Rezension

David Erlay: Von Gold zu Rot. Heinrich Vogelers Weg in eine andere Welt, Bremen: Donat Verlag 2004,
Buchcover von Von Gold zu Rot
Bernd Küster: Heinrich Vogeler im Ersten Weltkrieg. , Bremen: Donat Verlag 2004,
Buchcover von Heinrich Vogeler im Ersten Weltkrieg
rezensiert von Nicola Hille, Universität Stuttgart

Bernd Küster analysiert in seinem neuen Buch über Heinrich Vogeler dessen Erlebnisse während des Ersten Weltkrieges und die sich aus diesen Erfahrungen ergebenden Einflüsse auf Vogelers weitere künstlerische Entwicklung. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich Vogelers Leben und Werk in zwei große Abschnitte unterteilen lässt: die Zeit vor 1914 und die Zeit nach 1918. Der Autor zeigt die persönliche Wandlung des Künstlers, die eng verbunden ist mit der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen, sehr detailliert auf.

Vogeler, der sich selbst als kleinbürgerlichen Romantiker und als Liebling des Bürgertums sah, erfuhr seine künstlerische Ausbildung zunächst an der Düsseldorfer Akademie, bevor er 1894 als jüngstes Mitglied zu der kleinen Gruppe Worpsweder Künstler kam, die in Sichtweite der alten Hansestadt Bremen ihre Künstlerkolonie gründeten. Er war ein Repräsentant jener Generation, die aus dem kulturellen Milieu des Historismus den Jugendstil hervorgebracht hatte. Doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere trug er sich als deren Repräsentant selbst zu Grabe. Ausschlaggebend hierfür, so Küsters These, waren seine Kriegseindrücke. Die Erlebnisse, die Vogeler im Kriegseinsatz machte, zerrissen ihm den Vorhang der schönen Illusion und setzten seiner - wie er es selbst formulierte - romantischen, individualistischen Isolierung ein jähes Ende.

Unter dem Titel "Erfahrungen eines Malers" schildert der Künstler im Jahr 1938 rückblickend das eigene Leben in dritter Person: "Freiwillig, aber ohne eine Spur von Begeisterung, zog der Romantiker ins Feld, alles auf eine Karte setzend: Tod oder Leben! Der Krieg dauerte lange. Da hatte nichts mehr Bestand: die letzten Begriffe von bürgerlicher Ehre, Moral und Religion wurden - unser Maler erlebte es voller Erschütterung - für ihn und hunderttausende andere unwiederbringlich vernichtet. Ringsum Chaos, kein Lichtblick. Er glaubte, nie wieder künstlerisch schaffen zu können". [1] Nach Küsters Einschätzung nahm Vogeler nicht aus Patriotismus, Nationalgefühl oder politischer Überzeugung am Krieg teil, sondern meldete sich im August 1914 aus einer persönlichen Lebenskrise heraus zum freiwilligen Kriegseinsatz. [2]

Dem Autor gelingt es, Vogelers Entwicklung von einem unpolitischen zu einem politisch engagierten Künstler aufzuzeigen. Um die Erfahrungen des Krieges künstlerisch zu verarbeiten, suchte Vogeler nach einer neuen Gestaltungsform und fand sie im expressiven Bildaufbau seiner prismatisch zerlegten Bildoberflächen, die für sein weiteres Werk charakteristisch wurden. Küsters zeigt auf, dass Vogeler eine soziale Utopie entwickelt, die sich auch in der Themenwahl seiner Arbeiten spiegelt. Es sei auf die Radierung "Vision" aus dem Jahr 1914 verwiesen und auf die zum Kriegsende entstandene Radierung "Die sieben Schalen des Zorns" (1918), die Vogeler selbst als eine seiner wichtigsten Arbeiten bezeichnete sowie das Gemälde "Das Leiden der Frau im Krieg" (1918). Bei diesen Arbeiten experimentiert der Künstler mit einer kubischen Verschachtelung von Bildelementen, die wie in einem Erzählduktus zusammengeführt und verdichtet werden.

Die Komplexität seiner Erlebnisse im Krieg und die damit verbundene apokalyptische Vorstellung vom Untergang schien dem Künstler nicht anders darstellbar als in solchen fragmentarisch zusammengesetzten Bildern. Von der Presse wurden diese Werke als expressionistische Untergangs- und Neugeburtsvisionen beschrieben, deren Anklänge an christliche Apokalypse- und Auferstehungsdarstellungen nicht zu übersehen waren. Es waren Ausdrucksformen, die sich etwa zur gleichen Zeit auch in den künstlerischen Arbeiten von Ludwig Meidner, Conrad Felixmüller und Karl Schmidt-Rottluff finden ließen.

Während des Krieges fertigte Vogeler aber auch zahlreiche Skizzen und Zeichnungen an, in denen nicht der Krieg, sondern die noch unzerstörten Dörfer und deren Bewohner dargestellt sind. Das Eigentümliche bei diesen Zeichnungen ist der Abstand zum Krieg. Man muss wissen, dass es sich um Zeichnungen aus den Kriegsgebieten handelt, um sie als solche zu erkennen, denn Vogeler versucht die Grausamkeiten des Krieges hier nicht zu dokumentieren. Seit dem Sommer 1915 schickt er diese Zeichnungen seiner Frau nach Worpswede und lässt nach den gezeichneten Vorlagen Postkarten herstellen. Auf diese Weise sind ganze Mappenwerke mit Zeichnungen des Künstlers aus der Zeit zwischen 1914 und 1918 erhalten geblieben.

Das Kriegsjahr 1917 wurde für den Künstler nach eigener Aussage zum "Epochenjahr", da in seinem Verlauf das "Schicksal des zwanzigsten Jahrhunderts" weitgehend vorentschieden wurde. Der durch den Kriegseintritt der USA zum globalen Krieg gewordene Konflikt brachte für Vogeler die Vorahnung einer neuen Weltordnung. Die Ereignisse in Russland, über die er als Angehöriger einer Nachrichtenabteilung ausreichende und ungefilterte Mitteilungen erhielt, bestärkten ihn in der Vorstellung einer kommenden Revolution. Äußerlich leistete Vogeler als Unteroffizier noch Gehorsam, innerlich nahm er eine Position ein, die sein weiteres Leben gänzlich verändern sollte. In eigenen Worten formulierte der Künstler es so: "Als ich durch die bolschewistische Propaganda an der Front den Kommunismus kennenlernte, glaubte ich, menschliche Vernunft müsse jeden überzeugen, daß diese neue Ordnung der Beziehungen der Menschen zueinander die Rettung der großen Masse aus Elend, Not und Krieg sein würde". [3] Küster geht in seiner Analyse detailliert auf Vogelers Streben nach einem "christlichen Sozialismus" ein. Diese Vorstellung führte den Künstler zu einer symbolischen Verwendung der menschlichen Gestalt. Verkörperten die Figuren in Vogelers früheren Bildern sein romantisches Empfinden, so wurden sie jetzt zu Ausdrucksträgern einer humanitären und sozialen Weltsicht.

Als der Erste Weltkrieg am 11. November 1918 zu Ende ging, hatte Vogeler eine persönliche und künstlerische Wende durchlaufen. Von dieser Entwicklung berichtet David Erlay in seinem Essay "Von Gold zu Rot. Heinrich Vogelers Weg in eine andere Welt". Nach Erlay begibt sich der Künstler von einer ästhetisch-träumerischen in eine ideologisch-politische Welt und geht einen Weg, der ebenso radikal wie erschütternd ist. Das künstlerische Werk teilt der Autor, in Analogie zu Bernd Küster, in zwei Abschnitte: Er spricht von den frühen Jahren als der erfolgreichen, goldenen Zeit des Künstlers und von der zweiten Lebenshälfte als den ideologischen, roten Jahren sowie einer in materieller Hinsicht entbehrungsreichen Zeit. Auf diese zweite Phase konzentriert sich Erlay in seinem Buch, wobei vor allem die Zeit in Deutschland vor Vogelers Übersiedlung in die Sowjetunion betrachtet wird. Der Autor sieht gerade in dieser Zeit, den Zwanzigerjahren, Vogelers folgenreiche Wandlung, die von der Forschung bisher nicht ausreichend beleuchtet wurde. Was in der Sowjetunion folgte, so Erlay, war lediglich die Konsequenz dieses in Deutschland so radikal vollzogenen Übertritts zur kommunistischen Weltauffassung, denn Vogelers soziales und politisches Engagement sowie der Kontakt mit der Bremer Arbeiterbewegung veranlasste ihn in den Jahren 1923 bis 1924 zu einer ersten Reise in die Sowjetunion, die er zusammen mit Sonja Marchlewska, seiner zweiten Frau, unternahm.

Nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion tritt Heinrich Vogeler im September 1924 in die KPD ein. Im folgenden Jahr unternimmt er eine zweite und dritte Reise in die Sowjetunion und siedelt im Anschluss nach Berlin über, wo er von 1927 bis 1931 lebt. Als er dann Anfang der dreißiger Jahre eine erneute Reise durch die südlichen Regionen der Sowjetunion unternimmt, entschließt er sich, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Nach der endgültigen Übersiedlung in die Sowjetunion arbeitet der Künstler in den Jahren 1934 bis 1936 im Auftrag des ethnografischen Museums von Petrosawodsk in Karelien, einem Land, das er in mehreren Etappen bereist. Neben einer größeren Zahl vorwiegend ethnografischer Skizzen und Aquarelle, die er für das völkerkundliche Museum anfertigt, entstehen auch großformatige Gemälde, in denen Vogeler von der sozialistischen Arbeit in Kombinaten berichtet. Um neue Aufträge entgegen zu nehmen, kehrt er zwischen seinen ausgedehnten Reisen immer wieder nach Moskau zurück. Neben der Illustration von Kinderbüchern übernimmt er auch andere Aufträge, wie beispielsweise die Übersetzung von Schulbüchern in die deutsche Sprache und das Verfassen von Texten für die Zeitschrift "Internationale Literatur", unter der Leitung von Johannes R. Becher. Er schreibt zahlreiche Reiseschilderungen und einen Artikel über den Künstlerkollegen Frans Masareel. Vogeler, der die letzten elf Jahre seines Lebens in der Sowjetunion verbringt, arbeitet auch als Kunstkritiker für die deutschsprachige Wochenzeitung "Moskauer Rundschau" und beginnt im Jahr 1938 seine Mitarbeit bei der von Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger und Willy Bredel herausgegebenen literarischen Monatszeitschrift "Das Wort". Diese Zusammenarbeit ist jedoch nur von kurzer Dauer, da er im Zuge des Kriegsverlaufs nach dem Angriff der deutschen Truppen auf die Sowjetunion im Jahr 1941 im Rahmen einer groß angelegten Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Moskau nach Karaganda (Kasachstan) umgesiedelt wird. Dort muss er bei einer russischen Kolchosbauernfamilie Quartier nehmen. Es folgen Monate großer materieller Not und eine drastische Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes. Als Vogeler am 14. Juni 1942 im Krankenhaus einer Kolchose in der sowjetischen Provinz stirbt, erfahren weder die Freunde und Künstlerkollegen noch die Familie von seinem Tod.

Interessant an der vorliegenden Publikation ist vor allem der Quellenanhang mit vielen bisher unveröffentlichten Briefen Heinrich Vogelers aus der Zeit seines Aufenthaltes in der Sowjetunion. Bei der Edition dieser Quellen hätte man sich seitens des Autors allerdings eine größere wissenschaftliche Sorgfalt gewünscht. Leider sind die von Vogeler fast immer datierten Briefe im Anhang größtenteils undatiert, unsystematisch und ohne Erläuterung zusammengestellt worden. Viele der Briefe werden nur in Auszügen abgedruckt, sodass ein Kontext über die Umstände, in denen die Briefe entstanden, nicht gegeben wird. Dies ist bedauerlich, denn gerade die Korrespondenz des Künstlers erweist sich als kostbare Quelle, der viele Informationen entnommen werden können. Zu nennen ist beispielsweise der Briefwechsel von Heinrich Vogeler mit seiner ältesten Tochter Marie-Luise, die sich aus Paris an ihren Vater wendet um ihn in zahlreichen Briefen zur Ausreise aus der Sowjetunion zu bewegen. Unterstützung erhält sie von ihrem Mann, dem Schriftsteller Gustav Regler. Vogelers Antworten an seine Tochter verdeutlichen, dass ihn der künstlerische Erfolg, der ihm in der Sowjetunion widerfuhr, blind für die fatalen politischen Entwicklungen in diesem Land werden ließ.

Im Hinblick auf Vogelers persönlichen Werdegang, seinen Weg von Worpswede nach Moskau, und die damit verbundene künstlerische Entwicklung ergänzen sich beide Neuerscheinungen jedoch in geeigneter Weise.


Anmerkungen:

[1] Heinrich Vogeler: Erfahrungen eines Malers - Zur Expressionismus-Diskussion, in: Das Wort, 6 (1938), 84-94. Abgedruckt in und zitiert nach: H.-J. Schmidt (Hg.): Die Expressionismusdebatte. Materialien zu einer marxistischen Realismuskonzeption, Frankfurt am Main 1976, 159.

[2] Er richtete zum 1. September 1914 ein Gesuch um Aufnahme in den Militärdienst bei den Dragonern an den Hofmarschall des Großherzogs von Oldenburg.

[3] Heinrich Vogeler: Werden. Erinnerungen mit Lebenszeugnissen aus den Jahren 1923-1942, Berlin 1989, 224. Zitiert nach Bernd Küster: Heinrich Vogeler im Ersten Weltkrieg, Bremen 2004, 74.


Nicola Hille

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Empfohlene Zitierweise:

Nicola Hille: Rezension von: David Erlay: Von Gold zu Rot. Heinrich Vogelers Weg in eine andere Welt, Bremen: Donat Verlag 2004
Bernd Küster: Heinrich Vogeler im Ersten Weltkrieg. , Bremen: Donat Verlag 2004
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 12,

Rezension von:

Nicola Hille
Universität Stuttgart

Redaktionelle Betreuung:

Slavko Kacunko