Rezension

Annemarie Jaeggi: (Hg.) Egon Eiermann (1904-1970). Die Kontinuität der Moderne, Ostfildern: Hatje Cantz 2004,
Buchcover von Egon Eiermann (1904-1970)
rezensiert von Kerstin Wittmann-Englert, Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität, Berlin

Egon Eiermann prägte wie kaum ein anderer die Nachkriegsmoderne in Deutschland: als Architekt, Möbeldesigner und als Lehrer an der TH Karlsruhe. Jedem dieser Aspekte widmet sich der Katalog, der anlässlich einer Ausstellung entstanden ist, die 2004/2005 zum 100. Geburtstag des Architekten in der Städtischen Galerie Karlsruhe und im Bauhaus-Archiv Berlin gezeigt wurde. Geschickt ausgewählt ist der Fotoausschnitt auf dem Schutzumschlag des Katalogs: die Betonwabenelemente der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin sind ein prägnantes Entree zum Eiermann'schen Œuvre, von dem vieles in der Publikation gezeigt und erörtert wird.

Annemarie Jaeggi führt ein in das Werk Egon Eiermanns, dessen Kerngedanken sie prägnant zusammenfasst. Als Schüler Hans Poelzigs der "zweiten Architektengeneration des modernen Bauens in Deutschland" (12) zugehörig, wird Eiermann von der Autorin in seiner Zeit verortet. Am Anfang der Erörterung stehen die frühen, um 1930 entstandenen Einfamilienhäuser, die, einem "rustikaleren Funktionalismus" (13) folgend, aus natürlichen Baumaterialien errichtet wurden und Pult- und Satteldachformen an Stelle des von den Vertretern des Neuen Bauens bevorzugten Flachdaches aufwiesen. Auch zur Zeit des 'Dritten Reiches' blieben die Aufträge nicht aus, wobei es Eiermann verstand, durch Konzentration auf Baugattungen wie Wohnhaus- und Industriebau seine architektonischen Vorstellungen relativ unbehelligt von der "offiziellen" Formensprache zu verwirklichen.

Jaeggi gleich spannt Wolfgang Pehnt den Bogen über das gesamte Schaffen Eiermanns. Zur Charakterisierung des persönlichen und des architektonischen Stils setzt der Autor eine Gegenüberstellung von Egon Eiermann und Hans Scharoun an den Anfang. In diesen beiden Persönlichkeiten seien sich zwei polare Denkansätze und Arbeitsweisen begegnet: der "Realist" Eiermann, geprägt von der Suche nach "allgemeine[r] Gültigkeit und Anwendbarkeit der Lösung" (18), und der "Vitalist" Hans Scharoun, dessen Bauten von der Lust an individuellen, schöpferischen Gestaltungen zeugten. Eiermann habe nach klaren, vernünftigen und funktionalen Lösungen gestrebt. Seine Architektur - leicht, schwebend, grazil und transparent - habe dem Ideal einer Generation entsprochen, "die aus den Schützengräben und aus den Bunkerkellern ans friedliche Tageslicht emporgestiegen waren" (21).

Leichtigkeit verband sich für Egon Eiermann mit dem Gedanken der Vorläufigkeit, der Endlichkeit: dem entsprach als Bautypus der Pavillon, den der Architekt in Zusammenarbeit mit Sep Ruf für die Weltausstellung in Brüssel 1958 konzipierte. Während diese Brüssler Bautengruppe und die zeitnah realisierte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche von Wolfgang Pehnt als wesentliche Architekturschöpfungen der Nachkriegszeit gewürdigt werden, findet der Autor für die Ornamentfelder in den Verkleidungen der Warenhäuser Merkur und Horton nur kritische Worte - sowohl für die Gestaltung als solche als auch die Tatsache, dass Egon Eiermann Mendelsohns Kaufhaus Schocken ersetzte. Pehnts Kritik an den Ornamentfassaden wurde offensichtlich von den Katalogverantwortlichen geteilt, da der in der Abbildungsqualität überzeugende Farbbildteil diese Bauwerke ausspart.

In den weiteren Beiträgen werden verschiedene Aspekte fokussiert: Sonja Hildebrandt widmet sich dem Frühwerk des Architekten. Anhand ausgewählter Beispiele beschreibt sie Hindernisse, die es zu überwinden galt - wie beispielsweise die anfänglichen Einschränkungen in der Gestaltungsfreiheit beim Fabrikgebäude der Degea AG (1936-1939), da das Bauprojekt im Planungsgebiet der Nord-Süd-Achse lag und somit Albert Speers Genehmigung bedurfte. Einerseits ein erfolgreicher Architekt, der zu Kriegsende Projekte und Baustellen im gesamten Reichsgebiet betreute und Unterstützung von einer zweifelhaften Persönlichkeit wie Hitlers Leibarzt Karl Brandt erfuhr, war Eiermann kein politischer Parteigänger der Nationalsozialisten. Für die junge, aus dem Krieg heimkehrende Generation wurde er zur Identifikationsfigur - auch als Professor der TH Karlsruhe, wie Gerhard Kabierske in seinem Beitrag über "Egon Eiermann als Lehrer" darlegt.

Zu den Schlüsselbauten dieses Architekten gehört die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Kai Kappel schildert in seiner auf das Werk konzentrierten Darstellung eingehend Eiermanns Entwurf, den äußeren Ablauf der Planung und Entstehung dieses Bauensembles. Zu vermissen sind indes Hinweise auf die das Kirchenplateau umgebende, zeitnah entstandene Bebauung und die aktuellen Umbauplanungen am Breitscheidplatz. Denn die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hat einen besonderen Denkmalstatus: historisch ein Denkmal für Wilhelm I., baulich ein wichtiges Zeugnis der Nachkriegsmoderne, das in den 90er-Jahren ebenso wie die überwiegende Umgebungsbebauung in die Berliner Denkmalliste aufgenommen wurde.

Doch was ist mit den anderen Bauwerken dieses Architekten, die ebenfalls in die Jahre gekommen sind? Eiermann selbst bezweifelte die Dauerhaftigkeit der modernen Architektur: "Das, was wir bauen, erhebt gar nicht den Anspruch, altern zu wollen oder Patina anzusetzen, es verschleißt wie ein Automobil, es wird benutzt und nach gar nicht so vielen Jahren [...] verschwindet es wieder. Es hat also nichts von Zeitlosem, sondern nach Sinn und Zweck ist es zeitlich bedingt." (84). Eiermanns Einstellung zum Erhaltungswert moderner Gebäude wird von Clemens Kieser ebenso kritisch beleuchtet wie der heutige Umgang mit den Bauwerken dieses Architekten. Das Spektrum reicht dabei vom Abriss (Büroturm der Hochtief AB in Frankfurt am Main) bis zur denkmalgerechten Sanierung (u. a. Burda-Verlag in Offenburg).

Annemarie Jaeggi ("'Architektonische Diplomatie'. Egon Eiermanns Bauten für den Bund") und Carsten Krohn ("Vermeiden der architektonischen Geste. Egon Eiermanns Verwaltungsbauten") setzen jeweils einen inhaltlichen Schwerpunkt. Jaeggis Interesse gilt sowohl jenen Bauten, mit denen sich Deutschland im Ausland präsentiert (Brüssel, Washington), als auch dem Abgeordnetenhaus in Bonn, dem so genannten Langen Eugen. Mit Hinweis auf Adolf Arndt thematisiert sie die Suche nach dem architektonischen Ausdruck der Demokratie und vermag auf der Grundlage der drei genannten Bauten wesentliche Kennzeichen des Eiermann'schen Werkes zu Tage treten zu lassen. Auch Carsten Krohn legt, anhand ausgewählter Bauten, insbesondere dem Verwaltungs- und Ausbildungszentrum der Deutschen Olivetti in Frankfurt am Main, grundlegende Aspekte des Eiermann'schen Schaffens dar: wie beispielsweise die Entwicklung eines Typus und einer "Architektur der Leichtigkeit" (71). Mit Letzterem verband sich die Suche nach innovativen Lösungen im Bereich der Tragstruktur - ein Thema, welches auch Friederike Hoebel in ihrem Beitrag über die räumlichen Fassaden von Egon Eiermann beschäftigt, neben den Doppelhäuten und filigranen Gestängen, die als wesentlicher Bestandteil der Eiermann'schen Bauweise auch an anderer Stelle erörtert werden (Pehnt, Jaeggi).

Der letzte Beitrag im Essayteil ist dem Möbeldesigner Egon Eiermann gewidmet. Unter der Überschrift "Egon Eiermann - ein deutscher Eames? " stellt Arthur Mehlstäubler prominente Sitzmöbel des Architekten vor wie den "Klassiker" Klappstuhl SE 18 und würdigt Eiermanns innovative Leistungen im Designbereich. Selbst vom Vorbild der Eames geprägt, wurden auch Eiermanns Modelle schließlich vorbildhaft und "Teil der deutschen Alltagskultur" (98).

Der zweite Teil des Buches enthält einen reich illustrierten, informativen Katalog mit 24 "ausgewählten Werken" aus den Jahren 1931/32 bis 1972. Knapp und anschaulich formulierte Texte werden darin ergänzt durch überwiegend originale Fotografien, Zeichnungen, Grundrisse, Schnitte, Modelle und Literaturhinweise.

Eiermanns Ringen "um die allgemeine Gültigkeit und Anwendbarkeit der Lösung" (18) ist eine Stärke und gehört - mit Wolfgang Pehnt gesprochen - ohne Zweifel zu den Gründen, "Eiermanns Werk zu lieben". Dies teilt sich auch dem Leser bei der Lektüre dieser anschaulichen und flüssig formulierten Darstellung mit. Vor allem die wissenschaftlich fundierten Essays ergänzen in hervorragender Weise die grundlegende Publikation "Egon Eiermann 1904-1970. Bauten und Projekte", die 1984 in erster Auflage von Wulf Schirmer herausgegeben wurde.


Kerstin Wittmann-Englert

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Kerstin Wittmann-Englert: Rezension von: Annemarie Jaeggi: (Hg.) Egon Eiermann (1904-1970). Die Kontinuität der Moderne, Ostfildern: Hatje Cantz 2004
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 7,

Rezension von:

Kerstin Wittmann-Englert
Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität, Berlin

Redaktionelle Betreuung:

Lars Blunck