Rezension

Conrad Rudolph: (ed.) A Companion to Medieval Art: Romanesque and Gothic in Northern Europe. , Oxford: Blackwell Publishing 2006, 676 S., ISBN 9781405102865, 99.99 GBP
Buchcover von A Companion to Medieval Art: Romanesque and Gothic in Northern Europe
rezensiert von Cornelia Logemann, München

Bereits eines der ersten 'Begleitbücher', eine der ersten Anleitungen zum Studium mittelalterlicher Kunst aus der Feder Wilhelm Lübkes von 1852 entsprach den Vorstellungen, die auch heute noch gemeinhin mit Einführungsliteratur verbunden werden. Präsentiert wurden Hauptmonumente und ihre stilistischen Charakteristika in chronologischer Entwicklung und funktionaler Analyse. Dass Lübkes schmales, in der ersten Auflage nur 34 Seiten umfassendes Bändchen, das zunächst auch nur die Architektur behandelte, bis zur völlig umgearbeiteten letzten Auflage 1873 auf den siebenfachen Umfang angewachsen war und nun ergänzt um die Ausstattung der Kirchenbauten praktisch die gesamte christliche Kunst des Mittelalters umfasste, belegt das große Bedürfnis nach solchen Handreichungen schon im 19. Jahrhundert.

Vor diesem Hintergrund wird die konzeptuelle und methodische Differenz des vorliegenden Companion to Medieval Art besonders deutlich: Damit ist natürlich nicht gemeint, dass sich die kunsthistorische Mittelalterforschung in den letzten gut 150 Jahren entscheidend weiterentwickelt hat. Vielmehr ist bemerkenswert, dass im Companion nicht mehr Werke, 'Wissen' und Fakten im Mittelpunkt stehen, sondern bei einem maximal erweiterten Fragenspektrum allein die zugehörigen Forschungsgeschichten. Für den Leser soll gerade dadurch - so der Herausgeber Conrad Rudolph - in dreißig Aufsätzen ausgewiesener Fachleute eine umfassende Revision der Erforschung mittelalterlicher Kunst Nordeuropas zwischen 1000-1300 erkennbar werden. Ausführlich schildert Rudolph in seiner Einleitung die Vorgeschichte und Stationen dieser kunsthistorischen Mittelalterforschung seit dem 16. Jahrhundert und legt so nahe, dass viele der in der Vergangenheit und spätestens seit Vasari entwickelten Klischees immer noch in modernen Vorstellungen, Kategorisierungen und Begriffen nachhallen. Die frühen Dokumentationen von Kunstwerken wie etwa Bernard de Montfaucons Les Monumens de la monarchie françoise bilden ebenso wie Winckelmann und Hegel obligatorische Stationen der sich schließlich mehr und mehr ausdifferenzierenden Erforschung mittelalterlicher Kunst.

Den Hauptteil eröffnen dann - ganz im Sinne aktueller mediävistischer Strömungen [1] - zwei Beiträge von Cynthia Hahn und Madeline H. Caviness über Sehen, Vision und Wahrnehmung. Und dies treffend, weil damit die Historisierung des Blicks gleichsam programmatisch an den Anfang eines Buches gestellt wird (bes. 65f.), das die Forschungsgeschichte selbst in den Blick nehmen will. Es folgen Positionsbestimmungen zu spezifischen Methoden und Problemstellungen der kunsthistorischen Mediävistik, hervorzuheben sind die souveräne Standortbestimmung von Suzanne Lewis zur Erzählforschung und Herbert L. Kesslers Zusammenfassung der von Gregor dem Großen beeinflussten Bildtheorie bis zum 13. Jahrhundert. Aber auch die Beiträge zu Auftraggebern (Caskey), zur Sammlungsgeschichte (Mariaux) und zu Spolien (Kinney) versuchen erfolgreich, festgefahrene Erklärungsmodelle innerhalb ihrer Bereiche durch den kritischen Blick auf die Forschungsgeschichte aufzuweichen. Im Folgenden geht es um 'Objektbereiche': romanische bzw. gotische Skulptur, Architektur und Buchmalerei, um Glasmalerei, Schatzkunst, Pilgerwesen, Zisterzienserarchitektur und anderes; am Schluss stehen Überlegungen zur Mittelalterrezeption und zur musealen Präsentation mittelalterlicher Kunst. Auf konsequentere thematische Unterteilung wurde bei der Zusammenstellung der 30 Aufsätze leider verzichtet - selbst die Zuordnung des Herausgebers bleibt undeutlich (XXI). [2] Insbesondere das letzte Drittel des Buches wirkt einigermaßen zusammen gewürfelt - mit dem ungünstigen Nebeneffekt, dass zentrale Gegenstandsbereiche wie eben die Schatzkunst marginalisiert erscheinen; obgleich etwa Brigitte Buettner in ihrem Beitrag gerade dies als eine lang tradierte Fehleinschätzung heraus arbeitet (472).

Es gibt weitere strukturelle Schwächen, die auf den ersten Blick marginal erscheinen mögen: So dürften sich bei Lektüre des Bandes einige Fakten besonders deshalb dem Gedächtnis eingeprägt haben, da sie mehrfach und scheinbar ohne gegenseitige Kenntnis wiederholt werden - etwa, dass William Gunn den Terminus 'Romanesque' als erster im Jahre 1819 prägte (22, 295, 321, 335). Oder aber es werden die Arbeiten von Emil Mâle und Erwin Panofsky (besonders sein Werk über Suger) vielfach zusammengefasst und aus so unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, dass für Fachleute ein sehr facettenreiches Bild, für einen Leser ohne großes Vorwissen aber kaum eine Gesamtidee entstehen dürfte. Eine bessere redaktionelle Koordination oder gar Zusammenfassung von Einzelbeiträgen zu größeren thematischen Einheiten hätten das verhindern können; vieles wird schon vom Herausgeber selbst in seiner Einleitung völlig ausreichend dargelegt. Als entscheidende Frage deutet sich hier schon an, ob der Band wirklich als 'einführendes Handbuch' konzipiert ist und als solches funktionieren kann oder nicht doch nur als Zusammenfassung für Fachkollegen? Jedenfalls hätte der durch Wiederholungen verschenkte Platz für anderes genutzt werden können: Warum die Überschneidungen zwischen den direkt aufeinander folgenden Aufsätzen von Dale und Kendrick zu Monstrositäten und zu Marginalien, zwei vor allem in der anglo-amerikanischen Forschung faszinierende, allerdings aufs Engste miteinander verwandte Themen, für die bereits Michael Camille vor einigen Jahren eine Synthese formuliert hatte? Statt solcher Doppelungen hätten wichtige Themenkreise der Mittelalterforschung wie politische Ikonographie oder die für religiös geprägte Bildproduktion zentralen Bereiche wie Ritual und Performanz zur Sprache kommen sollen.

Bedenklich scheint schließlich auch, dass für Werkinterpretationen nach den Richtlinien des Companions offenbar nur sehr wenig Raum zur Verfügung stand. Natürlich lassen sich alle Deutungen in den genannten Referenzwerken nachlesen, doch trotzdem sollten die Grundzüge kunsthistorischen Arbeitens auch in Verkürzung nachvollziehbar bleiben. Schier schwindelerregend ist das Tempo, mit dem z. B. Christopher G. Hughes in seinen Ausführungen zu "Art and Exegesis" die typologischen Bezüge eines Einzelblatts aus dem berühmten Queen Mary Psalter darzulegen versucht. Nicht selten werden so weder Methode noch Objekt zufrieden stellend erläutert, und die Positionen der Forschung bleiben diffus. Wieder fragt man sich, für wen eine solche Aufsatzsammlung, die zumindest auf den ersten Blick eine gewisse Vollständigkeit anzustreben scheint, überhaupt sinnvoll ist? Für Fortgeschrittene und seit längerem mit der kunsthistorischen Mediävistik Befasste bieten viele Beiträge interessante Perspektiven und Einsichten sowie einen schnellen Überblick der Forschungsgeschichte. Doch wenn Stephen Murray, der sich explizit an "students" wendet, die seit langem überbordende Literatur zur gotischen Architektur nicht mit entschlossener Hand in Richtungen und Methoden unterteilt, sondern auch noch in kurzen Sätzen unzählige Namen und Werke nennt, ist eine gewisse Orientierungslosigkeit des angesprochenen Zielpublikums zu befürchten. Allerdings gelingt in einigen Beiträgen die Gratwanderung auch mustergültig, so vor allem bei Hourihane, Kessler und Büchsel.

Ein weitaus gravierenderes methodisches Problem macht sich bei der Lektüre des Bandes freilich nur schleichend bemerkbar; ein Problem, das es vielleicht auch für künftige Bände der Serie zu bedenken gilt. Tatsächlich hat die Mehrzahl der Autoren oft nur solche Sekundärliteratur miteinbezogen, die sich (bis auf ältere Klassiker des Fachs) genau in den vorgegebenen Zeitrahmen des Bandes fügt. Doch wie grundlegend hat etwa Panofskys überwiegend auf die Frühe Neuzeit bezogener Perspektive-Aufsatz entscheidende Parameter der Wahrnehmung auch für die Mittelalterforschung - quasi im Rückspiegel - geliefert? Und gaben nicht Arbeiten wie jene von Michael Baxandall den Anstoß zu einer Beschäftigung mit dem "period eye" und der Historisierung des Blicks? Der Companion dagegen erweckt den Eindruck, die kunsthistorische Mediävistik wäre gegenüber den anderen Sparten des Faches autark - ganz zu schweigen von der mangelnden interdisziplinären Perspektive, die doch gerade in vielen Bereichen der Mittelalterforschung essentiell ist. Hier werden voreilig Grenzen gesetzt, statt die fließenden Übergänge zu betonen: In einigen Beiträgen gehorcht die Bibliographie so streng dem vorgegebenen Zeitrahmen von 1000-1300, dass selbst Forschungsarbeiten zu zwanzig Jahre früher oder später entstanden Werken, die entscheidende methodische Impulse lieferten, keine Erwähnung finden (vgl. die Buchmalereiforschung aus Sicht von Anne D. Hedeman). Und bei Linda Seidel hätte man sich statt einiger persönlicher Anekdoten über Meyer Schapiro, dessen Arbeiten hier als letzter und wohl neuester Stand der Forschung stehen sollen, eine Auseinandersetzung mit dem Thema 'Stil' im Kontext neuester Tendenzen der Kunstgeschichte und damit eben teils auch außerhalb des Zeitraums 1000-1300 gewünscht. [3]

Scheint auf den ersten Blick der Ansatz, historiographisch vorzugehen, viel versprechend und als Einstieg in die Materie, als Companion to Medieval Art geeignet, verlangt das gewählte Format eindeutig zu viel: beträchtliche humilitas und constantia des Lesers angesichts von Unklarheiten, Redundanzen und mangelnder Vernetzung der Beiträge, große Vorkenntnisse zu Objekten und Methoden und nicht zuletzt sehr hohe Anschaffungskosten. Als Alternativen wurden bereits die große Synthese (aber auch der Mut zur Lücke) erprobt, wie sie vielleicht am deutlichsten Michael Camille mit seinem für ein breiteres Publikum bestimmtes Buch zu Gothic Art vorführte; oder aber eine zugespitzte Auswahl von Fallstudien zum Umgang des Kunsthistorikers mit mittelalterlichen Bildwerken, die Elizabeth Sears und Thelma K. Thomas schon vor einigen Jahren vorgelegt haben. [4]


Anmerkungen:

[1] Jeffrey F. Hamburger/Anne-Marie Bouché (Hg.): The mind's eye. Art and theological argument in the Middle Ages, Princeton, NJ, 2006.

[2] Ganz anders dagegen die bis in einzelne Jahrzehnte, Methoden und Techniken durchstrukturierte Gliederung eines Bandes aus derselben Reihe, Amelia Jones (Hg.): A Companion to Contemporary Art since 1945 (Blackwell Companions to Art History 2), Oxford u.a. 2006.

[3] So beispielsweise Robert Suckale: Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993 (wenngleich stark umstritten); Bernd Carqué: Stil und Erinnerung : französische Hofkunst im Jahrhundert Karls V. und im Zeitalter ihrer Deutung, Göttingen 2004; Bruno Boerner/Bruno Klein: Stilfragen zur Kunst des Mittelalters: eine Einführung, Berlin 2006.

[4] Michael Camille: Gothic Art. Glorious Visions, Prentice-Hall 1997 und Elizabeth Sears/Thelma K. Thomas (Hg.): Reading Medieval Images. The Art Historian and the Object, Ann Arbor 2002.


Cornelia Logemann

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Cornelia Logemann: Rezension von: Conrad Rudolph: (ed.) A Companion to Medieval Art: Romanesque and Gothic in Northern Europe. , Oxford: Blackwell Publishing 2006
in: KUNSTFORM 8 (2007), Nr. 4,

Rezension von:

Cornelia Logemann
München

Redaktionelle Betreuung:

Gabriele Wimböck