Rezension

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

für manche mag es heute überraschend klingen, wenn man die Kunst und ihre Geschichte zu den meist umworbenen wissenschaftlichen Forschungsfeldern erklärt. Die derzeitige Konstellation von ineinander greifenden Zuständigkeitspräferenzen verschiedenster "benachbarter" Wissensdisziplinen (Visual-, Media-, Critical-, Performance-, Cultural-, Theater-, Genderstudies) deutet jedoch unmissverständlich darauf hin. Den besten Beweis dafür liefert letztlich die unüberschaubare Zahl der jährlich erscheinenden Publikationen zur Kunstgeschichte und -Theorie.

Die heutige Kunstwissenschaft steht angesichts dieser Tatsache vor der Herausforderung einer nachhaltigen Erweiterung ihrer Bild- und Medienkompetenzen, einer Herausforderung, die durchaus divergierende programmatische Lösungsvorschläge an den Tag bringt. Ein Beispiel mag es verdeutlichen: Anlässlich des XXVIII. Deutschen Kunsthistorikertages im März 2005 in Bonn veröffentlichte der Verband Deutscher Kunsthistoriker e.V. ein Memorandum zum Status der Kunstgeschichte, in dem unter anderem erklärt wird, dass "die Kunstgeschichte als die Bildwissenschaft schlechthin die einzige sei, die zum Umgang mit der gegenwärtigen Bilderflut ein analytisches Instrumentarium bereithält [S. 3]". Die in den letzten drei Jahren erschienenen kunstwissenschaftlichen Dissertationen und bildwissenschaftlichen Tagungsbeiträge der jüngeren Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker scheinen interessanterweise die Allgemeingültigkeit der zitierten Aussage in eine historische Perspektive und damit in Frage zu stellen. Im Hinblick auf diese ermunternde Entwicklung zeichnen sich inhaltliche und methodische Wahlmöglichkeiten ab, denen das Rezensionsjournal KUNSTFORM nach wie vor Rechnung trägt. Auch in der Mai-Ausgabe 2005 werden kunstwissenschaftliche Rezensionen vorgestellt, die sowohl den (bereits) traditionellen als auch (noch) experimentellen Themen und Ansätzen verpflichtet sind:

"In welchem Stil sollen wir Kunstgeschichte betreiben?" - mit dieser, Heinrich Hübsch paraphrasierenden 'Meta-Frage' beschäftigt sich etwa die Dissertation von Andrea Schütte über Jacob Burckhardt und die ästhetische Anordnung im 19. Jahrhundert. Iris Benner hebt in ihrer Rezension nicht nur die neuen Zugänge zur Kulturgeschichtsschreibung Burckhardts hervor, sondern sie würdigt gleichzeitig die Kühnheit, mit der Schütte mit ihrem Schreibstil "die ausgetretenen Interpretationswege zur Historiographie" verlässt.

Die Rezensionen von Hubertus Kohle und Alexander Streitberger stellen zwei Bücher vor, die das Verhältnis der viktorianischen Kunst beziehungsweise der Kunst von Max Ernst zu den 'ur'- und 'vorgeschichtlichen', geologischen und paläontologischen Erkenntnissen und Vorstellungen diskutieren. Von "fixierter Natur" handelt dagegen das Buch von Andrea Klier über Naturabguß und Effigies im 16. Jahrhundert (Rezension: Kristin Marek).

Einen fundierten Blick auf die 'nachgeschichtlich' - historizistischen - Phänomene im architektonischen Umbau- und Ausstattungsbereich behandeln die Rezensionen von Edith Ulferts und Werner Schmidt (Guido Hinterkeuser: Das Berliner Schloss. Der Umbau durch Andreas Schlüter; Rainer Haaf: Louis-Philippe Möbel Furniture. Bürgerliche Möbel des Historismus. Middle-class Furniture of the Historicism) sowie die Besprechung der Sammelbandes "York Minster. An architectural history c. 1220 - 1500" (Hrsg.: Sarah Brown; Rezension: Jennifer S. Alexander).

Mit ihren Rezensionen der neuen Studien über Caspar David Friedrich (W. Vaughan) und die Nordische Renaissance (J. Chipps Smith) hinterfragen Werner Busch und Dagmar Eichberger die Möglichkeit und Notwendigkeit der geradezu periodisch erscheinenden (und deshalb vielleicht in einem neuen Sinne als 'historizistisch' zu bezeichnenden ) Studien und Lehrbücher zu den inzwischen traditionellen kunsthistorischen Themen. Sigrid Ruby stellt zudem eine Untersuchung über die Geschichtsschreibung des Abstrakten Expressionismus von Peter J. Schneemann vor.

Die Geschichte als Politikum im Fokus der Kunst und Kunstgeschichtsschreibung wird eingehend untersucht in den Büchern von Andreas Holleczek und Andrea Meyer über die Französische Kunst und Deutsche Perspektiven 1870-1945 (Rezension: Benedicte Savoy) und Michaela Marek über die Kunst und Identitätspolitik im Prozess der tschechischen Nationsbildung (Rezension: Werner Telesko).

Zu den rezensierten Ausstellungskatalogen in dieser KUNSTFORM-Ausgabe gehören der Goldschmied und Kupferstecher Antonius Eisenhoit (Rezension: Igor A. Jenzen), der Maler Gaspare Traversi (Rezension: Justus Lange) und eine thematische Ausstellung zu "Wolkenbildern" (Rezension: Marina Peters).

Das von Marieke van Vlierden verfasste Katalog zu den Bildwerken des Mittelalters und der Renaissance im Museum Catharijneconvent in Utrecht beschäftigt sich mit der Bedeutung der altniederländischen Skulptur für die Entwicklung der bildhauerischen Produktion des späten Mittelalters (Rezension: Hartmut Krohm).

Mit der Monographie des Bildhauers Matthias Bernhard Braun (Emanuel Poche, Hg. Von Hans Jäger) befasst sich die Rezension von Christian Hecht.

Christiane Kruse behandelt schließlich den von Hubert Burda und Christa Maar herausgegebenen Sammelband, in dem die für die entstehende Bildwissenschaft essenzielle Annahme eines "Iconic Turn" auch aus der Perspektive der Kunst-, Bio-, Computer- und Kulturwissenschaften diskutiert wird und damit die Notwendigkeit der kunstwissenschaftlichen Erweiterung ihrer Bild- und Medienkompetenzen unter Beweis stellt.

Ulrich Fürst / Slavko Kacunko / Hubertus Kohle / Stefanie Lieb


zur Ausgabe KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 5

Empfohlene Zitierweise:

Christian Hecht: Rezension von: Emanuel Poche: Matthias Bernhard Braun. Monographie. Hrsg. v. Hans Jäger, Innsbruck: Studien Verlag 2003
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 5,

Rezension von:

Christian Hecht
Institut für Kunstgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle