Rezension

Sigrid Bertuleit / Claudia Valter: Natur als Garten. Barbizons Folgen. Frankreichs Maler des Waldes von Fontainebleau und die Münchner Landschaftsmalerei, Schweinfurt: Museum Georg Schäfer 2004,
Buchcover von Natur als Garten. Barbizons Folgen
rezensiert von Jakob Golab, Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim

Der Titel des Ausstellungskatalogs aus dem Museum Georg Schäfer in Schweinfurt [1] macht neugierig, weil der Haupttitel "Natur als Garten" vor dem Hintergrund der Malerei von Barbizon und in ihrer Tradition eine interessante These vermuten lässt. Der Begriff "Natur" weckt in diesem Kontext die Vorstellung von Menschenhand unbehelligter Dickichte, weitläufiger Flusstäler, allenfalls mit schlichten Behausungen, die in ihrer natürlichen Umgebung aufgehen. Da "Garten" gewöhnlich eine mehr oder minder, aber in jedem Falle eine vom Menschen umgestaltete "Natur" bezeichnet, wagen die beiden Autorinnen, Sigrid Bertuleit und Claudia Valter, anscheinend eine spannende Synthese. Um es vorweg zu sagen: Die Neugier wird enttäuscht. Der Titel deutet sie an, das Buchinnere versucht sie auch nur andeutungsweise. Man fragt sich: Warum dieser Haupttitel?

Der Katalog umfasst 264 Seiten, davon bieten fünf eine lückenhafte Auswahlbibliografie. Analog zur Ausstellung ist der Katalog zweigeteilt: Die Gemälde- und die Grafiksektion leitet je ein Text ein. Wie viele Exponate ausgestellt wurden, muss der Leser selber errechnen, denn die Katalogeinträge sind nicht nummeriert, sondern alphabetisch nach Namen sortiert. So geht das Ausstellungskonzept verloren, "Gemälde und Arbeiten auf Papier der Schule von Barbizon im Visavis zu Werken Münchener Landschaftsmalerei [...]" (18) zu zeigen - schade.

19 der ausgestellten Grafiken werden nicht abgebildet, mehrere Exponate in beiden Sektionen müssen ohne erläuternden Text auskommen. Dafür sind alle farbigen Werke farbig abgebildet, wenn auch manchmal in unzureichender Größe.

Sigrid Bertuleit, Museumsleiterin in Schweinfurt, hat bereits 1994 über Max Liebermann und Barbizon geschrieben [2] und zeichnet verantwortlich für den Aufsatz "Paris - München. Frankreich und Deutschland auf Tuchfühlung durch 'Kunst und Kunstindustrie'". Darin thematisiert sie zunächst die Pariser Weltausstellung von 1867, streift sodann die individuellen Eigenheiten prominenter Barbizonmaler, kehrt zurück zur Pariser Ausstellung und stellt die Münchener I. Internationale Ausstellung von 1869 vor, um schließlich die Anziehungskraft des Waldes von Fontainebleau auf die deutschen Künstler nach der Jahrhundertmitte zu erwähnen. Mittendrin Bemerkungen über Théodore Rousseaus Entdeckung einer menschenfernen Seite der Natur, eines "Urzustand[es]" (14). Womöglich soll dies den Ausstellungstitel entfalten, das Barbizoneske aus den Wurzeln des Interesses an Landschaftsdarstellungen erwachsen lassen: aus dem biblischen Paradiesgarten und dem antiken Arkadien, also Urzuständen harmonischen Daseins in einer bergenden Natur.

Grammatisch schleierhaft bleibt der Hinweis auf Rousseaus vermeintlichen Zivilisationsbegriff, "der die Idee von der bearbeitbaren [also unbearbeiteten] Natur mit einfachen Lebensumständen verbindet, mit rustikaler Behausung, mit dörflicher Geschlossenheit und damit auch mit der Nutznießerschaft des Menschen in seiner selbst zu suchenden Beziehung zu Natur" (15) - einer Nutznießerschaft, die in der Beziehung zwischen Natur und Mensch besteht, die dieser selbst suchen, konstruieren muss? Die also nicht a priori gegeben ist? Oder die der Mensch in sich selbst suchen muss? Die also in ihm angelegt ist? Diese deutungsbedürftigen Andeutungen sind das theoretische Fundament der "Natur als Garten", vereinzelte Bemerkungen folgen noch in den Katalogeinträgen.

"Da die Idee der Ausstellung auf der unmittelbaren Beeinflussung durch die Barbizonisten auf Münchener Landschaftsmaler beruht, auf die Wechselbeziehung Paris 1867 und München 1869 [...]" (24, Anm. 23), erwartet man dahingehende Erläuterungen. Die Argumentation bleibt jedoch im Partikulären stecken: Man erfährt, dass sich etliche Münchener Maler von der Pariser Weltausstellung hätten inspirieren lassen, aber ebenso, dass sie schon zuvor in Kontakt mit der Schule von Barbizon gekommen waren (20). Dass viele der in Schweinfurt präsentierten Münchener Maler bereits auf eben dieser Weltausstellung von 1867 barbizonesk anmutende Werke ausgestellt haben (17), einige sogar schon 1855 (19), macht den Charakter der Pariser Ausstellung als Impulsgeber nicht gerade deutlicher. Umgekehrt heißt es, dass die Münchener Ausstellung zwar Barbizonmaler zeigte, aber keinesfalls als besonderen, zentralen Aspekt: "erst nach der Aufzählung von hunderten von Gemälden ist ein Bild der Schule von Barbizon auszumachen." (19).

Bertuleit vermittelt einen allgemeinen Eindruck von der Pariser Weltausstellung durch die Augen Friedrich Pechts. Vielleicht tut sie dies um eine Motivation für die Bereitschaft deutscher Künstler aufzubauen, sich von Barbizon beeinflussen zu lassen, oder um das Bewusstsein der Fortschrittlichkeit einer Malweise à la Barbizon zu belegen - der Leser erfährt es nicht. Diesen höchst subjektiven Wahrnehmungen wird der offizielle Ausstellungsbericht gegenübergestellt: "Gibt es einen stärkeren Gegensatz zu dieser Sichtweise des Deutschen Berichterstatters als den offiziellen Verwaltungsbericht Frankreichs? Wohl kaum [...]" (10). Richtig, denn ein Vergleich der Pecht-Kritiken mit dem offiziellen Verwaltungsbericht ist schon aufgrund des unvergleichbaren Charakters beider Dokumente verfehlt. Der Hinweis, Pechts stark nationalistische Perspektive sei schon von seinen Zeitgenossen kritisiert worden (12), relativiert obendrein ihren allgemein gültigen, die Zeit kennzeichnenden Charakter zu einer individuellen Sichtweise, sodass man fragen darf, warum die Autorin gerade diesen Aspekt hervorgehoben hat?

Obwohl der Aufsatz von Bertuleit den Auftakt des Katalogs bildet, bietet er dem fachfremden Ausstellungsbesucher oder Katalogleser keine kompakte Definition der Schule von Barbizon. Einem Fachmann zu Genüge bekannt, wird einem Laien das Charakteristische der Barbizonmalerei nur weiträumig zerstreut nahe gebracht: Es bestehe in "Bildfindungen authentisch empfundener Naturerlebnisse" (20), im "beliebten braungrünen Kolorit" (20), Darstellungen der "Natur in ihrer ganzen Wahrheit" (12) als "schlichten, stimmungserfüllten Naturausschnitt, 'paysage intime' genannt" (14), wobei die Menschen "als untergeordnete[r] Teil der Natur" (14) wiedergegeben wurden.

Die Katalogeinträge zu den Gemälden beinhalten gute, detailreiche Bildbeschreibungen, darin eingestreut zahlreiche Hinweise auf die Eigenheiten der Schule von Barbizon und auf die Berührungspunkte zwischen ihr und der Münchener Landschaftsschule. Dagegen blenden sie die Beziehungen zur niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts vollständig aus - sogar wenn diese augenfälliger als Verbindungen zu Barbizon sind (72). Zwischendrin einige biografische Hinweise, doch stammen sie meist aus zweiter Hand, das ist aus älterer Literatur. Neue Dokumente sind anscheinend nicht erschlossen worden - entgegen Bertuleits eigener Forderung (18). All dies lässt eine synoptische Einführung umso mehr vermissen.

Das Gleiche gilt für die Bemerkungen, die zur Stützung der Titelgebung, der Verbindung von Natur und (Paradies-)Garten genutzt werden könnten: "Einbettung der Tiere in eine sich sanft gebende Natur" (86) oder das Versinken von Mensch und Gebäude im Naturraum (74), "Ganzheitlichkeit von Erde, Tier und Vegetation" (73). Allerdings wird - manchmal noch im selben Eintrag - von "Nutzlandschaft" gesprochen (73), womit die unberührte, ursprüngliche Natur nicht gemeint sein kann und diese These untergraben wird. Auf Seite 80 wird das Missverständnis offenbar: Keine Idee, keine These war titelgebend, sondern die (anfechtbare) Interpretation eines einzigen Gemäldes: Constant Troyons "Im Wald von Meudon bei Sèvres" (um 1844/46, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe).

Claudia Valter steuert dagegen mit dem Einführungstext in der zweiten Sektion - "Zeichnung und Druckgrafik der Freilichtmaler in Barbizon und München" - einen für Laien sicher interessanteren Text bei, der klar strukturiert die Grundinformationen zur barbizonesken Manier und ihrer Einordnung in den kunsthistorischen Kontext bietet. Valter benennt die Zielsetzung der Ersten Internationalen Kunstausstellung von 1867 als "Überblick über die europäische Kunstproduktion der Gegenwart" und vertieft deren politische Implikationen. Ebenso spricht sie den kunsttheoretischen Horizont der Entwicklung der Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert an und formuliert kompakt die Eigenheit der barbizonesken Auffassung, wobei sie deren enge Verbindung zu den technischen Bedingungen grafischer Medien unterstreicht. Auch thematisiert sie die vielfältigen Verbindungen der Schule von Barbizon zu Niederländern des 17. und Engländern des frühen 19. Jahrhunderts sowie die direkte Besinnung der Münchener auf diese Inspirationsquellen (99). Das alles nur flüchtig, aber eingängig, sodass Laien eine kunsthistorische Periode überschaubar und dennoch facettenreich vorgestellt wird.

In ihren Katalogeinträgen zur Grafik greift Valter diese Punkte, etwa den Einfluss niederländischer Meister, konkret auf (103). Sie unterstreicht wiederholt den "Eindruck einer friedlichen Symbiose von Tier und Landschaft, in die sich auch der Mensch harmonisch einfügt" (103), "der im Einklang mit der ihn umgebenden Natur steht." (107). Damit und mit Verweisen auf den "'Garten gleich hinter Paris'" (112) oder auf den "hortus conclusus" (131) versucht die Autorin den Ausstellungstitel zu unterfüttern - für einen uninformierten Leser zu schleierhaft, für einen informierten zu oberflächlich.

Zuletzt bleibt der Eindruck eines ziellosen, wenigstens desorientieren Kataloges, dem insbesondere im ersten Teil mehr Struktur gut getan hätte, auch mehr Inhalt und idealerweise Archivmaterial. Wenn man selbst feststellt, dass die "Beeinflussung durch Frankreichs Barbizonisten auf Münchner Künstler [...] auf grundsätzlicher Ebene häufig erörtert" (18) wurde und biografische Eckdaten wie Aufenthaltszeiten in Frankreich seit den 1980er-Jahren publiziert sind [3], dann muss man mehr tun als postulieren.


Anmerkungen:

[1] Die gleichnamige Ausstellung lief vom 8. August 2004 bis 9. Januar 2005, Zeichnung und Druckgrafik bis 1. November 2004.

[2] Ausstellungsbroschüre Niedersächsische Landesgalerie Hannover (Galerieheft), Max Liebermann und Barbizon, Hannover 1994.

[3] Hans-Peter Bühler: Die Schule von Barbizon. Französische Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert, München 1979, 110; 111 gibt eine Übersicht der von Barbizon beeinflussten Deutschen, samt Angaben wann und wo sie mit der Barbizon-Malerei in Berührung kamen.


Jakob Golab

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Empfohlene Zitierweise:

Jakob Golab: Rezension von: Sigrid Bertuleit / Claudia Valter: Natur als Garten. Barbizons Folgen. Frankreichs Maler des Waldes von Fontainebleau und die Münchner Landschaftsmalerei, Schweinfurt: Museum Georg Schäfer 2004
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 9,

Rezension von:

Jakob Golab
Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim

Redaktionelle Betreuung:

Ekaterini Kepetzis