Rezension

Thomas DaCosta Kaufmann / Elizabeth Pilliod: (ed.) Time and Place. The Geohistory of Art, Aldershot: Ashgate 2005,
Buchcover von Time and Place
rezensiert von Stephan Hoppe, Universität zu Köln
Es gibt eine Anzahl von Sammelbänden, die unter einem in kategoriale Regionen zielenden Titel eher ein Sammelsurium von Arbeiten vereinen, die man auch gut in separaten Zusammenhängen hätte kommunizieren können. Zu diesem Typus gehört der von Thomas DaCosta Kaufmann und Elisabeth Pilliod herausgegebene Sammelband mit ebenfalls kategorialer Titelei erfreulicherweise nicht. Dessen Texte sind das Ergebnis einer gleichnamigen, von den Herausgebern geleiteten Sektion des 13. Internationalen Kunsthistorikerkongresses vom September 2000 in London. Es geht den Autoren um nichts Geringeres, als im Rahmen der geografisch-räumlichen Untersuchungsperspektive auf die Geschichte der Kunst ältere Ansätze kritisch zu inventarisieren und weiterführende Anregungen für zukünftige Fragestellungen zu geben. Das Buch ist also nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich in gewissem Sinn eine Schwesterpublikation von DaCosta Kaufmanns ein Jahr zuvor erschienenem "Toward a geography of art", wo übrigens auch Beiträge unterschiedlicher Herkunft, allerdings alle von ihm selbst, zusammengeführt worden sind. [1]

Der Rezensent möchte hier besonders die Einleitung von DaCosta Kaufmann jedem ans Herz legen, der sich für solche Themen interessiert. Hier wird ein weiter Bogen gespannt von den ältesten kunstgeografischen Ansätzen im 35. Buch von Plinius Naturgeschichte über Zwischenstationen wie Vasaris Viten und Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums zu zwei grundlegenden wissenschaftlichen "Schulen" des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts. Zu diesen rechnet Kaufmann zum einen die vor allem im deutschen Sprachraum entwickelte Kunstgeographie und zum anderen jenen in Frankreich von den Arbeiten Henri Focillons und Lucien Febvre ausgehenden historisch-geografischen Ansatz, den er la géographie humaine (human geography) nennt.

Kaufmann will aber nicht nur die Historie dieser Ansätze darstellen, sondern darüber hinaus ihre Leistungen und Problempotenziale für zukünftige Forschungen diskutieren. Zunächst scheint sich der auch in Kaufmanns englischem Text deutsch erscheinende Begriff der Kunstgeographie besonders anzubieten, um ältere Impulse für die Zukunft zu reaktivieren. Der Autor warnt jedoch vor einer allzu unreflektierten Übernahme des scheinbar treffenden und einleuchtenden Begriffs. Er tut dies gar nicht einmal so sehr wegen dessen von Anfang an latenten Kontaminationsfähigkeit mit Konzepten des germanisch Völkischen und einer elitären Rassenlehre, die nach 1933 immer stärker in eine offene Parteinahme gegenüber Positionen des Naziregimes umschlug. Solche Amalgierungen dürften nun, über 50 Jahre nach Kriegsende, durchaus kritisch aufzuarbeiten und zu bereinigen sein. Er kritisiert vor allem die tendenziell mit der Praxis der Kunstgeographie verbundene Perspektive einer Hervorhebung von vermeintlich überzeitlichen Konstanten auf Kosten historischer Veränderung und Individualität.

Diese im Konzept der Kunstgeographie eher vernachlässigte Prozessualität und Kontingenz der Geschichte sieht Kaufmann weitaus getreuer in den Blick genommen von der Tradition der la géographie humaine, besonders in der Gestalt, wie sie von jüngeren Autoren wie George Kubler und Fernand Braudel weitergeführt wurde. [2]

Um sowohl Raum beziehungsweise Ort (space/place) als auch Zeit (time) als programmatisch gleichberechtigte Leitkategorien zukünftiger geografisch ausgerichteter Kunstwissenschaft in einem Programm zu fassen schlägt DaCosta Kaufmann den Begriff der geohistory of art vor, der so nicht zufällig den Untertitel des Buches abgibt: "The use of the term geohistory is not only intended to emphasize the historical, but in so doing aims to suggest a different sort of application of geography to art history than one conceives of geography as a 'spatial science.' This conzeptualisation is concerned with 'nomothetic' approches, those that seek to derive general laws and thus emphasize spatial processes, rather than individual circumstances, instead a geography of art would be more in line with what geographers define as 'idiographic' approaches, those that emphasize specific places as sites where processes and factors are actually evinced." (9)

Die einzelnen Aufsätze illustrieren und konkretisieren vorzüglich, was in der Einleitung theoretisch angesprochen wird, und enthalten sich keineswegs eigener theoretisierender Impulse. Die Beispiele reichen von aktueller Konstruktion regionaler Konstanten (im Sinne der longue durée der französischen Schule) als leistungsfähige Marker bestimmter Baugewohnheiten (Jean Guillaume) hin zu aktueller Dekonstruktion einer älteren posthumen Konstruktion von nationalen Konstanten (Ottenheym). Überhaupt ist die Konstruktion von scheinbaren oder echten Konstanten und Relationen im Raum ein sich durch fast alle Beiträge ziehendes Oberthema. Dabei liegt einmal der Schwerpunkt auf einer historischen Perspektive, wenn Purtle Stil in der klassischen chinesischen Malerei als kontemporäres Identitätssignal einzelner Regionen rekonstruiert, ein anderes Mal auf aktuellen Rekontextualisierungen und Relokalisierungen als Reaktion auf das sich seit 1800 intensivierende Paradigma des autonomen, also auch ortsunabhängigen Kunstwerks (Gamboni). Ganz im Sinne der Herausgeber plädieren Bargellini und Piotrowski anhand ganz unterschiedlicher Kunstregionen (Mittelamerika und Mitteleuropa) für eine Bevorzugung von Netzwerkmodellen gegenüber Territorialmodellen und für Prozessmodelle an Stelle der Überbetonung statischer Tatbestände. Sehr lesenswert ist auch der Beitrag von Summers, der Stil eher als Konsequenz lokaler Traditionen denn als deren Grund auffassen möchte und Fragen der Identität und des Habitus (im Sinne Bourdieus) hier verhandelbar sieht.

Dem Leser wird nicht entgangen sein, dass der Rezensent den Band für einen gelungenen, überaus anregenden und vielfältigen Beitrag zum Thema hält. Eine letzte Anmerkung sei ihm am Ende zur hier bevorzugten Skalierung des Begriffes place gestattet. Auch wenn der Untertitel "geohistory" eine großräumige Perspektive von Ortsverhältnissen gut legitimiert, so sei doch daran erinnert, dass sich die Macht des Ortes durchaus auch in recht kleinräumigen Konfigurationen offenbart. Auch die Orte und Raumqualitäten eines Tales, einer Stadt, einer Straße, einer Kirche, eines Schlosses, ja sogar eines Zimmers fungieren als Raumkontexte von Kunstartefakten und sollten stärker als bisher in die Analysen mit einbezogen werden. Auch hier können die in dem Buch ausgebreiteten Gedanken und Anregungen fruchtbar aufgegriffen werden.

Anmerkungen:
[1] Thomas DaCosta Kaufmann: Toward a geography of art, Chicago, London 2004.
[2] Hier wäre vor allem auf die bekannte Triologie Braudels zur Kultur des Mittelmeeres im 16. Jahrhundert und das weniger bekannte, aber gleichwohl sehr anregende Buch Kublers zu nichtsequenziellen Zeitstrukturen künstlerischer Formen hinzuweisen: Fernand Braudel: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. (zuerst 1949), Frankfurt/Main 2001; Georges Kubler: Die Form der Zeit (zuerst 1962), Frankfurt/Main 1982.


Stephan Hoppe

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Empfohlene Zitierweise:

Stephan Hoppe: Rezension von: Thomas DaCosta Kaufmann / Elizabeth Pilliod: (ed.) Time and Place. The Geohistory of Art, Aldershot: Ashgate 2005
in: KUNSTFORM 7 (2006), Nr. 4,

Rezension von:

Stephan Hoppe
Universität zu Köln

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle