbung der Tabakindustrie verstanden. Das anfängliche soziale Stigma, das dem Tabakrauchen zu Beginn des Jahrhunderts noch anhaftete, wurde, wie die Autorin in mehreren Schritten darzustellen sucht, durch "commercial forces" mit Interesse an der Förderung des Tabakkonsums manipuliert - ein ausgesprochen moderner Gedanke, den man gern durch andere Beispiele bewiesen sähe.

Dem soziologisch-marxistischen Ansatz des Buches wird jedoch ein anderes Thema weit besser gerecht: Hochstrasser verweist erstmalig auf die Tatsache der Abbildung dunkelhäutiger Menschen, die sie als Teil des Prunkstilllebens betrachtet (204-227). Hochstrasser behandelt die barbarische Seite des Menschenhandels, wie sie im Gemälde selbst verborgen bleibt. Wurden die dunkelhäutigen, phantastisch gekleideten Diener als Teil eines eleganten exotischen Arrangements verstanden, beklagt die Autorin die fehlende moralische Komponente dieser Stillleben (225). Genau an dieser Stelle zeigt sich denn auch die Schwäche der Studie, die von einer modernen Sichtweise ausgeht, die sich aber nicht ohne weiteres auf den damaligen Rezipienten übertragen lässt.

Noch stärker kommt dieser Konflikt im zweiten Teil des Buches, "The Language of Commodities" (228-279), zum Tragen: Dieser wird ganz dem Thema der Ausbeutung, die sich hinter dem schönen Schein versteckt, gewidmet. In der Beschreibung der niederländischen Ökonomie (231-242) sieht Hochstrasser zeitgenössische Kritik lediglich in den puritanischen Anmerkungen eines Jacob Cats ausländische Luxusgüter betreffend. Das Fehlen einer ernsthaft moralischen Kritik am Handel dient der Autorin als Hauptargument, um die niederländischen Stillleben als "pictorial capitalism" (241) zu interpretieren. Im Kapitel "Primitive Accumulation" (243-249) wird dann noch einmal die marxistische Ausbeutungstheorie bemüht und die Analyse der sozialen Kosten des Handels vertieft.

Trotz alledem - in ihrem Resümee muss Hochstrasser zugeben, dass die sozialen Kosten, welche die Luxusgüter erfordert haben mögen, dem zeitgenössischen Betrachter nicht unbedingt zu Bewusstsein gekommen sind (265). Ihre detaillierte Analyse des Handels kann daher nur eine Brücke für den modernen Leser zu seiner eigenen Wirklichkeit schlagen. Eine wirklich neue Interpretation des niederländischen Stilllebens des Goldenen Zeitalters bietet der soziologische Ansatz nicht.

Sicherlich, und das sollte am Ende betont werden, handelt es sich gerade beim Stillleben in erster Linie um eine mimesis, die ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Trompe l'œil kulminierte. Vor allem die meisterhaft in den Prunkstillleben abgebildeten naturalia bezeugen den realen Reichtum und hierin den Stolz und den Wohlstand des niederländischen Patriziats, der aber eben zugleich zeichenhaft auf den Besitzer, oder, um im Fahrwasser Hochstrassers zu bleiben, die Gesellschaft, verweist. Es ist deshalb wohl gerade die Mehrdimensionalität - Symbolik, Zeugnis und Augenschmaus -, die der Gattung Stillleben ihre Bedeutung verleiht. Polarisierung kann zwar den Blick schärfen, sie wird dem Bild an sich aber nicht gerecht.


Anmerkung:

[1] Ivan Gaskell: Tobacco, Social Deviance, and Dutch Art in the Seventeenth Century, in: Looking at Seventeenth-Century Dutch Art. Realism Reconsidered, hg. Von Wayne Franits, Cambridge University Press 1997, 68-77.


Franziska Gottwald

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Empfohlene Zitierweise:

Franziska Gottwald: Rezension von: Julie Berger Hochstrasser: Still Life and Trade in the Dutch Golden Age. , New Haven / London: Yale University Press 2007
in: KUNSTFORM 9 (2008), Nr. 11,

Rezension von:

Franziska Gottwald
Queen’s University, Kingston, ON

Redaktionelle Betreuung:

Dagmar Hirschfelder