Rezension

Martin Warnke: (Hg.) Politische Kunst. Gebärden und Gebaren, Berlin: Akademie Verlag 2004,
Buchcover von Politische Kunst
rezensiert von Hubertus Kohle, Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Ein unschätzbarer Vorteil der Hamburger Schule der Kunstgeschichte ist es, dass sie sich mit Aby Warburg auf einen prominenten Gründervater zurückführen lässt, und dass sie - noch wichtiger - mit diesem Erbe offensiv umgeht. Die publizistisch intensiv begleitete Revitalisierung des Warburg-Hauses in der Heilwigstraße ging einher mit einer international betriebenen Aufwertung Warburgs, den man wohl insbesondere als Gewährsmann einer Anthropologisierung des Faches verstand. Bis heute lässt sich eine klare Verbindungslinie zwischen dem Begründer einer kulturwissenschaftlich orientierten Kunstgeschichte und den im Umkreis des Warburg-Hauses entstehenden Forschungen ziehen. Das gilt auch für den vorliegenden schmalen Band, der mit den "Gebärden und Gebaren" des Untertitels deutlich auf die Pathosformeln Warburgs und dessen Gestenhermeneutik zurückgreift.

Gewöhnlich ist es nicht einfach, einen roten Faden aufzufinden, der die Beiträge eines Sammelbandes auf sinnvolle Weise verbindet. Das dürfte meistens an der Seite des Anbieters liegen. Vollständig will es auch in dem vorliegenden Fall nicht gelingen, da "Gebärden" nicht in allen Beiträgen untersucht werden und "Gebaren" ein so diffuser Begriff ist, dass man unter ihm eigentlich fast alles subsumieren kann. So beispielsweise Burcu Dogramaci, der mit seinem Beitrag zu deutschsprachigen Architekten im Dienste Atatürks trotzdem eine der interessantesten Untersuchungen des Bandes vorlegt. Die "Stein gewordene politische Gebärde" (99) von Atatürks Privathaus deutet der Autor als westliches Fanal in einem Umfeld, das von seinem Bewohner beherzt an die Wirklichkeit der säkularen Moderne herangeführt werden sollte. Wer sich fragt, wie eine kunsthistorische Untersuchung auch zur Beleuchtung gegenwärtiger kultureller, historischer und gesellschaftlicher Konstellationen beitragen kann: Hat hier ein Beispiel vor sich, denn es trägt entschieden zum Verständnis für die schwierige Lage der Türkei auf dem Weg in die Europäische Union bei. Auch Henning Ritter fällt ein wenig heraus, wenn er im Gefolge Buschs und Kosellecks eine Reihe von erhellenden Belegen für die Krise des Helden im 18. Jahrhundert liefert.

Näher am Generalthema liegen vor allem die Beiträge von Michael Diers, Petra Roettig, Dietrich Schubert und Elisabeth von Hagenow. Diers unternimmt es, die Zeige-Geste des weiß behemdeten jungen Mannes in Velazquez' "Übergabe von Breda" in eine Ausdrucksgebärde umzudeuten. Ob ihm das wirklich gelingt, mag man bezweifeln, zumal der Mann nicht auf seine Hand schaut sondern, leicht nach hinten, wohl an den gewandt, der ihm die Hand auf die Schulter gelegt hat. Roettig verfolgt das Motiv des Auskehrens mit dem Besen und befragt es auf seine Funktionen, die zwischen "revolutionär" und "ordnend" oszillieren. Die Tendenzen einer historischen Bildwissenschaft, die die Beschränkung der Kunstgeschichte auf hochkünstlerische Phänomene programmatisch sprengen will, kommen hier genauso zum Zuge wie in Hagenows Deutung der "Propaganda per Hand", die sich vor allem auf massenbildende Postkartenmotive stützt. Die Hand spielt auch bei Schubert eine zentrale Rolle, versucht er doch in seinem Beitrag zu zeigen, wie der politische Umbruch der Jahre der nationalsozialistischen Machtübernahme mit einer Verhärtung und Militarisierung des skulpturalen Gestensprache einher geht, wie sie sich in einer Reihe von Denkmalprojekten der Stadt Stralsund zeigt. Dabei argumentiert Schubert, einer der ganz wenigen klassischen Linken, die der deutschen Kunstgeschichte noch geblieben sind, wie immer ("Der Nazi Wilhelm Pinder", 88) drastisch und unmissverständlich. Apropos links. Eine schöne Erinnerung an das lange verblasste Biotop linker Revoluzzer liefert Joachim Buttler mit einer marginalen, dabei durchaus aussagekräftigen Anekdote aus dem Alltagsleben der Hamburger Universität, deren zweifelhafte Seiten uns ja auch schon in Dietrich Schwanitz' Campus-Roman vorgeführt wurden. In einer Art Hinrichtung in effigie zerstörten 1977 Hamburger Gut-Studenten die Büste eines Alt-Rektors, nachdem sie den echten nicht angetroffen hatten. Unglücklicherweise war dieser Alt-Rektor einer, der unter dem Druck der Nazis 1940 Selbstmord begangen hatte, also ganz und gar nicht der richtige, um gegen die Repressivität der bürgerlichen Kolonialgesellschaft zu wettern, die im Hamburg der 70er-Jahre unter speziellem Beschuss stand. Die Protagonisten dieser heroischen Geschichte wollen davon heute sicherlich nichts mehr wissen, Buttler aber unternimmt es, die publizistische Verwertung des Denkmalsturzes zu analysieren und ihre kunsthistorischen Wurzeln aufzudecken.

Positiv wirkt sich für den Zusammenhalt der Beiträge aus, dass die meisten Autoren von einem aktuellen bildnerischen Phänomen ausgehen, dem sie eine historisch-visuelle Tiefendimension vermitteln wollen. Das gelingt manchmal mehr, manchmal weniger. Erfreulich bleibt in jedem Fall, dass hier - gegen den Zeitgeist - politische Funktionen von Kunst überhaupt noch in den Blick geraten.

Die Publikation kommt in einem angenehm handlichen Paperbackformat daher, das trotzdem fadengebunden ist. Dass es allerdings bei dem geringen Umfang und dem Verzicht etwa auf Farbabbildungen immer noch fast 35 Euro kosten muss, stimmt nachdenklich.


Hubertus Kohle

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Empfohlene Zitierweise:

Hubertus Kohle: Rezension von: Martin Warnke: (Hg.) Politische Kunst. Gebärden und Gebaren, Berlin: Akademie Verlag 2004
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 3,

Rezension von:

Hubertus Kohle
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Redaktionelle Betreuung:

Alexis Joachimides