Rezension

Douglas R. Nickel: Francis Frith in Egypt and Palestine. A Victorian Photographer Abroad, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2004,
Buchcover von Francis Frith in Egypt and Palestine
rezensiert von Christian Drude, Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Die Reisefotografie des 19. Jahrhunderts wurde von der Kunstgeschichte lange vernachlässigt - insbesondere, wenn es sich um 'topografische' Fotografie handelte, deren Bildsprache ganz in der Dokumentation historischer oder exotischer Gegenstände aufzugehen schien. Dieses Verdikt traf vor allem kommerziell motivierte Großunternehmen wie die umfangreichen Bildpublikationen, mit denen der Reisefotograf und Fotounternehmer Francis Frith im viktorianischen England außerordentlichen Erfolg hatte. Frith hatte in den Jahren 1857 bis 1859 dreimal Ägypten und Palästina bereist und knapp 500 Glasnegative mitgebracht. Das gerade marktreif gewordene nasse Kollodiumverfahren ermöglichte dem Fotografen Aufnahmen von bestechender Detailtreue, die dem englischen Publikum die geschichtsträchtigen Orte des Nahen Ostens zum Greifen nahe brachten. Der amerikanische Fotohistoriker Douglas R. Nickel hat Friths Orientbildern nun eine eigene Studie gewidmet. Das Buch kann zugleich als Frith-Monografie gelten, da der Verfasser an diesem Ausschnitt aus dem Schaffen Friths dessen Bildstrategien und sein künstlerisches Selbstverständnis exemplifiziert. Auf einer dritten Ebene bietet Nickels Studie eine Zusammenschau zentraler Diskursformationen im viktorianischen England um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die für den zeitgenössischen Erfolg von Friths Orientbildern bestimmend waren. Die rhetorischen Ziele, die der Orientfotograf für das damalige Publikum so überzeugend einlöste, sind nach Nickel nur vor der Folie ihrer "cultural contexts" (12), das heißt ihrer materiellen, soziologischen und wissenschaftsgeschichtlichen Voraussetzungen adäquat zu verstehen (15).

Dabei ist der zeitgenössische Konnex von Religion und Wissenschaft, von Materialismus und Vergeistigung der Dreh- und Angelpunkt von Nickels Argumentation: Frith und sein Publikum nehmen den Nahen Osten primär aus religiöser Sicht in den Blick. Ägypten und Palästina sind Schauplätze biblischer Heilsgeschichte, für deren historische Wahrheit die Fotografie einstehen soll. Frith war strenggläubiger Quäker und geschäftstüchtiger Unternehmer zugleich. In einer eingehenden Analyse von Friths später Autobiografie zeigt Nickel, wie der Fotograf protestantische Prädestinationslehre und technizistisches Weltbild bis in die Wortwahl hinein verschmilzt: Indem Frith sein religiöses Erweckungserlebnis in den Kontext der als "'automatic machinery of circumstance'" (21) verstandenen Heilsgeschichte stellt, artikuliert er im Hinblick auf die göttliche Vorsehung dieselbe Technikgläubigkeit, die auch sein Verhältnis zum mechanischen Abbildungsverfahren der Fotografie bestimmt. Friths Ziel, das Wirken Gottes mit wissenschaftlicher Exaktheit sichtbar zu machen, bettet Nickel in den zeitgenössischen Wissenschaftsdiskurs ein: Geologie und Abstammungslehre, historische Leben-Jesu-Forschung und biblische Textkritik, aber auch kryptowissenschaftliche Versuche, die Effizienz von Gebeten empirisch nachzuweisen, bieten den geistigen Hintergrund für Friths Versuche, die Fotografie als Instrument eines christlich vermittelten Positivismus zu etablieren (97-109).

Nickels Argumentation zielt letztlich darauf ab, Friths rhetorische Strategien aufzudecken (11). Ob als Fotograf oder Autobiograf, als Quäker, Verleger oder Fototheoretiker - stets ist es der pragmatische Stratege Frith, dessen taktisches Gespür für moderne Kommunikationsmittel Nickel immer wieder sichtbar macht. So nutzt Frith verschiedene verlegerische Formate, um seinen Orientbildern möglichst weite Kundenkreise zu erschließen. Die Palette reicht vom fotografischen Sammelband über stereoskopische Ansichten und Panoramen im Mammutformat bis hin zu fotografisch illustrierten Bibelausgaben (69-83). Dabei nutzt Frith gezielt bestimmte Kompositionstypen für die jeweilige Publikationsform - zum Beispiel dramatische Kontrastierung von Nah und Fern bei den Stereoaufnahmen im Gegensatz zu den distanzierteren Albumbildern, die auf traditionelle Bildstandards der Landschaftsmalerei rekurrieren (114-116). Es gehört zu den großen Vorzügen von Nickels Buch, Friths Rhetorik auch im Hinblick auf die Bild-Text-Beziehungen zu befragen. Während die Stereobilder und spektakulären Großformate den Betrachter von selbst in ihren Bann ziehen, nutzt Frith bei den kleinformatigen Albumbildern gezielt Texte zur Rezeptionslenkung. Geschickt verbindet er dabei Emotionalisierung und Gelehrsamkeit: Indem er seine im Konversationston gehaltenen Ortsbeschreibungen mit Zitaten bedeutender Archäologen unterlegt, verleiht er seiner erlebnisorientierten Darstellung die Aura objektiver Wissenschaft (127).

In seinem 1859 publizierten Essay "The Art of Photography" schreibt Frith der Naturwahrheit fotografischer Abbildungen moralische Qualitäten zu, da Wahrheit per se göttlich sei (90). Er interpretiert die Wahrhaftigkeit der Fotografie als Beitrag zur Hebung von Geschmack und Moral und verengt damit eine Funktion, die Ruskin zeitgleich jeglicher Kunst zuschreibt, auf die Fotografie (94). Dieser gesellschaftspolitische Optimismus impliziert ein geradezu naives Vertrauen in die Transparenz des Mediums: Frith propagiert seine fotografische "aesthetics of truthfulness" (89) bewusst im Kontrast zu Malerei und Grafik, deren künstlerischen Freiheiten er misstraut. Der Gedanke an ideologischen Missbrauch oder Manipulation der Fotografie kommt ihm dabei nicht einmal entfernt in den Sinn, wie Nickel kritisch anmerkt (94). Eine derartige ideologiekritische Perspektive nimmt der Autor in den abschließenden beiden Kapiteln ein, in denen er Friths Orientbilder vor dem Hintergrund der von Edward W. Said begründeten und im Zeichen der "postcolonial studies" kritisch fortgeführten Orientalismus-Diskussion nach ihren imperialistischen Implikationen befragt (141-144). [1] Das von Frith vermittelte Orientbild zielt gleichermaßen auf exakte Dokumentation wie auf abstrahierende Zeitlosigkeit, in der die - meist menschenleeren und von allen Indizien modernen Lebens bereinigten - Orte erscheinen. In der assoziativen Überblendung des Gezeigten mit religiösem Bildungswissen vollzieht Friths Publikum nicht nur einen Bemächtigungsakt, sondern auch die "photographic transsubstantiation" (134) von der Glaubens- zur historischen Wahrheit.

Das Buch beeindruckt durch die Souveränität, mit der Nickel Friths Orientfotografien in umfassender kulturwissenschaftlicher Perspektive präsentiert und die Bedingungen ihrer Produktion, Distribution und Rezeption analysiert. Kritisch anzumerken wäre lediglich, dass eingehende Bildanalysen dabei zu kurz kommen - ein Faktum, das möglicherweise Nickels dezidierter Frontstellung gegen Versuche, die Foto-Ästhetik der Moderne auf Frith zu applizieren, geschuldet ist (14). Ebenso bedauerlich ist das Fehlen einer internationalen Perspektive auf Friths Orientbilder - so hätte etwa der Vergleich mit Bildrhetorik und publizistischer Aufbereitung der Fotografien, die Maxime Du Camp von seiner 1849/50 zusammen mit Gustave Flaubert unternommenen Orientreise mitbrachte, durchaus erhellend sein können. [2] So bleiben Friths Fotografien aus Ägypten und Palästina - die der opulent ausgestattete Band in hervorragender Abbildungsqualität präsentiert - zumindest aus fotogeschichtlicher Perspektive letztlich doch isoliert.


Anmerkungen:

[1] Edward W. Said: Orientalism, New York 1978.

[2] Die Reise zum Nil 1849-1850. Maxime Du Camp und Gustave Flaubert in Ägypten, Palästina und Syrien, hrsg. von Bodo von Dewitz und Karin Schuller-Procopovici (Ausstellungskatalog Museum Ludwig/Agfa Photo-Historama Köln 1997), Göttingen 1997.


Christian Drude

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Christian Drude: Rezension von: Douglas R. Nickel: Francis Frith in Egypt and Palestine. A Victorian Photographer Abroad, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2004
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 4,

Rezension von:

Christian Drude
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Redaktionelle Betreuung:

Ekaterini Kepetzis