Rezension

Sabine Jacob / Susanne König-Lein: (Bearb.) Die italienischen Gemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts. , München: Hirmer 2004,
Buchcover von Die italienischen Gemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts
rezensiert von Oliver Tostmann, National Gallery of Art, Washington, D.C.

Das Dilemma des Anton-Ulrich Museums in Braunschweig ist gemeinhin bekannt. Wenn sich das Museum beim Fachpublikum auch eines hervorragenden Rufes erfreut, können sich die Sammlungen beim breiten Publikum doch nicht durchsetzen. Hinzu tritt das Stigma des Hauses, vor allem hervorragende holländische- und flämische Gemälde zu bergen. Die Sammlung an italienischen Gemälden steht demgegenüber im Hintergrund. Nach Berlin, München und Dresden birgt das Museum jedoch die viertgrößte Sammlung an italienischen Gemälden in Deutschland. Dass auch die Qualität der Gemälde dieser quantitativen Vorlage entspricht, soll der neu erschienene Bestandskatalog klären helfen. Bislang musste der Interessierte mit dem veralteten Sammlungsführer von 1976 vorlieb nehmen; durch die spartanischen Angaben und sparsamen Abbildungen konnte sich die Sammlung dort allerdings wenig profilieren. [1] Auch der zwei Jahre später erschienene Führer konnte die Lücke nicht füllen. [2] Der vorliegende Katalog schließt also ein Desiderat.

Die Sammlung an italienischen Gemälden geht in ihrem Kern auf die Erwerbungen Herzog Anton Ulrichs von Braunschweig (1633-1714) zurück. Eigens errichtete er für seine Gemälde einen Galeriebau im Schloss Salzdahlum bei Braunschweig, in dem auch die italienischen Gemälde ihren Platz fanden. Die Nachkommen des Herzogs vermehrten fortan die Sammlung um wichtige Einzelstücke, doch konzentrierten sich ihre sammlungsstrategischen Interessen vornehmlich auf andere Schulen als die italienische. In ihrer Zusammensetzung bietet die Kunstsammlung ein treffliches Beispiel für eine norddeutsch-protestantische Fürstensammlung des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Bei den italienischen Gemälden dominieren eindeutig Historiengemälde samt Heiligendarstellungen. Neben einigen bemerkenswerten Porträts lassen sich wenige Landschaftsstücke, Stilleben oder Genrebilder finden. In der Zusammensetzung der regionalen Malschulen überwiegt die venezianische Schule. Wiederholte Reisen des Fürsten in die Lagunenstadt bieten sich hierfür als Erklärung an. Ungewöhnlich für eine norddeutsche Sammlung ist sowohl die Quantität als auch die Qualität an neapolitanischer Malerei, die sich als zweitstärkste Schule in der Sammlung auszeichnet und mit hervorragenden Werken von Cavallino, Spadaro und Solimena aufwarten kann. Es schließen sich Beispiele aus der römischen, bolognesischen und genuesischen Schule an. Gerade Letztere hat einige interessante Beispiele von Strozzi und Castello zu bieten. Doch zusammenfassend überwiegen in der italienischen Sammlung des Museums viele Werkstattarbeiten, die, dem zeitgenössischen Geschmack folgend, häufig als Pendants erworben und von zahlreichen Kopien begleitet wurden. Vor allem bei den venezianischen Bildern drängt sich der Verdacht auf, dass viele von ihnen en gros, also ad hoc und zugleich in großer Stückzahl erstanden wurden. Ihr Bestand konzentriert sich auf das späte 16. und frühe 17. Jahrhundert. Zeitgenössische venezianische Künstler wurden demgegenüber von Herzog Anton-Ulrich weniger berücksichtigt. Unwillkürlich drängt sich im Falle der italienischen Sammlung des Hauses das Verdikt Montesquieus auf, der anlässlich seines Besuchs in Salzdahlum in seinem Tagebuch vermerkte, dass die herzogliche Sammlung zwar eine insgesamt große Anzahl von Gemälden zu bieten habe, diese allerdings viel Mittelmäßiges und wenig Bemerkenswertes zeige. [3]

Die Aufteilung des Katalogs ist klar und übersichtlich: nach einer Vorbemerkung mit (sehr) kurzen Hinweisen zur Sammlungsgeschichte der Bilder (zweieinhalb Seiten), werden die 130 Bilder der italienischen Schule nach Malern alphabetisch aufgeführt. Es folgen schließlich vier Bilder der spanischen Schule. Danach werden 40 Gemälde, also grob ein Drittel der Sammlung, durch ganzseitige Farbaufnahmen wiedergegeben. Abbildungen von Signaturen, eine Liste der veränderten Zuschreibungen, sowie ein Verzeichnis der ehemaligen Besitzer und Sammlungen folgen - flankiert von einer Auflistung der benutzten Handschriften und einem ausführlichen Literaturverzeichnis. Abgeschlossen wird der Band schließlich durch ein Register, das sich nach Personen, Orten und den ikonografischen Themen aufteilt.

Den einzelnen Bildern vorangestellt ist jeweils eine knappe Beschreibung der Biografie des Malers. Jedes Bild wird durch eine gut erkennbare schwarz-weiße Abbildung vorgestellt. Nach einer Aufzählung der "technischen" Daten, wie dem Malgrund, den Maßen und den diversen historischen Galerienummern, werden das Eintrittsdatum des Bildes in die Sammlung und dessen weiterer Werdegang skizziert. Der Leser erfährt so, wann und wo das entsprechende Bild unter welchem Namen in der Galerie hing. Wurden die Bilder temporär aus der Sammlung entfernt, wie im Falle der Übernahme von Gemälden nach Kassel und Paris zwischen 1807-1815, so wird auch diese Etappe erwähnt. Es folgt eine knappe Beschreibung des Bildes mitsamt kurzen Hinweisen zur Ikonografie, sowie einer detaillierten Nachzeichnung der Diskussion um Zu- oder Abschreibungen. Wenn eine Neuzuschreibung vorgenommen wurde, so geschieht dies auf der Basis von aufgeführten, aber nicht eigens abgebildeten Vergleichsexemplaren. Soweit es möglich war, wurde versucht, auch die Sammlungsgeschichte vor dem Braunschweiger Erwerb nachzuzeichnen. Wurde das Bild in andere Medien, wie etwa auf Stiche übertragen, so erfolgt ein Hinweis auf den Stecher, das Mappenwerk und den Namen, unter dem das Werk dort firmierte. Jeder Beitrag wird schließlich durch eine ausführliche Literaturliste abgeschlossen.

Die Zuschreibungen der Gemälde konnten nun dem aktuellen Forschungsstand angepasst werden. Mehr als die Hälfte des Bildbestandes (71 von 134 Gemälden) wurde demnach umgeschrieben. Spektakulärste Neuzuschreibungen dürften die nachtschwarze Kreuzaufrichtung Micco Spadaros, sowie - für die spanische Schule - die wunderbare Verkündigungsszene von Mateo Gilarte sein. Bedauerlicherweise wurden die Abschreibungen von Gemälden an andere Malschulen, wie etwa im Falle des Gemäldes No. 1018, das bislang der italienischen Schule zugeordnet und nun unter Vorbehalt Johann Heinrich Schönfeld zugeschrieben wurde, weder eigens besprochen, noch abgebildet.

Der Sammlungskatalog der italienischen Gemälde gliedert sich damit in die jüngere Publikationsreihe des Museums ein, in der die einzelnen Sammlungen des Hauses sukzessive aufgearbeitet und katalogisiert wurden. Aufmachung, Konzept und Preis des Bandes sprechen den exklusiven Zirkel des Fachpublikums an. Für diesen bereitet der vorliegende Band eine verlässliche und informationsreiche Grundlage für kommende Forschungen.


Anmerkungen:

[1] Rüdiger Klessmann / Sabine Jacob: Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig. Verzeichnis der Gemälde vor 1800, Braunschweig 1976.

[2] Rüdiger Klessmann (Hrsg.): Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, München 1978.

[3] Albert de Montesqieu: Voyages de Montesqieu, 2 Bde, Bordeaux 1896, hier: Bd. 2, 208.


Oliver Tostmann

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Empfohlene Zitierweise:

Oliver Tostmann: Rezension von: Sabine Jacob / Susanne König-Lein: (Bearb.) Die italienischen Gemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts. , München: Hirmer 2004
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 11,

Rezension von:

Oliver Tostmann
National Gallery of Art, Washington, D.C.

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle