Rezension

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

das Jahr der Geisteswissenschaften ist noch kaum an den Universitäten angekommen, da stehen schon die ersten Spötter bereit. Zu ihnen gehört der Spiegel-Feuilletonist Matthias Mattusek, den das Jahresmotto dazu veranlasst hat, in seiner wöchentlichen Filmkolumne die Aktion 'wir adoptieren einen Geisteswissenschaftler' auszurufen. Dem angehenden Studierenden einer geisteswissenschaftlichen Disziplin wie der Kunstgeschichte sollte dies ein Signal sein, sich rechtzeitig eines entsprechenden Beistands zu vergewissern. In intellektueller Hinsicht wird er einen solchen umso mehr benötigen, als sich mit dem derzeitigen allmählichen Umbau der universitären Studiengänge auch das Studium der Kunstgeschichte zwangsläufig verändern wird. Insofern ist zu begrüßen, dass dieser Prozess von einem Phänomen begleitet wird, das nicht ganz neu ist.

Bereits seit Mitte der 80er Jahren ist zu beobachten, dass der kunsthistorische Literaturmarkt den Symptomen der Massenuniversität und der zunehmenden Komplexität des Wissensbestandes mit Einführungen in das Fach zu begegnen versucht, sei es in Form von Sammelbänden oder Einzelbeiträgen. Seither mehren sich nicht nur Methodenreader, Textanthologien und Studienführer, sondern auch die Anzeichen dafür, dass Bedarf und Anteil an studienbegleitender Literatur in den kommenden Jahren noch weiter steigen werden. Diese Entwicklung gab den Anlass, das vor einiger Zeit eingeführte Konzept der Themenhefte zu nutzen und eine Ausgabe der kunsthistorischen Einführungsliteratur zu widmen.

Was unter 'Einführung' zu verstehen ist, haben wir für dieses Sonderheft bewusst offen gehalten: Unter den ausgewählten Büchern finden sich sowohl solche, die sich mit methodischen Fragen beschäftigen, als auch solche, die zum Gegenstand des Fachs hinführen. Bei der Auswahl wollten wir uns weniger auf Vollständigkeit konzentrieren, die ein Rezensionsjournal ohnehin nur bedingt leisten kann, sondern darauf, möglichst unterschiedliche Typen zu versammeln, um zur vergleichenden Lektüre und zum Nachdenken über die Möglichkeiten und Grenzen dieses Genres einzuladen. Ein weiterer Gedanke war deshalb, in größerem Umfang als sonst Publikationen aus dem englischsprachigen Bildungswesen zu berücksichtigen, wo man ein Studiensystem, wie es europaweit bevorsteht, bereits seit längerem kennt und sich mit entsprechenden Publikationen darauf eingestellt hat. Wenn hier in aller Kürze das Spektrum skizziert werden soll, innerhalb dessen sich die Beiträge bewegen, dann auch, um auf einige Werke hinzuweisen, die bereits in vergangenen Ausgaben der sehepunkte bzw. kunstform besprochen wurden bzw. die in den letzten Jahren erschienen sind, aber aus Gründen des redaktionellen Rahmens, der eine Rezension spätestens zwei Jahre nach Erscheinen vorsieht, nicht aufgenommen werden konnten.

An erster Stelle sind die Einführungen zu nennen, die sich mit den Methoden des Faches beschäftigen. Sie dürften angesichts der anhaltenden Ausdifferenzierung des wissenschaftlichen Feldes, die den Studierenden nicht selten ratlos hinterlässt, besonders willkommen sein. Grundlegend, aber auch von einer gewissen Sonderstellung sind dabei Arbeiten wie die Darstellung von Michael Hatt und Charlotte Klonk, die sich dem methodischen Rahmen des Faches historisch-kritisch nähern. Nicht nur an diesem Werk zeigt sich der routinierte Umgang des englischsprachigen Raums mit der Gattung eines dem Studienfortschritt angepassten studentischen Handbuchs. Vielmehr wartet man dort mit einer Reihe von ungewöhnlicheren Formaten auf, wie sie sich auf dem deutschsprachigen Büchermarkt bislang kaum finden lassen. Neben verschiedenen ‚Schulen des Sehens’, wie sie etwa in den Schriften John Bergers begegnen, und dem ungewöhnlichen Format der Ultra-Kurz-Einführungen (vgl. etwa Dana Arnold: Art History. A very short introduction, Oxford University Press 2004), die auf nur etwas mehr als hundert Seiten erstaunlich grundsätzliche Einblicke in das Fach ermöglichen, ist hier eine spezielle Form zu nennen, die den methodischen Stoff mittels zentraler Begriffe bzw. Stichwörter abhandelt (vgl. etwa Robert Nelson: 'Critical Terms in Art History', 2. Aufl. 2003). Als Beispiel dafür stellen wir die Key Concepts von Jonathan Harris vor, der die verschiedenen kunstwissenschaftlichen Theorien und Begriffen in alphabetischer Abfolge verhandelt.

Auch wenn vor drei Jahren von deutscher Seite mit dem Metzler Lexikon Kunstwissenschaft ein vergleichbares Projekt vorgelegt wurde, finden sich methodische Einführungen vor allem in Form von Readern (Kohle/Brassat, Methoden-Reader, 2003) oder Sammelbänden, wie das mittlerweile in 6. Auflage vorliegende, immer wieder um aktuelle Fragestellungen erweiterte Standardwerk 'Kunstgeschichte. Eine Einführung' (6. Auflage 2003). Sein Konzept hat diverse Nachfolger gefunden, wenngleich die jüngsten Beispiele das Terrain anders erschließen, indem sie methodische Fragen etwa an einem konkreten Ensemble wie der Berliner Museumsinsel behandeln (Hensel/Köstler 2005) oder signifikante Interpretationen eines Einzelwerks zusammenstellen (Greub 2001). Sind diese Bände noch durch ein Nebeneinander von verschiedenen Ansätzen bestimmt, konzentrieren sich einige der neueren Publikationen auf einzelne Fragestellungen. Bislang stehen 'klassische' kunsthistorische Themen im Zentrum, wie das Problem des Stils (Klein, Stilfragen zur Kunst des Mittelalters) oder der Bereich von Ikonographie und Ikonologie, für den in den vergangenen Jahren sogar drei unterschiedlich konzipierte Kompendien erschienen sind – neben den beiden in diesem Heft vorgestellten Werken wäre hier noch das Buch von Gabriele Kopp-Schmidt (Ikonographie und Ikonologie, Köln 2004) zu nennen. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis weitere Gebiete folgen. Eine Ausnahme jedoch bildet bereits jetzt die Genderforschung, die sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich zu Wort gemeldet hat. An dieser Stelle erlaubt ein glücklicher Zufall den Vergleich zwischen einer deutschen Bestandsaufnahme (Zimmermann, Kunstgeschichte und Gender) und einer kommentierten Aufsatzsammlung aus der amerikanischen Wissenschaftslandschaft (Broude/Garrard, Reclaiming Female Agency), an denen sich nicht zuletzt die unterschiedlich fortgeschrittene Institutionalisierung feministischer Positionen im Universitätsbetrieb ablesen lässt. In unterschiedlichem Maße in der Kunstgeschichte angekommen ist bislang auch die Bildwissenschaft, weshalb wir der Besprechung zu einer methodischen Aufbereitung von Martin Schulz mehr Platz eingeräumt und sie prominent in der Kategorie "Zur Debatte" positioniert haben.

An der Grenze von solchen genuinen Methodentexten zu Überblickswerken inhaltlicher Natur hat sich mittlerweile ein Typ etabliert, in dem die Darstellung des Gegenstandes untrennbar mit einer Reflektion methodischer Grundlagen verbunden ist. Die 'Grundzüge der Kunstwissenschaft' von Jutta Held und Norbert Schneider, die den Gesamtbereich kunsthistorischen Arbeitens abstecken, sind dazu ebenso zu rechnen wie epochenspezifische Einführungen (vgl. Bonnet, Einführung in die Kunst der Moderne, 2004). Nicht immer lässt sich in solchen Fällen scharf trennen zwischen genuiner Einführungsliteratur und anspruchsvollem state of research als Forschungsbeitrag. Als Beispiel seien die Blackwell-Companions bzw. Anthologien genannt, von denen einige besprochen werden, allerdings erst in der nächsten Ausgabe. Ihnen zur Seite steht schließlich eine Gattung, die, anders als im Kontext amerikanischer Universitäten (Chipps Smith, The Northern Renaissance, 2004) hierzulande bislang kaum eine Rolle spielt: der als Studienbegleitung konzipierte Überblick über eine Gattung oder eine Epoche. Um die Beschäftigung mit diesem Problem anzuregen, haben wir uns erlaubt, eine Einführung in die Kunst des Surrealismus mit aufzunehmen, die vermutlich nicht zum Zweck der universitären Ausbildung konzipiert wurde, sich aber dennoch als Modellfall erweisen könnte.

Auch insgesamt würden wir uns freuen, wenn wir mit dieser Zusammenstellung eine Diskussion anstoßen könnten, die vielleicht an anderer Stelle und in anderen Publikationsformen Fortsetzung findet. Das Erscheinungsdatum des Themenheftes fällt deshalb auch nicht ganz zufällig mit dem Beginn des diesjährigen Kunsthistorikertags in Regensburg zusammen. Dass es rechtzeitig zu diesem Termin erscheinen kann, ist allein den Rezensenten zu verdanken, die Erkältungswellen und Hürden des internationalen Verlagwesens getrotzt und ihre Beiträge nicht nur auf unsere Fragestellung zugeschnitten, sondern auch pünktlich geliefert haben – ihnen sowie meinen Redakteurskollegen Sigrid Ruby und Olaf Peters gilt mein herzlicher Dank für die Zusammenarbeit.

Gabriele Wimböck

für die Herausgeber


zur Ausgabe KUNSTFORM 8 (2007), Nr. 3

Empfohlene Zitierweise:

Heinrich Dilly: Rezension von: Jonathan Harris: Art History. The Key Concepts, London / New York: Routledge 2006
in: KUNSTFORM 8 (2007), Nr. 3,

Rezension von:

Heinrich Dilly
Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg

Redaktionelle Betreuung:

Gabriele Wimböck