Rezension

David Milson: Art and Architecture of the Synagogue in Late Antique Palestine. In the Shadow of the Church, Leiden / Boston / Tokyo: Brill Academic Publishers 2007, ISBN 978-90-04-15186-4, 179.00 EUR
Buchcover von Art and Architecture of the Synagogue in Late Antique Palestine
rezensiert von Stefanie Hoss, Nijmegen

Während bei christlichen Kirchen schon relativ früh eine - mehr oder weniger - festgelegte Standardarchitektur und -inneneinrichtung mit einer nach Osten gerichteten mehrschiffigen Basilika mit Apsis nachgewiesen werden kann, waren Synagogen lange architektonisch ausgesprochen verschieden. Im Laufe des 5. und 6. Jahrhunderts veränderten und vereinheitlichten sich jedoch Architektur und Inneneinrichtung von Synagogen. Diese Entwicklung und ihren möglichen Ursprung untersucht David Milson in seiner mit diesem Buch vorliegenden Dissertation (Oxford 2002) anhand verschiedener Schriftquellen und archäologischer Spuren.

Wie auch an den Rezensionen in dieser Zeitschrift abzulesen war, hat sich in den letzten Jahren das Interesse der altertumswissenschaftlichen Forschung verstärkt der Spätantike und hier insbesondere den Transformationsprozessen zugewandt. Innerhalb dieses großen Forschungsgebietes haben sich eigene Trends entwickelt, wie beispielsweise das Interesse an der Interaktion verschiedener, insbesondere religiöser Gruppen. Daneben beschäftigt sich die archäologische Forschung vermehrt mit der Nutzung von Räumen und Gebäuden und ihrer Inneneinrichtung. In beide Strömungen lässt sich David Milsons Buch einreihen.

Im ersten, einführenden Teil wird zunächst die bisherige Forschung zu diesem Thema beschrieben und bewertet, gefolgt von einer ausführlichen Vorstellung und Diskussion der im Katalog aufgelisteten Synagogen in Palästina (die heutigen Staaten Israel, Jordanien und die palästinensischen Autonomiegebiete umfassend).

Im folgenden Hauptabschnitt des Buches widmet sich David Milson vier Aspekten der Raumnutzung in Synagogen und Kirchen: der Orientierung, dem Motiv der "Fassade", der Inneneinrichtung (Plattform und Chorschranken) und der Apsis.

In der christlichen Tradition wurde die Gebetsrichtung nach Osten und damit auch eine Orientierung der Kirchen, sei es mit der Apsis oder der Fassade, schon früh festgelegt. Milson kann zeigen, dass im Gegensatz dazu die Gebetsrichtung nach den jüdischen Quellen lange Zeit vergleichsweise unbedeutend war, da die Präsenz der Shekinah (göttlichen Anwesenheit) nicht nur in Jerusalem vermutet wurde (85). Eine Ausrichtung der Synagogen nach Jerusalem kann daher auch erst spät nachgewiesen werden und ist seiner Ansicht nach auf die Orientierung der Kirchen zurückzuführen (237).

In der zweiten Studie wird das Motiv der "Fassade" (als Chiffre des Thoraschrankes in der Synagoge) anhand der jüdischen, christlichen und frührömischen Darstellungen genauer untersucht. Dieses Motiv, das in der bisherigen Forschung abwechselnd als Symbol der Tempelfassade, der Bundeslade oder als Darstellung des Thorarollenschrankes interpretiert wurde, war nach Milson in der gesamten antiken Kunst verbreitet und kann daher nur innerhalb eines jüdischen Kontextes als Tempelfassade oder Thoraschrein identifiziert werden (139). Seiner These nach verweist das Motiv in frühen Darstellungen (wie den Münzen des Bar-Kochba-Aufstandes) klar auf den Tempel, während es in Synagogen die Thoranische oder den Thoraschrein meine. Es ist jedoch meiner Ansicht nach wahrscheinlich, dass die Architektur der Thoranischen in Synagogen wiederum auf den Tempel verweist, so dass die Darstellung beide Interpretationen in Schichten in sich trägt, ein in der Spätantike häufiges Phänomen.

Den beiden letzten Einzelstudien vorangestellt ist eine Diskussion der durch Inschriften datierten Kirchen Palästinas, die leider nicht - wie die Synagogen - auf einem im Buch abgedruckten Katalog beruht. Diese Auslassung ist aus Platzgründen nachvollziehbar, aber aus Gründen der Verständlichkeit bedauerlich.

In der dritten Einzelstudie widmet sich David Milson dem Auftauchen verschiedener Elemente der Inneneinrichtung von Kirchen in Synagogen (erhöhte Plattformen, Chorschranken, Sitz des Moses). Chorschranken sind in Kirchen etwa hundert Jahre früher nachzuweisen als in Synagogen, worauf schon Chiat hingewiesen hat. [1] In letzteren treten sie vor dem 5. Jahrhundert nicht auf, während im 6. Jahrhundert nur eine Minderheit der Synagogen keine Chorschranken besitzt (194).

Die vierte Einzelstudie widmet sich den Nischen und Apsiden in Synagogen, die vermutlich zur Aufstellung des Schrankes für die Thorarollen verwendet wurden, diesen traditionellen Fokuspunkt einer Synagoge aber erstmals architektonisch umsetzten.

David Milson gelingt es, eine Umstrukturierung des Innenraumes der palästinischen Synagogen in byzantinischer Zeit nachzuweisen, die zu einem gleichartigen Aussehen der Innenräume von Kirchen und Synagogen führte. Im 6. Jahrhundert waren dann viele - keineswegs alle - Synagogen wie Kirchen als basilikale Bauten mit einer Apsis gebaut. In dieser Apsis oder auf einer erhöhten Plattform stand der fokale Punkt der Aufmerksamkeit, durch verzierte, halbhohe Schranken vor unkontrolliertem Zugang geschützt. Der Unterschied zu den Kirchen bestand in den Synagogen damit hauptsächlich in der Ausrichtung nach Jerusalem und dem Ersetzen eines Altars durch einen Thorarollenschrank. Interessanterweise sind diejenigen Synagogen, deren Innenräume jenen gleichzeitiger Kirchen am stärksten gleichen, in Orten in der Nähe einer christlichen Bevölkerungsmehrheit anzutreffen, was die Übernahme christlicher Vorbilder noch wahrscheinlicher macht. David Milson schlägt als Grund für diese architektonische Betonung der Thora die Konkurrenz zum Neuen Testament vor, das in der christlichen Liturgie der Zeit im Verlauf des Gottesdienstes inthronisiert wurde. Die Verschiedenheit der gefundenen Lösungen, mit denen die Thorarollen zentraler Punkt der Synagoge wurden, machen jedoch deutlich, dass es sich hier um Entscheidungen handelte, die jede Gemeinde nach eigenen Vorstellungen treffen konnte.

Die in den Text an den betreffenden Stellen integrierten Zusammenfassungen der bisherigen Forschung zu den einzelnen Fragen geben auch dem Leser ohne Hintergrundwissen in Synagogen-Archäologie die Gelegenheit, sich über den aktuellen Forschungsstand zu informieren. Im Text etwas unvermittelt erscheinende und (im Gegensatz zum abschließenden Appendix) nicht als solche gekennzeichnete Exkurse zu z. B. der jüdischen Tradition der Buchrolle im Gegensatz zum christlichen Codex (120-124) unterbrechen unnötigerweise den Lesefluss und irritieren damit trotz ihrer eigentlich interessanten Themen und guten Darstellung.

Besonders positiv hervorzuheben ist der übersichtliche Katalog der Synagogenbauten mit seiner Lokalisierung des Baus, der Trennung in archäologische Nachweise und architektonische Merkmale sowie einer Auflistung der bekannten Literatur und einem maßstäblichen Plan. Die reichlichen Abbildungen sind allerdings häufig etwas unscharf, und die vier Karten hätten schärfer und auch größer sein müssen, um wirklich von Nutzen sein zu können. Dies ist besonders enttäuschend bei einem ansonsten solide produzierten Werk eines so bekannten Verlags.

Insgesamt ist David Milson ein anregendes Buch gelungen, das mit vielfältigen Ansätzen neues Licht auf die Entwicklung der Architektur und Innenarchitektur von Synagogen und damit auch auf ihre Raumnutzung wirft.


Anmerkung:

[1] Marilyn J. Chiat: Synagogues and Churches in Byzantine Beth She'an, in: Journal of Jewish Art 7, 1980, 6-24.


Stefanie Hoss

zurück zu KUNSTFORM 9 (2008), Nr. 1

Empfohlene Zitierweise:

Stefanie Hoss: Rezension von: David Milson: Art and Architecture of the Synagogue in Late Antique Palestine. In the Shadow of the Church, Leiden / Boston / Tokyo: Brill Academic Publishers 2007
in: KUNSTFORM 9 (2008), Nr. 1,

Rezension von:

Stefanie Hoss
Nijmegen

Redaktionelle Betreuung:

Ute Verstegen