Rezension

Daniel Spanke: Portrait - Ikone - Kunst. Methodologische Studien zum Portrait in der Kunstliteratur. Zu einer Bildtheorie der Kunst, München: Wilhelm Fink 2004,
Buchcover von Portrait - Ikone - Kunst
rezensiert von Stephanie Tasch, Christie's, Berlin

"Ein ruhmvoller Zweig der Malerei ist gegenwärtig zwar nicht am Absterben begriffen, doch ist seine Ausübung sehr viel seltener geworden: Die malerische Darstellung des Individuums, einzeln oder als Gruppe von mehreren. Bei der Zeitbedrängnis und Eile, in welcher wir leben, wird das Bildnis im ganzen einem mechanischen Verfahren, der Photographie überlassen. Wir stehen der Porträtmalerei im Grunde schon wie einem historisch abgeschlossenen Ganzen gegenüber." (Jacob Burckhardt, 1885)

Daniel Spankes umfangreiche Studien zur Geschichte des Porträts in der Kunstliteratur sind ein ambitioniertes Projekt. Ambitioniert insofern, als die Arbeit von einem doppelten Erkenntnisinteresse geleitet ist: Zum einen schreibt Spanke eine methodologische Studie zum Porträt in der Kunstliteratur und Kunstgeschichte von Alberti bis in das ausgehende 20. Jahrhundert an ausgewählten Textbeispielen. Zum anderen und sich daraus ergebend, sollen "Bausteine" zu einer Bildtheorie der Kunst zusammengetragen werden.

Wie vermittelt Spanke nun zwischen beiden Ansprüchen? Die Antwort liegt in der tradierten theoretischen Standortbestimmung des Untersuchungsgegenstands selbst, d. h. dem Abbild des Individuums in der Kunst. Spanke stellt fest, dass "Theorien über Porträts [...] immer auch Theorien über Kunst [sind], denn wie keine andere Gattung wurde und wird ihr Stellenwert in der Kunst problematisiert" (11). Gerade also in der immer wieder thematisierten Spannung zwischen Abbild und Ideal, zwischen mechanischer Wiedergabe zum Zwecke der Wiedererkennbarkeit und Vergegenwärtigung des inneren Wesen, zwischen Handwerk und Kunst, ergibt sich für Spanke die Möglichkeit, den Kunstwerkcharakter des Porträts und damit dessen was "Kunst" sei, diskursiv näher zu bestimmen.

In der Einleitung seiner Arbeit, die als Doktorarbeit an der Justus-Liebig-Universität Gießen angenommen wurde, formuliert Spanke das Desiderat einer Sammlung historischer Quellen zum Porträt aus der Kunstliteratur von der Renaissance bis in das späte 20. Jahrhundert. Er grenzt seine Untersuchung von der vorangegangenen Forschung ab, sei es von der Arbeit zu Begriff und Interpretation des Porträts von Isa Lohmann-Siems von 1972 oder den im Entstehungszeitraum seiner Arbeit erschienenen kommentierten Quellensammlungen. [1]

Spanke erweitert den zeitlichen Horizont der Untersuchung über Lohmann-Siems hinaus, indem er in einem gesonderten Kapitel die Ikonentheorie des 8. und 9. Jahrhunderts heranzieht und mit neueren kunsthistorischen Arbeiten der 1980er-Jahre abschließt (Gottfried Boehm). Gegenüber der von Hannah Baader, Rudolf Preimesberger und Nicola Suthor 1999 herausgegebenen gattungshistorischen Quellensammlung betont Spanke vor allem die für das 18. und 19. Jahrhundert breitere Textgrundlage seiner Studien. Im Unterschied zu Lohmann-Siems und der Herausgeber um Preimesberger enthalten Spankes Studien einzelne Bildanalysen, etwa seine abschließende Interpretation von einer der "[Studies] of Isabel Rawthorn" von Francis Bacon. Spanke trägt der Tatsache Rechnung, dass in seiner Textauswahl kunsttheoretische Abhandlungen neben solchen zur Ästhetik und schließlich kunsthistorischen Einordnungen des Porträts stehen. Allerdings schließt sein spezifisches Erkenntnisinteresse daher notwendig Fragen der Funktion des Porträts, seiner theoretischen Positionierung innerhalb der Hierarchie der Gattungen oder der historischen Ausbildung bestimmter Porträttypen fast vollständig aus. Spankes Untersuchungen verstehen sich explizit nicht als Entwicklungsgeschichte der Porträttheorie (oder eben des Porträts). Im Mittelpunkt seines Interesses stehen vielmehr die Topoi der Kunstliteratur zum Porträt, die in einem zweiten Denkschritt das Phänomen "Kunst" präziser beschreiben sollen.

Eine dieser "konstanten und stabilen Strukturen" in der Denktradition zum Porträt ist dabei für Spanke das eingangs zitierte Motiv vom "Ende des Porträts", das Jacob Burckhardt 1885 in einem Vortrag erstmals formulierte. Dabei steht die polemisch zugespitzte Behauptung vom Porträt als "abgeschlossenem Ganzen" im Gegensatz zur Evidenz durchaus vorhandener und weiterhin produzierter Bildnisse. Zugleich war der Zeitpunkt von Burckhardts Beobachtung natürlich keineswegs zufällig, machte doch das fotografische Abbild dem gemalten Porträt erhebliche Konkurrenz. Burckhardt benennt die Beschleunigung des modernen (urbanen) Lebens als einen der Faktoren im Wettbewerb zwischen "mechanischen" und künstlerischen Bildnissen; ein anderer war der in der Kunstliteratur immer wieder debattierte Aspekt der Ähnlichkeit zwischen dem Modell und seiner Darstellung im Bild. Spanke fiel diese offensichtliche Diskrepanz zwischen der fortgesetzten Rede vom "Ende des Porträts" und seinem tatsächlichen Vorhandensein so auf, dass er sein ursprüngliches Forschungsvorhaben aufgab.

Hier sollten in einer Studie zum Porträt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sechs exemplarischen Positionen Porträts von Künstlern wie Oskar Kokoschka, Alberto Giacometti, Andy Warhol, Francis Bacon, Thomas Ruff und Christian Boltanski untersucht und "Paradigmen des Porträts seit den 1960er Jahren erarbeitet werden" (14/15). Zweifellos wäre eine solche Studie nach wie vor von Interesse, die etwa ausgehend von Burckhardts Diktum und der parallel sich entwickelnden Porträtfotografie Probleme und Möglichkeiten der Gattung medienübergreifend diskutieren würde. Zu Spankes Künstlerliste ließen sich leicht weitere Positionen aufzeigen, für die das Porträt auf je unterschiedliche Weise eine künstlerische Aufgabe darstellte oder darstellt: Maler wie Gustav Klimt, Egon Schiele, Max Beckmann, Christian Schad und Lucien Freud, David Hockney, Chuck Close, Alex Katz, Franz Gertsch und Elizabeth Peyton, und Fotografen von Man Ray zu Richard Avedon, bis Robert Mapplethorpe, Helmut Newton, Annie Leibowitz und Bettina Rheims, um nur einige Künstler des 20. Jahrhunderts zu nennen.

In jüngster Zeit hat sich die Kunsthalle zu Kiel einem Aspekt der Porträtkunst des letzten Jahrhunderts zugewandt, indem die Kustodin Petra Gördüren anhand von Beispielen von Alexej von Jawlensky bis Felix Gonzalez-Torres das Grenzphänomen des abstrakten Porträts, d. h. einer "Bildniskunst jenseits der Mimesis" thematisierte. [2] Dabei fällt eben jene Kategorie weg, die Spanke als eine der zentralen Konstanten der historischen Porträttheorien benennt, die der Ähnlichkeit. Spanke und Gördüren zitieren beide das von den Futuristen in ihrem Manifest "La pittura metafisica. Manifesto tecnico" von 1910 mit charakteristischem Aplomb vertretene Verdikt, ein Porträt dürfe, um als Kunstwerk zu gelten, alles sein, nur nicht ähnlich. Aus diesem Satz spricht sicher auch der Überdruss der Avantgarde an der klassischen Porträtikonografie, die es mitsamt der Gattung selbst zu Grabe zu tragen galt; ein Aspekt, der für das Wort vom "Ende" des Porträts als abgeschlossener Gattung seine Bedeutung hat. Denn die Porträtkunst des 20. Jahrhunderts, sei es in der Fotografie, der Malerei oder in anderen, von Spanke nicht in den Blick genommenen Medien, zeichnet sich nicht zuletzt durch künstlerische Strategien aus, die auf vielfältige Weise traditionelle ikonografische Muster sei es aktualisieren oder diese zu Gunsten von neuen Bildfindungen verabschieden. Für Gördürens Ausstellungskonzept wird mit dieser programmatischen Abwendung vom Gebot der Mimesis der Weg zum abstrakten Porträt ermöglicht; Francis Picabias "Maschinenporträts" von etwa 1915-1917 leisten dabei ihren Beitrag bei der Übersetzung menschlicher Eigenschaften in vom Künstler gesetzte bildsprachliche Zeichen, deren Ausdrucksmöglichkeiten auf der Höhe ihrer Epoche bewegen, wie Uwe Fleckner in seinem Beitrag zum Kieler Ausstellungskatalog aufzeigt.

Ganz grundsätzlich stellt sich dabei in der Kunstliteratur zum Porträt die Frage nach dem Begriff "Porträt" bzw. "Bildnis". In seinem einleitenden Kapitel zur Methode schlägt Spanke vor, einerseits "Vor- und Alternativkonzepte" zum künstlerischen Abbild eines Menschen bei der Diskussion der Gattung Porträt zu berücksichtigen, da sie - etwa in Form der von Spanke im Folgenden ausführlich behandelten Konzept der Ikone - zur Konturierung dessen, was ein "Porträt" ausmache, fruchtbar gemacht werden können. Andererseits führt er den von ihm geprägten Begriff des "Personalbildes" ein, der helfen soll, die begriffliche Unschärfe zwischen "Porträt" und "Bildnis", wie Spanke sie in der Kunstliteratur und kunsthistorischen Erörterungen zum Porträt ausmacht, aufzuheben zu Gunsten eines Begriffes, der "die Bedeutungsbreite von lateinisch persona als Rollenmaske und Wesen einer Person" abdeckt, ohne das eine Einengung auf "spezifische Personalkonzepte" stattfindet (33). Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist der Begriff sicherlich schlüssig, wenngleich sperrig, sodass auch der Autor im Folgenden meist vom "Porträt" spricht. Dabei macht sich Spanke für seine Studien den Paradigma-Begriff zur systematischen Unterscheidung der Bilder zunutze und markiert für die Geschichte der Bildtheorie die entscheidenden Paradigmenwechsel als zum einen vom Bildparadigma "Ikone" zum Bildparadigma "Kunst", das seit dem 15. Jahrhundert das Bild als Kunstwerk definiert, bzw. zum Bildparadigma "Medium" mit dem Aufkommen der Fotografie im 19. Jahrhundert.

Bereits im Quattrocento, etwa bei Leon Battista Alberti, wird das Grunddilemma des Porträts etabliert, um das alles Reden über die Darstellung einer bestimmten Persönlichkeit im Bild fortan kreisen wird, nämlich der "Seiltanz" (Spanke) der Forderung nach Ähnlichkeit zwischen Modell und Darstellung und derjenigen nach dem jeweiligen künstlerischen "Plus", das erst den Kunstwerkcharakter des Bildes ausmacht (86).

Im Sinne seiner Analyse der Porträttheorien in der Kunstliteratur arbeitet Spanke im Laufe seiner Untersuchung drei Argumentationsmuster heraus, die in variabler Formulierung den "Seiltanz" der Gattungsdefinition begleiten, und für die Spanke den Begriff "Wendung" benutzt, um anzudeuten, dass es sich bei diesen Redewendungen nicht um ein normatives Regelwerk handelt, sondern um argumentative Strukturen: 1) Die "Kompromisswendung", nach der das Bild sowohl ähnlich als auch schön ist; 2) die "Übersteigerungswendung", infolge derer das Bild so ähnlich ist, dass es schön ist und 3) die "Ablehnungswendung", die das Porträt als Kunstwerk abwertet, da das Ähnliche so schön nicht sein kann. Alle drei Argumentationsstrukturen basieren auf der Opposition zwischen dem real Vorhandenen, d. h. dem Modell, und dem Ideal, d. h. seinem Auftritt im Porträt (99).

Der Umfang der Arbeit lässt es nicht zu, Spankes Studien im Rahmen einer Rezension detailliert zu folgen; erwähnt sei nur, dass seine Frage nach der Bestimmung des Bildparadigmas "Kunst" an einigen Stellen durch die Darstellung dessen, was nicht "Kunst" sei, präzisiert wird, so etwa in dem Abschnitt zu Seicento und Barock, in dem Spanke als das "Gegenbild zum Porträtkunstwerk" die Effigies, etwa in Form jener lebensecht gestalteten und ausgestatteten Wachsfiguren, die als Surrogatkörper zum königlichen Sepulchralritus des 15. bis 17. Jahrhunderts gehörten (132-135).

Insgesamt versuchen Daniel Spankes Studien zum Porträt in der Kunstliteratur aufgrund ihrer doppelgleisigen Anlage fast zu vieles zu leisten. So faszinierend die Prämisse der Arbeit ist, aus der einzigartigen Spannung, die sich aus der Bildaufgabe "Porträt" ergibt, eine Bildtheorie der Kunst zu entwickeln oder jedenfalls Denkanstöße zu geben, so sehr wünscht sich der Leser bei der Lektüre dieser um besondere begriffliche und definitorische Tiefenschärfe bemühten Untersuchung zuweilen eine weitere Publikation desselben Autors, die die Fragestellung auf der Basis der hier gewonnenen Erkenntnisse nun tatsächlich zum Gegenstand einer enger geführten Darstellung macht.

Anmerkungen:

[1] Isa Lohmann-Siems: Begriff und Interpretation des Porträts in der kunsthistorischen Literatur. Die begriffliche Bestimmung des Porträts in der kunstwissenschaftlichen Literatur bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts; ein Beitrag zum methodischen Problem der Bildnis-Interpretation. Diss. Hamburg 1972; Édouard Pommier: Théories du portrait. De la Renaissance aux Lumières. Paris 1998; Rudolf Preimesberger / Hannah Baader / Nicola Suthor (Hrsg.): Porträt (Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren. Hrsg. v. Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 2). Berlin 1999.

[2] Ausst. Kat. Porträt ohne Antlitz. Abstrakte Strategien in der Bildniskunst, Kunsthalle zu Kiel, Kiel 2004.


Stephanie Tasch

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Empfohlene Zitierweise:

Stephanie Tasch: Rezension von: Daniel Spanke: Portrait - Ikone - Kunst. Methodologische Studien zum Portrait in der Kunstliteratur. Zu einer Bildtheorie der Kunst, München: Wilhelm Fink 2004
in: KUNSTFORM 7 (2006), Nr. 3,

Rezension von:

Stephanie Tasch
Christie's, Berlin

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle